Die Spannung steigt, wenn die Kaninchenmutter im Stall geschäftig mit Stroh im Maul umherwuselt. Die Tragzeit bei Kaninchen ist mit 31 Tagen zwar vergleichsweise kurz, strapaziert einem aber in gespannter Erwartung des Nachwuchses doch die Geduld. Kaninchengeburten verlaufen meist problemlos. Trotzdem empfiehlt es sich, ein Auge auf die werdende Mutter zu halten. Paarungstermine am Mittwoch garantieren bei normaler Tragzeit eine Geburt am Wochenende, sodass man zu Hause sein und bei Bedarf eingreifen kann.

Ein gutes Muttertier baut ein festes Nest aus zerkleinertem Stroh und rupft sich kurz vor der Geburt reichlich Bauchhaare aus, um dieses warm zu polstern. Doch es gibt auch die sorglosen Mütter, die nur ein bisschen Stroh zusammentragen und kaum wärmende Wolle ins Nest legen. Da muss der Züchter nachhelfen und der Häsin nach der Geburt Wolle an Brust und Bauch auszupfen. Das geht sehr einfach und schmerzt das Tier auch nicht, denn Hormone sorgen dafür, dass sich die Haare leicht lösen. 

Die Geburt verläuft normalerweise sehr schnell. Dabei hockt sich die Häsin über das Nest, ein bis zwei Presswehen befördern jeweils ein Jungtier heraus, das sogleich von den Fruchthüllen befreit und sauber geleckt wird. Bei einer normalen Geburt ist der Wurf nach ungefähr einer Viertelstunde komplett. Die Häsin säugt die Jungen ein erstes Mal und verlässt dann das Nest bis zum nächsten Tag.

Distanz zum Nest gibt Schutz
Eine erste Nestkontrolle sollte kurz nach der Geburt stattfinden, denn allfällige tote Jungtiere und Nachgeburtsreste müssen entfernt werden. Bei langhaarigen Muttertieren, deren letzter Coiffeurtermin schon länger zurückliegt, wird die Nestwolle in kurze Stücke geschnitten. Das verhindert, dass die Kleinen mit ihren paddelnden Bewegungen aus der Wolle einen Faden spinnen und sich damit ein Beinchen abschnüren. Die Häsin kann so lange im anderen Stallabteil abgesperrt oder in einen Freilauf gesetzt werden. 

Wildkaninchen graben eine separate Setzröhre für ihr Nest. Nach der Geburt und dem ersten Säugen buddeln sie die Setzröhre sorgfältig zu. Nur einmal täglich suchen sie ihre Jungen auf, um zu säugen. In der Natur lebt die Häsin also abseits des Nestes, sie kuschelt nicht mit den Jungen wie etwa eine Katzenmutter. Diese «Vernachlässigung» ist ein Schutz vor Räubern. 

Hauskaninchen zeigen ein ähnliches Verhalten; auch sie besuchen das Nest nur ein- oder zweimal am Tag. Damit die Kaninchenmutter genügend Distanz zum Nest halten kann, ist ein Doppelstall oder ein grosser und gut strukturierter Einzelstall nötig. In einem kleinen Stall steigt der Häsin dauernd der Nestgeruch in die Nase. Dies löst bei ihr Stress aus, sie sucht immer wieder das Nest auf, wühlt herum, schichtet zusätzliches Stroh auf die Kleinen. Die Nestlinge verbrauchen durch die häufigen Störungen viel Energie und krabbeln in der Folge nicht selten im Stall umher.

Achtung bei Milchstau oder Mastitis 
Verläuft die Geburt schwer oder wird die Zibbe während der Geburt gestört, bleibt sie nicht auf dem Nest sitzen, sondern verstreut ihre Jungen im Stall. Auch bei sehr nervösen Tieren kann dies auftreten. Die Jungen kühlen ausserhalb des Nestes rasch aus und sterben ohne Hilfe. Findet man sie rechtzeitig, sollte man die Kleinen ins Haus nehmen und mit einer Wärmeflasche oder den Händen aufwärmen. Es ist erstaunlich, wie viel Kälte in so einem kleinen Körper steckt. Die Wärmequelle darf trotzdem nicht mehr als handwarm sein, dazwischengelegte Tücher schützen vor zu viel Hitze.

Sind die Kleinen wieder durchwärmt, packt man sie ins Nest zurück, damit die Häsin sie säugen kann. Die fetthaltige Milch versorgt die Kleinen mit der nötigen Energie, um Wärme zu produzieren. Nervösen Häsinnen reicht man Tee aus Zitronenmelisse. Er beruhigt und regt darüber hinaus die Milchproduktion an. 

Regelmässige Nestkontrollen sind wichtig, wobei es ausreicht, mit der Hand zu spüren, ob es im Nest warm ist. Mit etwas Übung kann man dabei sogar zählen, ob alle Jungtiere da sind. Wenn diese gemütlich im Nest liegen, ist alles in Ordnung. Springen sie an die Hand und haben faltige Bäuchlein, ist dies ein Zeichen von Hunger. In diesem Fall kontrolliert man das Gesäuge der Häsin, ob ein Milchstau oder gar eine Mastitis (Gesäugeentzündung) vorliegt. Letztere gehört in die Hände des Tierarztes. Bei einem Milchstau hingegen lassen sich die Verhärtungen durch Bestrahlen mit einer roten Lampe – Taschenlampe, keine Wärmelampe! – lösen. Ein paar Minuten rotes Licht einstrahlen, danach die gestaute Milch Richtung Zitze ausstreichen.

Die erste Milch, das Kolostrum, ist lebenswichtig, denn sie ist nicht nur Nahrung, sondern enthält eine geballte Ladung Abwehrstoffe (Immunglobuline). Nur in den ersten Stunden nach der Geburt können diese Abwehrstoffe als Ganzes über den Darm ins Blut aufgenommen werden; später werden sie verdaut – wie andere Eiweissverbindungen auch – und verlieren dadurch ihre Wirkung. Kaninchen erhalten jedoch zusätzlich schützende Immunglobuline bereits vor der Geburt über die Plazenta – und gehören damit, wie auch der Mensch, zu einer Minderheit, die nicht völlig schutzlos zur Welt kommt. 

Darmflora wird übertragen
Einzigartig in der Tierwelt ist die Bildung von sogenanntem Milchöl im Magen der jungen Kaninchen. Es wird durch Verdauungsenzyme des Nestlings aus Substanzen der Muttermilch gebildet. Milchöl ist ein natürliches Antibiotikum, das den Verdauungstrakt der Nestlinge in den ersten zwei Wochen bakterienfrei hält. Die Besiedelung mit den wichtigen Darmbakterien geschieht bei den meisten Tierarten passiv während des Geburtsvorganges und beim Säugen.

Kaninchen hingegen besiedeln ihren Darm aktiv, indem sie bakterienreichen Blinddarmkot der Mutter aufnehmen, den diese zu diesem Zweck im Nest deponiert. Hat die Mutter eine günstig zusammengesetzte Darmflora, kommt dies auch den Jungen zugute. Kleine Mengen Heu, die man nun ins Nest legt, werden von den Kleinen gefressen und bilden die Nahrung für die sich entwickelnde Bakterienflora. Damit ist die Basis gelegt für ein gesundes Verdauungssystem und eine gute weitere Entwicklung.