Zehn Uhr morgens. Sonnenschein. Das Huhn stolziert gemächlich über die Wiese. Pickt hier und da nach einem Grashalm. Versteckt sich unter einem Baum. Geniesst das Sonnenbad neben einem Strauch. Was sich hier so idyllisch liest, wäre eine wünschenswerte Szene in allen Hühnerhöfen. Denn ein gut durchdachter und strukturierter Auslauf fördert das Wohlbefinden jedes Huhnes. Möchte man seine Hühnerhaltung zertifizieren, liest man in den Unterlagen ebenfalls, dass ein angemessen strukturierter Auslauf vonnöten sei. Doch was heisst denn «angemessen strukturiert» genau?

«Es müssen Rückzugsmöglichkeiten wie Büsche, Bäume oder ein Platz unter dem Hühnerhaus vorhanden sein. Es reicht nicht, den Hühnern nur einen mit Gras bewachsenen Auslauf zu bieten», sagt Gion Gross, Präsident der Kommission Tierschutz von Kleintiere Schweiz. Ein Auslauf mit diversen Eigenbereichen wirkt tierpsychologisch positiv. Können die Tiere verschiedene «Lebensbereiche» nutzen und diese auf unterschiedlichen Wegen erreichen, vermittelt ihnen dies das Gefühl von mehr Raum und Freiheit. Aus­serdem ergibt sich damit auch für jedes Huhn die Möglichkeit, sich mal kurz von der Herde abzugrenzen oder einfach nur in Sichtschutz zu gehen. Gerade nach Rangkämpfen bringt eine solche Trennung etwas Ruhe in die Hühnerschar und bietet dem unterlegenen Tier eine Verschnaufpause.

Mit frischen Beeren und ihren Vitaminen lässt sich die sommerliche Hitze ertragen
Um verschiedene Eigenbereiche zu schaffen eignen sich natürliche Elemente wie Bäume und Sträucher am besten. Eine dicht bepflanzte Umgebung entspricht ausserdem auch dem ursprünglichen Lebensraum der Ur-Hühner. Stammen diese doch aus den gemässigten und tropischen Klimazonen Asiens, wo sie das Unterholz und die Waldränder bewohnen. Hier finden sie tagsüber genügend Deckung vor Raubvögeln und haben nachts eine Vielzahl von Aufbaummöglichkeiten. An heissen Sommertagen bieten Sträucher zudem ausreichend Schatten und an kalten Tagen Schutz vor Nieselregen und Wind. Nicht selten nutzen die Hühner das trockene und geschützte Erdumfeld eines Strauches für ihr tägliches Sandbad.

Für den Hühnerauslauf bieten sich vor allem Sträucher mit Beeren an. Sie bieten sowohl den Tieren wie auch den Besitzern eine kulinarische Abwechslung und sind reich an wichtigen Nährstoffen. Johannisbeeren beispielsweise enthalten viel Vitamin C, ein Anti-Stress-Vitamin. Hühner sind zwar in der Lage, Vitamin C selber herzustellen, doch die Eigensynthese deckt den Bedarf in der Regel nicht. Gerade im Sommer, wenn die Johannisbeeren reif sind, stehen Hühner durch die Hitze unter grossem Stress. Denn sie ertragen Hitze weniger gut als Kälte. Hier kommt die Johannisbeere mit ihrem grossen Vitamin-C-Gehalt sehr gelegen.

Die Beeren sind aber auch reich an verschiedenen B-Vitaminen, die für eine gute Federbildung sorgen. Der Vitamin-B1-Gehalt wirkt fördernd auf die Nervenfunktion, das Gehirn, das Herz, die Leber und das Blut. Ebenso fördert es auf molekularer Ebene die Stoffwechseltätigkeit. Aus den Karotinoiden in den Johannisbeeren stellt der Hühnerorganismus Vitamin A her. Es sorgt auch für den Farbstoff im Eidotter. Ebenso stärkt Vitamin A den Stoffwechsel der Hühner, was zu einer grösseren Widerstandsfähigkeit führt. Die Schleimhäute, die vor allem im Verdauungstrakt vorhanden sind, werden durch das Vitamin A in einen vitalen Zustand versetzt. Und es geht noch weiter. Johannisbeeren beinhalten auch das Vitamin E. Dieses stärkt das Immunsystem, ist entzündungshemmend und wichtig für Blutgefässe, Muskeln und Fortpflanzungsorgane.

Mit etwas Glück machen die Früchte die Tiere auch etwas zutraulicher
In den kleinen Früchten findet man aber auch viel Kalzium, Kalium, Eisen, Magnesium und Mangan. Das sind alles wichtige Wirkstoffe, die das Immunsystem stärken und den Gesamtzustand der Tiere stabilisieren. Gemäss Professor Doktor Alfred Mehner hat Mangan sich bei Versuchen als wachstumsfördernd erwiesen. Bei Manganmangel hingegen wurden eine Reihe von Ausfallerscheinungen wie schlechter Schlupf, Gewichtsrückgang, verminderte Legeleistung und Funktionsstörungen festgestellt.

Johannisbeeren sind leicht säuerlich. Daher kommt es im Magen zu einer verstärkten Säureausschüttung, welche eine bessere Vorverdauung bewirkt. Das bewirkt zudem eine effektivere Verdauung bestimmter Nahrungssubstanzen. Hier zeigt sich, dass nicht nur bestimmte Substanzen einen direkten Nährwert erfüllen, sondern auch indirekt positiv auf die Aufschliessung von Nährstoffen einwirken können.

Das Pflücken von Beeren hält die Hühner  aktiv und vital. Während der Reifezeit der Früchte, kann man die Tiere immer wieder beobachten, wie sie mit offenem Schnabel nach den Beeren picken. Dabei machen sie kleine Luftsprünge, um auch höher gelegene Äste zu erreichen. So ist der Strauch in zwei Erntehälften eingeteilt. Den unteren Teil bewirtschaften die Hühner, der obere bleibt dem Menschen. Praktisch, denn so erspart man sich das lästige Bücken nach den reifen Früchten an den unteren Ästen. In einem ertragsreichen Jahr können aus den Beeren zusätzlich geschmackvolle Konfitüren hergestellt werden. Da Hühner die Abwechslung in ihrem Speise­plan sehr schätzen, kann man auch versuchen, ihnen die Beeren aus der Hand zu füttern, um die Tiere etwas zutraulicher zu machen.

Ob nun die Johannisbeere oder ein anderer Strauch gesetzt wird, der Standort sollte in der Nähe eines Zaunes liegen. Nach dem Einpflanzen kann um den Stamm feiner Sand für ein Sandbad verstreut werden. Ein begehbares Areal zwischen Hecke und Zaun wäre für die Tiere zudem vorteilhaft. So haben sie nicht nur einen geschützten Rückzugsort, sondern auch gleich einen Wellnessbereich.