Eine gute Erbmasse des Kaninchens ist zwar ausschlaggebend, doch zu rund der Hälfte kann eine gute Haltung und Pflege die Tiere positiv beeinflussen. Nehmen wir zum Beispiel das Tier X, das durch züchterischen Fleiss genetisch verbessert wurde. Durch einen Halterwechsel werden aber  Pflege und gute Fütterung vernachlässigt – da nützen die besten Erbanlagen wenig, das Tier macht einen schlechten Eindruck. Tier Y weist dagegen weit schlechtere Erbanlagen auf, der Züchter versteht es jedoch, durch qualitativ hochstehende Fütterung und Haltung das Kaninchen zu einem vitalen, gesunden Wesen heranzuzüchten. 

Nebst dem Anspruch an die Vitalität gilt bei der Zucht grundsätzlich: Keine Tiere mit gleichen Fehlern paaren! Auch Eltern- und Grosselterntiere sollen nicht mit den gleichen Schwachpunkten behaftet sein. Ist eine Häsin mit nicht ganz befriedigender Ohrenlänge beispielsweise für die Zucht vorgesehen muss der anzupaarende Rammler dem Ideal der Ohrenlänge entsprechen. Falsch wäre, kurze Ohren mit zu langen Ohren kompensieren zu wollen. Damit fördert man eine Unausgeglichenheit, die Planzucht verkommt dabei zur Lotterie. Wenn bei der Zuchtplanung die Stärken und Schwächen der Eltern und sogar der Grosseltern einfliessen sollen, so muss eine detaillierte Dokumentation über die Zuchttiere geführt werden. 

Die Gefahren der Inzucht
Bessere Voraussetzungen bringen Zuchttiere aus grossen Würfen mit (vor allem bei den Schecken),  denn sie sollten von fruchtbaren Eltern stammen. Wird die Häsin bei ausgeprägter Rammligkeit belegt, fallen bei den Kleinrassen meist mehr als ein halbes Dutzend, bei den grösseren Rassen bis zu zehn Jungtiere an. Ein aufmerksamer Blick in die Tierbox gibt zweifelsfrei Aufschluss über die Rammligkeit der Häsin: Die Einstreu ist durchwühlt und zerkleinert, das Geschlechtsteil der Häsin gerötet. 

Viele Kleintierzüchter wissen mit Genetik, Chromosomen und anderen Begriffen der Vererbungslehre etwas anzufangen. Das ist  gut, so wissen sie, was enge Inzucht angeblich Wundersames bewirken soll. Aber ist es denn nicht eigenartig, dass kein Bauer seine Superkuh mit dem vielversprechenden eigenen Sohn anpaart, auch Pferdezüchter den Inzest meiden und Junghunde aus starker Inzucht nicht angekört werden dürfen? Oder dass zoologische Gärten für den Tieraustausch zur Vermeidung von Inzucht viel Geld ausgeben. 

Viele Kleintierzüchter gehen mit der Inzuchtproblematik allzu sorglos um. Oft begegnet man Zuchten, deren Tiere wenig frohwüchsig sind und das Minimalgewicht nur knapp erreichen. Oft hat es in diesen Zuchten auch Kaninchen mit verfeinertem Körperbau, aber auch krankheitsanfällige und wenig fruchtbare Tiere. Verminderte Vitalität und gehäufte Krankheitsanfälligkeit sind nebst Fütterungsfehlern oft die Folge enger und engster Inzucht. Kaninchenzüchter, in deren Stall die Enterocolitis grassiert, sollten den Aspekt der Inzuchtdepression beachten.

Die Frage der In- und Inzestzucht stellt sich in der Schweiz häufig. Wir bewegen uns auf sehr dünnem Eis, was die übergrosse Vielfalt an Rassen und Farbenschlägen betrifft. Einige Rassen oder Farbenschläge sind allerdings nur durch zwei oder drei Züchter vertreten. Doch was geschieht mit diesen in vier bis fünf Jahren? Schon heute hat es Rassen mit jeweils sehr hohen Jungtierabgängen – die Vitalität lässt grüssen! Müssen wir uns damit anfreunden, unsere Kaninchen mit allem Möglichen zu impfen? 

Die Vorteile der Linienzucht
Weit weniger umstritten ist dagegen die Linienzucht – sie ist die am meisten verbreitete Methode. Linienzucht heisst nichts anderes, als mit einer kleinen Anzahl von Ausgangstieren über Jahre hinweg eine erfolgreiche Zucht betreiben zu können – und dies ohne ständigen Zukauf von Fremdtieren. Als Grundlage dienen je ein männliches und ein weibliches Ausgangstier. Diese dürfen nicht  miteinander verwandt sein. Selbstverständlich müssen die Tiere auch absolut gesund sein und in jeder Beziehung dem Standard entsprechen. 

Damit sind die Elterntiere (P-Generation) für die Zucht gegeben: Die erste Generation erbt nun die Erbanlagen beider Elterntiere je zur Hälfte. Wenn danach die Erbanlagen der Elterntiere getestet werden sollen, wird ein Kontrollwurf gemacht, das heisst eine Geschwisterpaarung (gleich Inzucht). Dabei kommen Nachteile, aber auch Vorteile der Elterntiere zum Vorschein. Dies kann mit­entscheidend sein, ob es sich lohnt, mit diesen Elterntieren weiterzuzüchten.

Der Lohn der Arbeit
Für die Linienzucht werden danach Tochter auf Vater und Sohn auf Mutter gekreuzt. Damit entsteht die zweite Generation. Die Erbanlagen zur Gegenlinie verkleinern sich wieder um die Hälfte, betragen also noch ein Viertel. Und so geht es weiter. Bereits die dritte Nachkommengeneration kann als neues Zuchtpaar verwendet werden, sein Verwandtschaftsanteil beträgt noch ein Achtel.

In der Theorie tönt das alles vielversprechend, verschiedene Umstände können aber zu Störungen des Ablaufs führen. Immerhin: Auch in leicht abgeänderter Form ist diese Zuchtform besser als jedes Jahr neue Tiere dazuzukaufen. Letzteres geht ins Geld, dazu sind die Erbanlagen erst noch zufällig.

Die gemachten Ausführungen sind kein Rezept für den schnellen Erfolg. Und es geht auch nicht um Erfolgsgarantien, sondern um Erhöhung der Chancen. Wer sich für die Zucht des aparten Kaninchens entscheidet und die täglichen Freuden an seinen Tieren den Ausstellungsehrungen überordnet, erlebt ebenso eine faszinierende Tierwelt, voller Spannung und Freude im Stall.