Vor genau einem Jahr passierte es. Im Rahmen eines Dachs-Monitorings hatten Jonathan Pesaresi von der Universität Genf und Manuel Ruedi vom Naturhistorischen Museum Genf in einem Wald in Bernex GE Kamerafallen installiert. In diese tappte am 9. und am 15. Juni 2019 eine Kleinfleck-Ginsterkatze, wie das Museum letzte Woche mitteilte.

«Die Kleinfleck-Ginsterkatze ist ein nachtaktives und heimliches Tier, das in seinem natürlichen Habitat schwer zu beobachten ist», schreiben Pesaresi und Ruedi nun am 4. Juni 2020 im Fachmagazin «Revue Suisse de Zoologie», in dem sie den Nachweis zum ersten Mal veröffentlichen. Es sei deshalb nicht einfach abzuschätzen, wie es um die lokale Population stehe. Da man 2012 und 2015 sieben Kilometer von der Grenze in Frankreich schon Ginsterkatzen beobachtet habe, dürfe davon ausgegangen werden, dass sich die unbekannte Tierart in der Gegend angesiedelt habe. Die Kleinfleck-Ginsterkatze könne als die 99. Schweizer Säugetierart angesehen werden, auch wenn es noch keine permanente Population gebe.

Kamerafallen-Aufnahmen der Kleinfleck-Ginsterkatze

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Die Kleinfleck-Ginsterkatze gehört zur Familie der Schleichkatzen, die wiederum zu den Katzenartigen gehören. Schleichkatzen sind vor allem in Afrika, Süd- und Südostasien verbreitet. Auch die Kleinfleck-Ginsterkatze stammt ursprünglich aus Afrika, wo sie häufig ist und ein grosses Verbreitungsgebiet hat. Als einzige Vertreterin der Schleichkatzen kommt sie auch in Europa vor. Zu ihrem Ursprungsgebiet gehört Europa aber nicht. Die Ginsterkatze wurde aus Nordafrika eingeschleppt – vor langer Zeit. Verantwortlich könnten die Römer oder die Mauren sein – oder, wie die Forscher Pesaresi und Ruedi schreiben, die Phönizier, denn laut neusten genetischen Analysen könnte eine erste Kolonisierung im Süden Spaniens schon vor über 3000 Jahren stattgefunden haben. Wie die Hauskatze wurde die Kleinfleck-Ginsterkatze vermutlich als Mäusefängerin eingeführt.

Ginsterkatze dehnt Verbreitungsgebiet aus
Zu Gute kommt der Ginsterkatze nun wohl der Klimawandel. Seit Jahrhunderten war die wärmeliebende Art nur auf der Iberischen Halbinsel und in Südwestfrankreich vertreten – jetzt scheint sie ihr Gebiet ausdehnen zu können. Wie die Genfer Forscher schreiben, sei die Schwere der Winter der limitierende Faktor für die Kleinfleck-Ginsterkatze, obwohl auch schon Tiere im Schnee gesichtet worden seien.

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Vor hundert Jahren, 1919 und 1926 wurden schon einmal Kleinfleck-Ginsterkatzen in der Schweiz gesehen. Sie sind heute als Präparate in Kantonalen Zoologischen Museum in Lausanne ausgestellt. Damals ging man aber davon aus, dass es sich um Gefangenschaftsflüchtlinge handelte. Bei der jüngsten Beobachtung dagegen deutet alles auf den ersten Nachweis einer wilden Kleinfleck-Ginsterkatze. Pesaresi und Ruedi rechnen damit, dass es nicht der letzte gewesen sein wird: «Die Westschweiz kann nun als Teil der Kolonisierungs-Front betrachtet werden», schreiben sie in der Studie.

Anders als andere Raubtiere wird die Kleinfleck-Ginsterkatze wahrscheinlich nicht für grosse Furore sorgen – sie ernährt sich hautsächlich von kleinen Nagern. Aus Spanien und Frankreich sind keine Hinweise auf invasives Verhalten bekannt.