Zugvögel sind in Bedrängnis. Der Klimawandel verschiebt das jahreszeitliche Nahrungsangebot, so dass es nicht mehr recht zu ihrem Reiseplan passt. Rastgebiete verschwinden durch Landnutzung oder verändern sich durch den Klimawandel. Vor allem im Mittelmeerraum werden Zugvögel auch gejagt (lesen Sie hier mehr dazu). Und durch massiven Pestizid-Einsatz in der Landwirtschaft schwinden die Insekten, die für viele Vögel eine wichtige Nahrungsquelle darstellen.  

Zu all diesen Problemen kommen offenbar auch direkte Gesundheitsschäden durch Pestizide aus der Stoffklasse der Neonicotinoide. Eine Forschungsgruppe um Christy Morrissey von der University of Saskatchewan in Kanada hat den Effekt des Neonicotinoids Imidacloprid auf die Dachsammer (Zonotrichia leucophrys) untersucht, einen in Nordamerika heimischen Zugvogel.  

Gewichtsverlust und verzögerter Aufbruch  
Die Aufnahme realistischer Mengen des Insektizids führte bereits nach wenigen Stunden dazu, dass die Vögel weniger frassen, Gewicht verloren und von ihrem Rastgebiet später aufbrachen – alles Faktoren, die ihre Fortpflanzungs- und Überlebenschancen beeinträchtigen. Vor allem die mit der höheren Dosis konfrontierten Vögel brachen mitunter mehrere Tage später auf, berichten die Forscherinnen im Fachblatt «Science».  

Die verabreichten Mengen – 1,2 oder 3,9 Milligramm pro Kilo Körpergewicht – entsprechen bei einer Dachsammer rund 0,03 und 0,1 Milligramm. «Ein behandeltes Maiskorn enthält 1 Milligramm, ein Rapssamen 0,17 Milligramm Neonicotinoide», erklärt Livio Rey von der Schweizerischen Vogelwarte Sempach LU im Gespräch mit der Nachrichtenagentur Keystone-SDA. Ein Samenfresser wie die Dachsammer habe die in der Studie verwendete Menge also sehr schnell aufgenommen.  

Die Studie unterstreiche die Bedeutung nicht direkt tödlicher Effekte der Neonicotinoide auf andere Tiergruppen als Insekten, kommentierte Rey. Die Tiere sterben an den aufgenommenen Insektizid-Mengen zwar nicht direkt, aber ihr Organismus wird durch das Gift geschwächt und ist dann schlechter auf andere Herausforderungen vorbereitet.  

Bereits frühere Studien hatten gezeigt, dass die als Nervengift wirkenden Pestizide bei weitem nicht nur auf Insekten wirken, sondern auch auf Vögel und Fische («Tierwelt Online» berichtete). Vor allem wegen ihrer negativen Folgen für Bestäuberinsekten wie Bienen sind drei Neonicotinoid-haltige Pflanzenschutzmittel in der Schweiz verboten, darunter auch Imidacloprid.  

Langlebige Rückstände  
Allerdings werden die wasserlöslichen Insektizide zum grössten Teil als Staub oder durch Regen abgetragen und gelangen so auch in weit vom Einsatzort entfernte Böden und Gewässer. Dort sind die Stoffe sehr langlebig, wie unter anderem eine Studie der Vogelwarte Sempach und der Uni Neuenburg ergeben hat.  

Selbst auf Biodiversitätsförderflächen und auf Landwirtschaftsflächen, die seit über zehn Jahren biologisch bewirtschaftet werden, finden sich Neonicotinoid-Rückstände im Boden. Dort waren Insekten, Spinnen und Würmer chronisch den Pestiziden ausgesetzt. Wie gross der Schaden durch direkte Gesundheitseffekte der Neoincotinoide auf Vogelbestände sei, liesse sich schwer abschätzen, meinte Rey. Der Insektenschwund und damit der Verlust an Nahrung spiele ebenfalls eine wichtige Rolle. Angesichts der Herausforderungen, denen sich insbesondere Zugvögel gegenübersehen, können jedoch auch die in der Studie gezeigten subletalen Effekte der Neonicotinoide einen entscheidenden Einfluss haben.  

«Angesichts der zunehmenden Hinweise auf die schädlichen Folgen der Neonicotinoide für Bienen, Fische, Vögel und die Umwelt allgemein ist die zentrale Frage, wie das Bundesamt für Landwirtschaft solch schädliche Pestizide überhaupt zulassen konnte», meint Rey. «Früher war es das Insektizid DDT, das Gesundheitsschäden weit über die Insekten hinaus verursacht hat. Heute sind es Neonicotinoide und nach deren Verbot wird es wahrscheinlich neue Pestizide geben, die auch wieder unerwünschte Nebenwirkungen mit sich bringen.» Er plädiert deshalb dafür, die Zulassungsprozesse für neue Pflanzenschutzmittel kritisch zu prüfen und nötigenfalls zu verschärfen.