Es schien echte Geschwisterliebe zu sein, was Mitzi und Fritzi füreinander empfanden. Stets suchten sie die Nähe des anderen. Eng aneinandergekuschelt und übereinanderliegend schliefen die beiden Jungkatzen im Körbchen. Wenn Mitzi sich putzte, leckte sie auch ihrem Bruder noch kurz über den Kopf. Wo Mitzi hinging, folgte ihr Fritzi auf dem Fuss und umgekehrt. 

Doch mit dem Erwachsenwerden der Katzen kühlte sich das Verhältnis zwischen den beiden ab. Ihren Besitzern fiel auf, dass sie nicht mehr beieinanderlagen, aber sie schrieben das zunächst dem zu eng gewordenen Korb zu. Bemerkt hatten sie allerdings auch, dass Mitzi hin und wieder fauchte, wenn Fritzi in ihrem Blickfeld auftauchte. Er guckte sie jeweils kurz an – «blöde Zicke», sagte sein Blick – und trottete weiter. Kein Grund zur Beunruhigung, meinten die Besitzer. «Auch wir sind ja nicht immer nur lieb miteinander.»

Bis sie eines Tages Zeugen eines groben Kampfes zwischen den Geschwistern wurden. Es sah fürchterlich aus, die beiden Katzen hatten sich zu einem Knäuel verkrallt, Fellfetzen flogen, Mitzi kreischte. Immer wieder kam es vor, dass die beiden sich prügelten. Immer war es Fritzi, der über seine Schwester herfiel. Nie ging ein Kampf von Mitzi aus, aber sie bedachte ihn mit bösen Blicken, fauchte ihn nur noch an, wenn er ihren Weg kreuzte und schickte ihm manchmal noch einen Tatzenhieb hinterher. Die einstige Liebe hatte sich zu Hass oder zumindest Abneigung gewandelt. Die Besitzer waren ratlos – was konnten sie tun, um die Situation zu beruhigen? Konnte man überhaupt etwas tun?

Die Hierarchie ändert sich immer wieder
Der Mensch dürfe sich nicht einmischen, hörten sie immer wieder, wenn sie vom Katzenkrieg in ihrem Zuhause erzählten. Das müssten die Tiere unter sich regeln, dann kehre irgendwann schon wieder Ruhe ein. Falsch, meint Gabriele Müller, Tierpsychologin und Autorin mehrerer Bücher über Katzen. In ihrem neusten geht es um die «Katzen-WG», um den Mehrkatzenhaushalt. Bei Streit zwischen den Katzen, schreibt sie, komme dem Zweibeiner eine wichtige Rolle zu – «die des Vermittlers, des Katalysators». Er sei es, der letztlich die Regeln des Zusammenlebens bestimme. «Der Mensch ist der Schiedsrichter.» 

Die Haltung, man müsse die Katzen ihre Kämpfe austragen lassen, entstamme der Vorstellung, Katzen hätten dasselbe Hierarchie- und Dominanzverhalten wie Wölfe und Hunde. Aber als Wesen mit einem vollkommen anderen Sozialverhalten als der Wolf und seine Nachfahren liessen sich Katzen nicht in solche Schubladen pressen. Bei Katzen gelte: «Alles kann, nichts muss sein.» Sie könnten sozial sein, oder auch nicht. Die Regeln, die geborene Rudeltiere für ein stressfreies Überleben in der Gruppe anwenden, sei den Katzen unbekannt. Wer bei ihnen das Sagen hat, entscheidet sich von Fall zu Fall. «Eine Hierarchie kann sich immer wieder und wieder ändern», schreibt Müller.

Deshalb würden Katzen auch nicht Rangstreitigkeiten ein für alle Mal austragen. Und aus eben diesem Grund ergebe es manchmal durchaus Sinn, sich in Auseinandersetzungen einzumischen oder sie zu verhindern. «Auf keinen Fall aber», sagt die Tierpsychologin, dürfe man mit blossen Händen die Katzen zu trennen versuchen. «Dabei könnte man sich böse Kratzer und Bisse einhandeln.» Denn wenn der Kampf schon tobe, kenne das sanftmütigste Wesen weder Freund noch Feind.

Wer wen warum mag, bleibt unklar
Müller setzt auf Ablenkung, sowohl zur Verhinderung als auch zur Beendigung einer Keilerei. Oft lässt sich beobachten, wie die Stimmung zwischen zwei Katzen langsam kippt. Indem die eine die andere drohend anstarrt etwa, was gemäss Müller «äusserst unfein und gegen jede Katzenetikette» ist. Es geht nun darum, die starrende Katze dazu zu bringen, den Kopf von ihrem Gegenüber abzuwenden. Das könne man, indem man zwischen den beiden Tieren hindurchlaufe. Auch der Wurf eines Kissens oder sonst eines weichen Gegenstands auf das Hinterteil des Drohenden hilft. «Es soll nicht weh tun», sagt die Expertin, «aber es führt dazu, dass die Aufmerksamkeit der angriffslustigen Katze umgelenkt wird.» Es funktioniert auch, wenn die Anzeichen noch deutlicher auf Sturm stehen.

Wie es kommt, dass Geschwister wie Fritzi und Mitzi sich plötzlich nicht mehr mögen, andere hingegen ein Leben lang beste Freunde sein können, bleibt jedoch eines der vielen Rätsel, die das Wesen der Katze umgeben. Es gebe viele Theorien darüber, schreibt Müller in ihrem Buch, doch: «Nichts davon muss, alles kann aber stimmen.»

Bei Fritzi und Mitzi ist inzwischen gespannte Ruhe eingekehrt. Die beiden gehen sich aus dem Weg, jede der Katzen hat ihr eigenes Plätzchen. Und ihre Besitzer wissen jetzt, dass sie mit zwei Hitzköpfen zusammenleben, bei denen sie manchmal Schiedsrichter spielen müssen.

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Gabriele Müller: «Katzen-WG»
96 Seiten
Müller Rüschlikon 2014
ISBN 978-3-275-01972-4
ca. Fr. 14.–