Von Schmeichelkätzchen und Kratzbürsten
Wie viel Wildkatze steckt noch in der Hauskatze?
Katzen haben eine riesige Fangemeinde. Seit Tausenden von Jahren sind sie Kumpane des Menschen. Trotzdem haben sie ihr ursprüngliches Verhalten bewahrt. Wie viel Wildkatze steckt noch in ihnen? Eine Spurensuche.
Was weiss die Wissenschaft über die Herkunft und das Verhalten von Katzen? Jonathan B. Losos spürt in einem neu erschienenen Buch dieser Frage nach. Der Katzenhalter lehrt als Professor für Evolutionsbiologie an der Universität von Washington in den USA. Katzen haben eine grosse Fangemeinde, gehören zur Zivilisation, als wären es längst domestizierte Tiere. Irritierend ist nur, dass sich Ausdruck und Körperhaltung der Katze kaum von den Verhaltensweisen eines Löwen oder Tigers unterscheiden.
Die Domestikation setzt einen Veränderungsprozess voraus. Eine Milchkuh oder ein Hausschwein würden in der Natur nicht überleben. Bei einer Hauskatze ist das anders. Professor Losos stellt fest: «Tatsächlich belegt der Umstand, wie leicht ausgesetzte Katzen verwildern und wieder in ihre tief verwurzelten, ursprünglichen Verhaltensweisen verfallen, dass es mit der Evolution der Hauskatze nicht so weit her ist.» Neuere Erbgutstudien würden diese Ansicht bestätigen. Während Hunde in vielen Genen von Wölfen abwichen, seien es bei domestizierten Katzen und Wildkatzen nur eine Handvoll. Der Evolutionsbiologe folgert: «Katzen sind in Wahrheit kaum domestiziert.»
Nach herkömmlichen Auffassungen sind Katzen nur ein einziges Mal aus Nordafrikanischen Wildkatzen domestiziert worden, wohl irgendwo im Nahen Osten. Neuere Befunde stellen diese Annahmen jetzt auf den Kopf. So schreibt Jonathan Losos über einen verblüffenden archäologischen Fund von Katzenknochen, die bei Ausgrabungen eines 5300 Jahre alten Dorfs in Zentralchina zum Vorschein kamen. Aufgrund der Art, wie das Skelett lag, und von Untersuchungen zur Nahrung könne davon ausgegangen werden, dass es sich um ein Familienmitglied gehandelt haben müsse, das da beigesetzt worden sei. Knochenanalysen zeigten, dass es sich ohne jeden Zweifel um Chinesische Bengalkatzen und nicht um Wild- oder Hauskatzen gehandelt habe.
Allerdings haben sich Chinesische Bengalkatzen nicht in der Haltung etabliert. Sie haben sich wohl in Dörfern herumgetrieben, sich vermutlich auch füttern lassen, doch sie folgten ihren nordafrikanischen Verwandten nicht auf dem Weg in die Domestizierung. Als die Hauskatze vor etwa zweitausend Jahren nach China gebracht wurde, besetzte sie die Dorfkatzen-Nische. Sicher, weil sie zutraulicher war, oder vielleicht auch ganz einfach, weil sie als bessere Mäusefängerin wirkte. Bei Hauskatzen können keine Gene von den Chinesischen Bengalkatzen nachgewiesen werden. Eine Vermischung hat also nie stattgefunden.
Jahrtausende Jahre alte Beziehung
Jonathan Losos stellt klar: «Die heutige Hauskatze stammt von der Nordafrikanischen Wildkatze ab.» Er untermauert dies mit Aussagen von Tierpflegern aus Zoos, die mit Wildkatzenarten arbeiten.
Die nordafrikanischen Wildkatzen seien zutrauliche Tiere, während Bengalkatzen richtige Kratzbürsten seien. Auch Europäische Wildkatzen, obwohl enge Verwandte der Afrikanischen Wildkatzen, seien sehr unfreundlich dem Menschen gegenüber. Nicht alle Arten eignen sich also zum Leben beim Menschen.
979 Blutproben von Wildkatzen in Asien, im Nahen Osten und in Afrika sowie von weltweit gesammelten Proben von Hauskatzen zeigen, dass es vier genetische Gruppen von Wildkatzen gibt. Nicht drei, wie bisher von der Wissenschaft angenommen wurde. Nicht nur Europäische und Asiatische Wildkatzen sind verschieden, sondern auch die Afrikanische Wildkatze zerfällt in zwei genetisch verschiedene Gruppen, nämlich in die Südafrikanischen und die Nordafrikanischen Wildkatzen. Sie werden auch als Südliche und Nördliche Falbkatzen bezeichnet. Zur Nordafrikanischen Wildkatze werden auch die Populationen im Nahen Osten gerechnet.
Weiter wiesen die Untersuchungen auf die extreme genetische Variabilität von Hauskatzen hin. Gemäss Jonathan Losos beweist dies, dass die Nordafrikanische Wildkatze wiederholt an ganz verschiedenen Orten domestiziert worden ist. «Die Hauskatze und die Wildkatze gehören derselben biologischen Art an: Sie kreuzen sich bereitwillig, und ihre hybriden Nachkommen sind kaum von nicht hybriden Mitgliedern beider Arten zu unterscheiden.» Gerade dieser Mangel an Unterscheidungsmerkmalen verdeutliche, dass der Domestikationsprozess die Hauskatzen ihren Wildkatzen-Ursprüngen kaum entfremden konnte.
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Es gibt zahlreiche Hypothesen zur Frage, wie Katzen domestiziert wurden. Vermutlich begann alles damit, dass sie sich freiwillig zum Menschen gesellten. Vielleicht holten Menschen aber auch junge Katzen zu sich. Die Zutraulicheren blieben und pflanzten sich fort. Menschen und Katzen leben in einer Tausende von Jahren währenden Beziehung. Das älteste Zeugnis über das Zusammenleben von Katzen und Menschen stammt von 9500 Jahre alten Gräbern auf Zypern, wo Menschen- und Katzenskelette zusammengefunden wurden.
Und bei einem Blick in die Zukunft resümiert der Katzenforscher verschiedene Szenarien. Er spricht gar davon, dass neue, friedlichere und häuslichere oder gar wesentlich grössere Rassen herausgezüchtet werden könnten, und erwägt auch die Möglichkeit, dass verwilderte Katzen eine neue evolutionäre Verwandlung zu neuen Wildkatzen durchlaufen könnten. Klar ist, die Geschichte von Menschen und Katzen wird weitergehen.
Schmökerecke
Der Autor Jonathan B. Losos spürt der langen Kulturgeschichte der Katze und ihrer Evolutionsbiologie nach. Die 20 Kapitel lesen sich wie ein Roman. Katzen aus der Sicht eines Forschers aus den USA.
Jonathan B. Losos: «Von der Savanne aufs Sofa», Hanser-Verlag, 382 Seiten
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