Fische sind stumm, Fische sind kalt, Fische sind dumm. Das ist ungefähr das, was man über die Wasserbewohner gemeinhin so denkt. Dabei gehören Fische zu den am meisten vom Menschen genutzten Lebewesen. Sie landen weltweit gesehen in grösseren Mengen auf den Tellern als jedes Fleisch, sie sind die zahlenmässig häufigsten Haustiere – allein in Schweizer Aquarien schwimmen sieben Millionen von ihnen – und werden nach Mäusen am zweithäufigsten in wissenschaftlichen Versuchen eingesetzt.  

Es gibt ausserdem mehr Fischarten als alle anderen Wirbeltierarten zusammengenommen. Trotzdem sind diese Gewässerbewohner den meisten Menschen fremd. Dies liegt daran, dass sie eine Welt bewohnen, die wir nicht kennen und selten besuchen. Nur wenige von uns sähen jemals Fische, die ihr natürliches Verhalten ausleben, schreibt der australische Fischforscher Culum Brown von der der Macquerie-Universität in Sydney in einem 2014 erschienen Review. «Wir hören ihre Laute nicht und sie haben keine erkennbaren Gesichtsausdrücke. Beides sind wichtige Auslöser von menschlicher Empathie. Weil sie uns nicht vertraut sind, erkennen wir die Zeichen nicht, wenn es ihnen schlecht geht.»

Zwischen der menschlichen Wahrnehmung von Fischen und der wissenschaftlichen Realität bestehe eine riesige Lücke, schreibt Brown, der mit seiner Forschung diese Lücke schliessen und Fische als empfindsame Lebewesen ins Bewusstsein der Öffentlichkeit rücken will. Denn nur so würden Gesetze zu ihrem Schutz erlassen. Als Vergleich nennt Brown den in jüngster Zeit verbesserten Schutz von Bauernhoftieren, die lange nur als Ware, als seelenlose Fleisch- und Milchlieferanten gesehen wurden.    

Soziale Intelligenz und Traditionen
«Fische», so Brown in der Fachzeitschrift «Animal Cognition», «haben kognitive Fähigkeiten, die denen von anderen Wirbeltieren oft gleichkommen oder sie sogar übertreffen. Alle Anzeichen deuten darauf hin, dass sie bei Weitem intelligenter sind, als wir ihnen zutrauen.» So sind Fische auch keineswegs stumm. Sie bilden teilweise grosse Unterwasserchöre und haben ein vielseitiges Lautspektrum. In unseren heimischen Flüssen gelten Rotauge, Brachse, Karpfen, Flussbarsch, Sonnenbarsch, Zander, Wels und Hecht als besonders lautfreudig. Der Zander beispielsweise versetzt seine Beute mit einem Peitschenknall in Schockstarre (mehr zu Fischlauten und Hörproben gibt es hier).    

Zudem haben Fische ein gutes Gedächtnis, kennen sich untereinander, können voneinander lernen und arbeiten zusammen. Culum Brown demonstrierte dies mit Lachsen, die anderen Lachsen Beute zeigten, die sie selbst schon kannten oder Guppies, die gelernt hatten, durch eine bestimmte Tür zu schwimmen, um ans Futter zu kommen. Das Wissen um diese Tür verbreiteten diese «Zeigerfische» danach im Schwarm, der die Route auch beibehielt, als die Zeigerfische entfernt wurden. Fische kennen also auch so etwas wie Traditionen. Doch nicht nur ihre Bekannten und Verwandten erkennen Fische: Die Forscherin Cait Newport von der englischen Universität Oxford fand 2016 heraus, dass Gefleckte Schützenfische sogar menschliche Gesichter erkennen können («Tierwelt Online» berichtete).  

Fische brauchen Werkzeuge
Noch erstaunlicher ist die vor einigen Jahren entdeckte Fähigkeit der Fische, Werkzeuge zu gebrauchen. Der Werkzeuggebrauch, dachte man Jahrzehnte lang, sei den Menschen vorbehalten, denn er setze kognitive Fähigkeiten voraus, die kein Tier haben könne. Primaten und Vögel belehrten die Forscher gegen Ende des letzten Jahrhunderts eines Besseren. Doch auch aus der Familie der Lippfische ist Werkzeuggebrauch bekannt. So zeigte die BBC-Dokureihe «Unser blauer Planet II» 2017 einen Lippfisch, der mit grosser Geduld eine Muschel an eine Koralle schlägt, bis die Muschel aufgeht. Die Koralle hat sich der Fisch sorgfältig ausgesucht, er benutzt sie immer wieder zu diesem Zweck. Lippfische haben ein verhältnismässig grosses Gehirn, weiss Culum Brown, wie dies auch bei Primaten und werkzeuggebrauchenden Vögeln der Fall sei.    

Der clever Lippfisch und seine Koralle (Video: BBC):

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Ebenfalls in «Unser blauer Planet II» war zu sehen, wie ein Anemonenfisch versucht, eine Kokosnussschale zu einer Seeanemone zu schaffen, damit das Weibchen darauf seine Eier ablegen kann. Da die Schale für den kleinen Fisch alleine zu schwer ist, hilft ihm ein Artgenosse dabei – ein Beispiel von Werkzeuggebrauch und Teamwork.    

Anemonenfische schleppen eine Kokosnussschale an (Video: BBC):

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Ein kontroverseres Thema ist laut Brown die Frage, ob Fische Schmerz empfinden. Für ihn selber ist der Fall klar: «Es gibt überhaupt keinen Zweifel, dass Fische die Hardware haben, die es für Schmerzempfindung braucht. Die Schmerzrezeptoren der Fische sind denen von Menschen sogar bemerkenswert ähnlich.» Die Frage ist für Brown auch eine politische. Fische als intelligente, leidensfähige Wesen anzuerkennen, würde bedeuten, dass die Fischerei-Industrie ihre Praktiken überdenken müsste. «Diese Interessensgruppen haben aber auch eine mächtige Lobby und einen bedeutenden kommerziellen Wert», schreibt Brown.    

Rochen erkennen sich im Spiegel
Auch wenn es um das Bewusstsein oder die Selbstwahrnehmung von Fischen geht, scheiden sich die Geister. In dieser noch jungen Forschungsdisziplin zeigten Wissenschaftler 2016, dass Riesenmantas den sogenannten Spiegeltest bestehen. Die Mantarochen, die sowieso als die Intelligenzbestien untern den Fischen gelten, zeigten Verhaltensweisen, die darauf hindeuten, dass sie verstehen, dass sie sich selbst im Spiegel sehen und nicht irgendeinen Artgenossen. Sie wedelten im Vorbeischwimmen beispielweise mit der dem Spiegel zugewandten Flosse oder zeigten ihre Unterseite. Der Spiegeltest gilt als der Test schlechthin, um zu beweisen, dass ein Tier ein Ich-Bewusstsein hat und nicht einfach nur seinen Instinkten folgend handelt.    

Im Februar 2019 bestand auch der Gemeine Putzerlippfisch den Spiegeltest. Sowohl die Manta-Forscher als auch die Lippfisch-Forscher lassen offen, ob die Fische nun wirklich ein Selbstbewusstsein haben, erstere sagen lediglich, dass Mantarochen die Voraussetzungen dazu mitbringen. Letztere stellen dagegen eine Reihe von Fragen: Wenn der Spiegeltest als Beweis für die Selbstwahrnehmung bei andern Tierarten gilt, akzeptieren wir die Schlussfolgerung, dass Fische ich-bewusst sind? Was würde dies für unser Verständnis von Tierintelligenz bedeuten? Oder gelangen wir zum Schluss, dass die Verhaltensweisen der Putzerlippfische vor dem Spiegel von einem anderen kognitiven Prozess herrühren und kein Ausdruck von Ich-Bewusstsein sind? Dann müsste der Spiegeltest aber auch für andere Tiere als Massstab für das Ich-Bewusstsein hinterfragt werden.    

Fische sind also zwar die ältesten Wirbeltiere unseres Planeten, aber sie sind weder primitiv noch dumm. Sie hatten auch Jahrmillionen länger als alle anderen Wirbeltierklassen Zeit, zu dem zu evolvieren, was sie heute sind. Und sollten sie einst als selbstbewusste Wesen akzeptiert werden, müsste die Fischerei wohl endgültig über die Bücher.