Muscheln in der Schweiz
Quagga, Zebramuschel & Co: Gekommen, um zu bleiben
Seit Jahrzehnten breiten sich invasive Muscheln in Schweizer Gewässern aus. Nun sprengt die Quagga-Muschel alle bisherigen Dimensionen. Während sie massiven Schaden anrichtet, drohen einheimische Arten, in Vergessenheit zu geraten. Innovative Lösungsansätze lassen hoffen, dass jede Plage auch ihren Nutzen hat.
Auf den ersten Blick wirkt er wie ein Betrunkener, wie er da mit seinem Rechen im seichten Wasser umhertänzelt. Nur der Neoprenanzug und die Konstanz der gleichmässigen Bewegung verraten: Hier ist jemand mit Erfahrung am Werk. Muscheln fischen ist für Manuel Vock von der Leidenschaft zu einem Nebenjob geworden. Aufgewachsen am Zürichsee, hat er einen Grossteil seines Lebens im und am Wasser verbracht. «Seit ich denken kann, fasziniert mich alles, was mit Wasser zu tun hat», erzählt der aufgeweckte Zürcher. «Ich muss jedes Gewässer so lange studieren, bis ich es verstanden habe.»
[IMG 2]
Als Teenager begann er, sich auch für Aquaponik zu interessieren – eine Technik, die Fischzucht mit Indoor-Gemüseanbau verbindet. Fasziniert von der Biodiversität der Korallenriffe, begann er, die dort geltenden Regeln auf das Aquaponik-System zu übertragen. So kam es, dass in seinen mittlerweile professionellen Anlagen nicht nur Fische, sondern noch viele weitere Lebewesen wie Krebse, Muscheln und sogar Schnecken leben. «Für mich gibt es keine Schädlinge, nur Nützlinge», sagt er mit einem breiten Grinsen.
Etwas für den Gaumen
Mit derselben Einstellung begegnet Manuel Vock invasiven Muschelarten: Er will sie nicht per se bekämpfen, sondern vor allem nutzen. Zuerst versuchte er dies mit Wandermuscheln – auch Zebramuscheln genannt –, die den Zürichsee schon seit Jahrzehnten invasiv bevölkern. «Wenn man sich die Füsse aufschneidet am Seegrund, war es höchstwahrscheinlich eine Wandermuschel», weiss Vock aus Erfahrung. Das orangefarbene Fleisch der Wandermuscheln erinnert zwar an dasjenige von Miesmuscheln, der Geschmack ist jedoch weniger vorzeigbar. «Drei Jahre lang habe ich versucht, Wandermuscheln kulinarisch verfügbar zu machen», so der Tüftler. «Man müsste sie aber so lange abkochen, bis sie nach gar nichts mehr schmecken.» Als er dann eines Tages beim Fischen auf eine Asiatische Körbchenmuschel stiess, dachte er sich: «Endlich etwas, das man essen kann!»
Leben im Sand
Heute verkauft Manuel Vock wöchentlich bis zu 40 kg der invasiven Muschelart. Möglich wäre noch viel mehr, denn der sandige Boden des Zürichsees ist an seichten Stellen mittlerweile voll von den kleinen Muscheln aus Südostasien. In den 80er-Jahren gelangten sie – vermutlich durch Ballastwasser auf Frachtschiffen – nach Europa. Nur wenige Jahre später erreichten sie schweizerische Gewässer und breiteten sich nach und nach aus. «Wo es Sand hat, ist auch die Asiatische Körbchenmuschel, egal in welchem See», ist Vock überzeugt. Er selbst fischt jedoch nur im Zürichsee, wo er sich über die Jahre hinweg einen kleinen Kundenstamm aufgebaut hat.
[IMG 3]
Obwohl die Körbchenmuscheln nur wenig Fleisch zu bieten haben, mauserten sie sich in lokalen Restaurants zu einer beliebten Alternative zu importierten Muschelarten. Besonders gut passt sie in Pastagerichte, die traditionellerweise mit Meeresmuscheln hergestellt werden. «Die Asiatische Körbchenmuschel lebt ähnlich wie die Venusmuschel im Meer und sieht auch fast gleich aus», erklärt Vock. Der Geschmack verrät jedoch ihre Herkunft. «Sie ist nicht so salzig, sondern eher süsslich», macht Vock den Vergleich. Von Sternerestaurants werde die Asiatische Körbchenmuschel sogar als Gewürz verwendet, um ein dezentes Seearoma auf Gerichte zu zaubern.
Sammelspass mit Grenzen
Manuel Vock empfiehlt jedem, der es ausprobieren möchte, die Muscheln selbst zu fangen. «Wer an einer sandigen Stelle badet, hat recht schnell ein halbes Kilo zusammen», sagt er. «In einer Hand voll Sand sind meist schon zwei Muscheln drin.» Sie zu braten, ist auch keine Hexerei. «Es braucht dazu nur etwas Butter, Zwiebeln und Salz, dann kann man die Muscheln mit Croûtons als Vorspeise servieren.»
[IMG 4]
In zu grossen Mengen sollte man die Muscheln jedoch nicht zu sich zu nehmen. Denn wie alle ihre Artgenossen filtern sie jeden Tag viel Wasser, um an ihre Nährstoffe wie Plankton oder abgestorbene Pflanzenreste zu gelangen. «Dabei akkumulieren sie auch alle anderen Stoffe», wie Vock erklärt. «Wenn also Schadstoffe wie Schwermetalle und Pestizide im Wasser sind, findet man sie auch in den Muscheln.» Tests an seinen Körbchenmuscheln hätten jedoch sehr tiefe Werte angegeben. «Es sind halt sehr viele Muscheln, von denen eine einzelne nur wenig akkumuliert», erklärt der Unternehmer das Ergebnis. Er selbst hat bei den Schalentieren nicht viel mehr Hemmungen als bei anderen Wasserlebewesen. «Man sollte auch nicht zu viele Fische im Wildfang essen wegen all den Giftstoffen, die sich in ihnen ansammeln», ist er überzeugt. «Das gilt aber weltweit, und nicht nur bei uns.»
Heimische Muschelarten auf dem Rückzug
Die Idee, Muscheln aus dem Zürichsee zu essen, ist indes keine Erfindung des 21. Jahrhunderts. Früher fand man am seichten Seegrund viele grosse, fleischige Maler- und Teichmuscheln. Im grossen Stil wurden heimische Muschelarten jedoch nie gefischt. Hauptsächlich arme Leute sammelten sie ab und an, um damit alte Brote aufzupeppen. Trotzdem verschwanden die meisten dieser Muschelarten in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts nach und nach von der Bildfläche. Hauptgründe dafür sind die Wasserverschmutzung sowie der Verlust von Lebensräumen durch Flussbegradigungen und Uferverbauungen. «Pro Jahr finde ich noch etwa zwei, drei lebendige Malermuscheln», erzählt Manuel Vock.
Noch seltener geworden als die Malermuschel, ist die Gemeine Bachmuschel. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts war das Weichtier noch weit verbreitet und von Genf bis zum Bodensee in allerlei Gewässern zu finden. Heute wird sie nur noch sehr selten gesichtet – meist in den sauberen Abflüssen von Naturschutzgebieten. Da die Bachmuschel schon seit Längerem akut vom Aussterben bedroht ist, hat der Kanton Zürich bereits Ende der 90er-Jahre erste Ansiedlungsversuche unternommen. Allerdings stellte sich dies als extrem schwierig heraus. Essenziell für die Entwicklung der Bachmuschellarven ist nicht nur eine einwandfreie Wasserqualität, sondern auch eine parasitäre Phase in den Kiemen von Kleinfischen. Besonders gut eignen sich dafür Elritzen.
Outdoor-Zucht erstmals geglückt
Als der Naturschutzverein Sihltal mit einem Zuchtprojekt für Bachmuscheln beauftragt wurde, war von Beginn weg klar, dass dies mit einer Elritzen-Zucht einher gehen würde. Mit einer Aufzuchtbox, die permanent von Frischwasser durchlaufen wird, ist es im letzten Jahr endlich gelungen, eine erfolgreiche Zucht von jungen Bachmuscheln nachzuweisen. «Meines Wissens sind wir die ersten, die dies in einer Laufrinne im Freien geschafft haben», sagt Vereinspräsident und Gewässerexperte Rolf Schatz.
Die Installation, die der Naturschutzverein Sihltal weiterhin betreut und weiter ausbaut, befindet sich bei einem Waldweiher oberhalb von Thalwil. «Trächtige Muscheln werden im Frühjahr zu uns gebracht, wo sie die Larven im Becken abspritzen», erzählt Rolf Schatz. Die Elritzen, die meinen, es habe Futter geregnet, werden so herbeigelockt. Die perfekte Gelegenheit für die jungen Larven, sich an ihren Kiemen festzubeissen. In den folgenden drei bis vier Wochen verwandeln sie sich dort in winzige Muscheln. «Dann lassen sie sich fallen und graben sich im Sand ein», erklärt Rolf Schatz. Dank dem ständigen Durchfluss an Frischwasser, fehlt es ihnen nie an Nahrung. «Damit das Futter und der Sauerstoff in den Sand gelangen, müssen wir die Becken aber mehrmals pro Woche überprüfen und Ablagerungen auf dem Sand absaugen», so der Vereinspräsident. «Ob es geklappt hat, wissen wir lange nicht, da wir nicht ständig nachschauen, um sie nicht zu stören.»
[IMG 5]
Erst im vergangenen Dezember, als die 20 überlebenden jungen Muscheln auf die Grösse einer Erbse herangewachsen waren, wurden sie im Bach eingesetzt, um für den nächsten Zuchtversuch Platz zu machen. Ob die Bachmuscheln in zwei bis drei Jahren die Geschlechtsreife erreichen werden und sich weiter fortpflanzen können, ist unklar. «Das ist wie Kaffeesatz lesen», meint Rolf Schatz. «Wir wissen nicht, ob sie überleben, aber wir müssen es versuchen, denn es ist unsere einzige Chance.»
Die Entwicklung der invasiven Muschelarten in der Schweiz findet er äusserst besorgniserregend. «Im Zürichsee müssen wir seit Jahren einen Rückgang der Fischbestände hinnehmen», so der Gewässerexperte. «Ob hier ein Zusammenhang mit den invasiven Muschelarten besteht, ist noch unklar, aber denkbar.»
Viele Fachleute mahnen seit Jahren, dass die invasiven Muschelarten das ökologische Gleichgewicht durcheinanderbringen. Das viele Plankton, welches sie aus dem Wasser filtern, fehle den heimischen Arten. Besonders viel Potenzial, die heimische Wasserfauna auf den Kopf zu stellen, hat die Quagga-Muschel.
Die rasante Invasion der Quagga
Kaum zehn Jahre ist es her, seit in der Schweiz dieerste Quagga-Muschel nachgewiesen wurde. Heute ist die invasive Art bereits in den meisten grossen Seen zu finden. Und wo sie einmal ist, bekommt man sie auch nicht mehr so schnell weg. Denn natürliche Feinde hat sie hier kaum. Das Schadenpotenzial übertrifft bisherige invasive Muschelarten bei Weitem. Der Grund: Sie gedeiht nicht nur in seichten Uferzonen, sondern auch in Tiefen von über 250 Metern, wo sie gar keine Fressfeinde mehr hat. Durch diesen Vorteil hat die Quagga-Muschel das Potenzial, sich auf enormen Flächen auszubreiten.
Berufsfischer der betroffenen Seen spüren die Veränderungen an vorderster Front. Während schon seit Längerem immer weniger Egli und Zander in ihren Netzen landen, verbringen die Fischer nun auch noch zunehmend Zeit damit, ungeniessbare Muscheln aus ihren strapazierten Netzen zu klauben.
Regeln beim Wechsel von Gewässer
Kontrollieren Sie das Material direkt nach dem Auswassern und entfernen Sie alle Pflanzen und Tiere.
Reinigen Sie das ganze Material gründlich (am besten mit heissem Wasser) und leeren Sie Restwasser komplett aus.
Lassen Sie das Boot und/oder die Ausrüstung trocknen, bevor es wieder verwendet wird.
Die Quagga-Muschel bevölkert nicht nur den Seegrund, sondern auch allerlei Infrastruktur, wodurch sie ganze Rohre verstopfen kann. Bei Wasserversorgungen und Kühlwassersystemen entstehen auf diese Weise Schäden in Millionenhöhe. Im Bielersee, wo die Quagga-Muschel schon seit 2019 ihr Unwesen treibt, wurde für das neue Seewasserwerk ein spezielles Reinigungsgerät für Quagga-Larven entwickelt. Um zu verhindern, dass die mikroskopisch kleinen Tierchen in jeden Winkel des Wasserwerks gelangen, werden sie im neuen System regelmässig aus den Leitungen zurück in den See gepresst. «Eine Weltneuheit», berichtete das SRG-Wissenschaftsmagazin «Einstein». Diverse andere Seewasserwerke aus dem In- und Ausland hätten schon Interesse an der neuen Technologie angemeldet. Kein Wunder, denn die Quagga-Muschel hält neben der Schweiz auch viele andere Länder auf Trab. Der riesige Lake Michigan im Norden der USA ist zum traurigen Symbol geworden, was nach Jahrzehnten der Quagga-Invasion mit einem See passieren kann: Dort macht die unbeliebte Muschel mittlerweile über 95 Prozent der Biomasse aus.
Gewässerspezialist Rolf Schatz ist davon überzeugt, dass den Schweizer Seen dasselbe Schicksal droht. «Ich sehe keine Begründung, warum es bei uns anders laufen könnte», analysiert er die Lage. Obwohl die Übertragungswege schon seit Jahren bekannt gewesen seien, habe man viel zu viel Zeit verloren, indem auf Eigenverantwortung gesetzt wurde. «Die kantonalen Fachstellen, die schon lange ein härteres Vorgehen gewünscht hatten, wurden immer wieder von den politischen Vorgesetzten zurückgebunden», betont er. «Jetzt, wo die Katastrophe sich anzubahnen beginnt, haben die Kantone reagiert und entsprechende Gesetze zum Einwässern von Booten erlassen.Endlich – und reichlich spät.» Trotzdem möchte auch Rolf Schatz den Kopf nicht in den Sand stecken und weiter gegen die Ausbreitung ankämpfen. Ganz nach dem Motto des ETH-Wasserforschungsinstituts Eawag: «Jedes Jahr in einem Gewässer ohne Quagga ist ein gewonnenes Jahr!»
Muscheln als Baustoff
Weltweit wird mit Hochdruck an einer Lösung geforscht, um die Quagga-Invasion zu stoppen. Eine Möglichkeit, den Spiess dereinst vielleicht umzudrehen, liefert das Schweizer Start-up Alien Limited. Dieses zielt auf zirkuläre Lösungen ab, um die Verbreitung derinvasiven Muscheln einzudämmen. «Wir wollten eine Technologie zur Verarbeitung dieser Muscheln entwickeln, um sie zu Biomaterialien und erneuerbarer Energie zu verwerten, anstatt sie zu verbrennen», erklärt Gründerin Carole Fonty. «Wir gewinnen unter anderem Kalkstein, der natürlicherweise in den Schalen dieser Muscheln vorkommt.» Dieser Muschelkalk könne auf verschiedene Art und Weise verwendet werden. «Wir haben uns für die Zementindustrie entschieden, weil der Kalkstein der Quagga-Muscheln eine nachhaltige Alternative zu felsigem Kalkstein ist.» Aus dem ungeniessbaren Fleisch der Muschel will das Start-up Biogas herstellen. «Damit wird unser Verarbeitungsprozess CO2-neutral», erklärt Carole Fonty.
Ob die Genferin mit ihrem Unternehmen die Ausbreitung der Quagga-Muschel wirksam eindämmen wird, weiss sie noch nicht. «Wir hoffen es und tun alles dafür!», stellt sie aber klar. Man dürfe jedoch nicht vergessen, dass die Technologie noch ganz neu sei. «Die Zusammenarbeit mit Wissenschaftlern ist für uns von entscheidender Bedeutung», so Fonty. Bis zum geplanten Start 2026 stehen noch weitere Tests an. Diesen Sommer soll die Technologie zum ersten Mal in einem Schweizer See zur Anwendung kommen. «Ziel ist es, alle potenziellen Umweltrisiken zu identifizieren und minimieren.»
Alle können mithelfen
Am Wasserforschungsinstitut Eawag ist man offen für kreative und innovative Lösungen zur Bekämpfung von invasiven Muschelarten. Derzeit befinde man sich im Gespräch mit Alien Limited, inwieweit ihre Massnahmen Auswirkungen auf das Ökosystem haben könnten, so Alexandra Weber, Gruppenleiterin der Abteilung Aquatische Ökologie. Sie ist Teil einer kürzlich gegründeten «Quagga-Fachstelle», wo relevante Informationen zur Lage schnellstmöglich zugänglich gemacht werden sollen. Bisher gibt es jedoch wenig Erfreuliches zu verkünden. «Der Fokus liegt aktuell darauf, eine weitere Verbreitung zu verlangsamen», betont Weber. Dies durch Bootsmelde- und Reinigungspflichten, sowie das Reinigen, Trocknen und Kontrollieren von Wassersport- und Fischereimaterial (siehe Box).
Immerhin, etwas Positives bringe die problematische Muschel mit sich: «Das grosse mediale Interesse an der Quagga-Muschel hat sicherlich das Potenzial, den heimischen Muschelarten zu mehr Aufmerksamkeit zu verhelfen», so die Wissenschaftlerin. Denn obwohl schon seit den 90er-Jahren klar ist, dass ihre Zukunft in unseren Gewässern bedroht ist, sei das öffentliche Interesse klein geblieben. «Ein Grund dafür ist bestimmt, dass sie von Natur aus relativ schwer zu beobachten sind», meint Weber. Offen bleibt die Frage, ob sie es aufs grosse, öffentliche Parkett schaffen, bevor sie gänzlich von der Bildfläche verschwinden.
Bitte loggen Sie sich ein, um die Kommentarfunktion zu nutzen.
Falls Sie noch kein Agrarmedien-Login besitzen:
Jetzt registrieren