Forschung
Verkehrslärm lässt Grashüpfer lauter singen
Der Einfluss des Menschen auf die Tierwelt ist unbestritten. Immer wieder finden Evolutionsbiologen heraus, wie Tiere auf Umweltveränderungen reagieren. In einer neuen Studie sind Grashüpfer das Thema.
Das Wort «Gesang» ist eigentlich falsch, wenn es um die Töne geht, die Grashüpfer erzeugen. Vielmehr ist es eine Art Geigenspiel, denn die Insekten kommunizieren mit ihren Artgenossen, indem sie ihre Hinterschenkel an den Flügeln reiben. Die sägekammartige Beschaffenheit ihrer Beine sorgen für ihr typisches Gezirpe, das aber in der Wissenschaft dennoch als «Gesang» bezeichnet wird.
Ein Team von Evolutionsbiologen der Universität Bielefeld hat sich seit längerem mit Grashüpfern und deren Kommunikation auseinandergesetzt. Schon vor einem Jahr haben sie gezeigt, dass die Tiere stark auf äussere, vom Menschen ausgelöste Einflüsse reagieren. Heuschrecken-Männchen, die Verkehrslärm ausgesetzt sind, singen gemäss der damaligen Studie in höheren Frequenzen als Artgenossen in ruhigen Gebieten. Dadurch kann das Gezirpe besser von Weibchen und Rivalen gehört werden.
Vererbt oder erlernt?
Durch die aktuelle Folgestudie wollten die Forscher um Ulrike Lampe herausfinden, ob diese Hochfrequenz-Gesänge von Generation zu Generation vererbt werden oder ob sie innerhalb eines einzigen Heuschrecken-Lebens «erlernt» werden können. In der Fachsprache lautet die Streitfrage: «genetische Anpassung oder phänotypische Plastizität?»
Um dies herauszufinden, haben die Bielefelder Forscher Larven des Nachtigall-Grashüpfers (Chorthippus biguttulus) gesammelt. Und zwar von verschiedenen Probeflächen – die Hälfte aus Wiesen in der Nähe einer Autobahn, die andere Hälfte aus lärmarmen Fleckchen. Im Labor wurden die beiden Gruppen abermals halbiert und unter unterschiedlichen Bedingungen aufgezogen: Ein Teil durfte in einem ruhigen Umfeld aufwachsen, den anderen Tieren wurde ein Tonband mit Verkehrslärm vorgespielt.
Das Bild, das sich aus den vier Laborgruppen ergab, ist interessant: Die Grashüpfer, die unter der Lärmbelastung vom Tonband aufwuchsen, hatten als erwachsene Tiere einen hochfrequentigeren Gesang als ihre ehemaligen Nachbarn, die in Ruhe aufwachsen durften. Das ist laut den Forschern der Beweis für die bereits angesprochene phänotypische Plastizität, also der Fähigkeit zweier Individuen, sich unterschiedlich zu entwickeln, auch wenn sie genetisch gleich ausgestattet sind.
Herkunft → Labor ↓ | in Autobahnnähe
| nicht in Autobahnnähe
|
Verkehrslärm |
7550 Hz
|
7200 Hz
|
kein Verkehrslärm |
7250 Hz
|
7000 Hz
|
Die Faktoren gleichen sich aus
Aber auch eine genetische Anpassung konnte möglicherweise erkannt werden, denn die Insekten, die in Autobahnnähe geboren waren, hatten tendenziell ebenfalls eine höhere Gesangsfrequenz als die Grashüpfer, die auf der ruhigen Wiese zur Welt kamen. Die beiden Faktoren gleichen sich zahlenmässig praktisch aus. Die Tabelle rechts (Quelle: Studie) zeigt die ungefähren Werte der durchschnittlichen Maximalfrequenz des Grashüpfergesangs. Dabei addieren sich etwa der Geburtsort in Autobahnnähe und ein Aufwachsen mit künstlichem Lärm zu über 7500 Hertz.
Unklar ist den Wissenschaftlern momentan noch, ob der Faktor «Geburtsort» wirklich genetisch, also vererbt ist oder ob dieser Herkunfts-Effekt eine Reaktion der Grashüpfer-Larven auf ihre lärmige Umwelt, bevor sie eingefangen wurden, sei. Jedenfalls konnte laut Studienautorin Ulrike Lampe der Mechanismus der phänotypischen Plastizität zum ersten Mal als bedeutsam nachgewiesen werden. «Wir denken daher, dass unsere Ergebnisse auch für Forschung an anderen betroffenen Tiergruppen wie Vögeln oder Fröschen wichtig sein könnten», sagt sie.
Die Studie wurde im Fachjournal «Functional Ecology» veröffentlicht.
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