Bis vor den 1960er-Jahren habe es praktisch keine Massenstrandungen von Schnabelwalen geben, schreibt ein Team von mehrheitlich spanischen Forschern in einem im Januar erschienen Review. Dann jedoch sei es mit der Entwicklung der Sonar-Technologie vorwärtsgegangen. Zwischen 1960 und 2004 dagegen wurden 121 Massenstrandungen von Schnabelwalen erfasst, die Hälfte davon betraf Cuvier-Schnabelwale. 37 der Strandungen als «atypisch» bezeichnet werden. Das bedeutet, dass nicht alle Wale gleichzeitig am selben Ort stranden, sondern über mehrere Tage und mehrere Dutzend Kilometer verteilt. Diese atypischen Massenstrandungen korrelieren besonders stark mit der Aktivität von Sonar auf mittleren Frequenzen vom 4,5 bis 5,5 Kilohertz. Diese Art von Sonar wurde in den 1950ern entwickelt, um U-Boote aufzuspüren.

Autopsien von gestrandeten Schnabelwalen gaben überraschende Befunde: Die Tiere hatten Stickstoffblasen im Blut, wie man sie sonst von der Dekompressions- oder Taucherkrankheit kennt. Diese tritt auf, wenn Taucher zu schnell auftauchen. Weitere Symptome der Wale waren Fettembolien und innere Blutungen, ebenfalls assoziiert mit der Taucherkrankheit.

Nun gehören Schnabelwale zu den besten Tauchern unter den Meeressäugern. «Schnabelwale tauchen tiefer und länger als alle anderen Wale», schreiben die Forscher in ihrem Review. Oft tauchen sie mehrmals am Tag tiefer als 1000 Meter. Wie kann es also sein, dass solche hervorragende Schwimmer und bestens an das Leben im Meer angepassten Tiere die Taucherkrankheit bekommen?

Fluchtreflex ist stärker
Die Antwort laut den Forschern: Sie haben Angst. Sie haben solche Angst, dass eine lebenswichtige Anpassung an das Tauchen ausser Kraft gesetzt wird: die Verlangsamung des Herzschlags. Die reduzieren beim Tauchen normalerweise so den Sauerstoff in ihrem Körper und verhindern die Bildung von Stickstoffblasen.

Haben die Tiere dagegen Angst, verschnellert sich ihr Herzschlag. Die Schnabelwale wollen, so glauben die Forscher, so schnell wie möglich weg von den Sonar-Schallwellen. Dieser Fluchtimpuls sei stärker als alle anderen Anpassungen. Die Wale bekommen die Taucherkrankheit. «Sie sind schwer krank. Die Gasblasenembolie betrifft das ganze System, sogar das Gehirn», sagt Studienmitautor Antonio Fernandez von der Universität Las Palmas auf Gran Canaria gegenüber «Tierwelt Online». «Wenn Wale krank sind, schwimmen sie meist bei der nächsten Küste an Land um zu sterben.»

Die Reaktionen der Wale auf Mittelfrequenz-Sonar sei allerdings bei jedem einzelnen Tier anders, heisst es in der Studie weiter. Deshalb gäbe es die atypischen Strandungen. Populationen, die in der Nähe von Sonaraktivität leben, können sich sogar daran gewöhnen. Deshalb raten die Forscher dazu, Mittelfrequenz-Sonar nur noch dort einzusetzen, wo es schon regelmässig eingesetzt wird und es bisher noch keine Strandungen gab. Wo es selten bis nie eingesetzt wird oder wo es schon Strandungen gab, sollte man künftig auf den Einsatz verzichten. Dass dies Wirkung zeigt, zeigt das Beispiel der Kanarischen Inseln: Dort verbot Spanien 2014 den Gebrauch von Mittelfrequenz-Sonar. Seither gab es auf der Inselgruppe keine Strandungen mehr.