Interview
Die unbekannte Welt der Schlupfwespen
Beim Wort «Wespe» denken die meisten an ungeliebte Störenfriede sommerlicher Gartenpartys. Dabei ist das Reich der Wespen fast unendlich viel grösser und noch längst nicht vollends erforscht. Schlupfwespen-Experte Hannes Baur gibt im Interview einen Einblick in eine weitgehend verborgene Welt.
Herr Baur, wie sind Sie selbst auf Schlupfwespen aufmerksam geworden?
Ich war Anfang der 90er-Jahre auf der Suche nach einer Insektengruppe, die noch möglichst unbekannt ist. Wenn man sammeln geht, kann man noch heute neue Schlupfwespenarten finden. Da besonders die Erzwespen noch sehr schlecht untersucht waren, habe ich mich vertieft mit ihnen beschäftigt. Es war ein Eintauchen eine unbekannte, aber auch sehr faszinierende Welt.
Was fasziniert Sie am meisten an Schlupfwespen?
Schlupfwespen haben eine spezielle Lebensweise, indem sie auf Kosten von anderen Insekten leben. Im Gegensatz zu einem normalen Parasiten wie einem Floh überlebt der Wirt jedoch nicht. Man spricht daher bei Schlupfwespen von Parasitoiden. Das Weibchen einer Schlupfwespe legt ihre Eier in einem Wirtstier ab. Das kann die Raupe eines Schmetterlings sein, ein ausgewachsener Käfer oder die Eier einer Wanze. Die Larve der Schlupfwespe entwickelt sich darin auf Kosten des Wirtstieres, frisst es auf, oder saugt es aus. Anschliessend verpuppt sich die Larve der Wespe und entwickelt sich zum ausgewachsenen Insekt. Ich finde es sehr spannend, welch vielfältige Strategien die Schlupfwespen zum Auffinden und Überwältigen der Wirte entwickelt haben.
Ist diese Lebensweise der Schlupfwespen der Grund, weshalb sie so beliebte Schädlingsbekämpfer sind?
Ja, Schlupfwespen spielen als Parasitoide eine grosse Rolle in der Schädlingsbekämpfung. Sie schädigen ihr Wirtstier nicht nur, wie das zum Beispiel eine Zecke macht, sondern töten es immer. Der Maiszünsler zum Beispiel – ein Schmetterling, der den Mais befällt und dort Schäden anrichtet – wird seit Jahren gezielt mit Schlupfwespen bekämpft. Parasitoiden sind also immens wichtig zur Regulierung von pflanzenfressenden Insekten und sorgen dafür, dass sie nicht überhandnehmen.
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Leider parasitieren Schlupfwespen nicht nur landwirtschaftliche Schädlinge, sondern auch vom Aussterben bedrohte Wildbienenarten. Können Schlupfwespen auf dieses Weise selbst zu Schädlingen werden?
Wenn man eine Ansiedlung schlecht umsetzt, könnte das potenziell schon Probleme geben. Heutzutage sind die Regeln aber sehr streng. Wenn man zur Bekämpfung eines pflanzenfressenden Insekts einen Organismus einführen will, wird ziemlich lang getestet, ob diese Schlupfwespe auf genau diesen Schädling geht und nicht auf andere Wirtstiere. In der freien Natur sind Schlupfwespen aber die natürlichen Feinde der Wildbienen und sorgen nur dafür, dass sie sich nicht massenhaft vermehren und ein austariertes Gleichgewicht herrscht.
Muss man also keine Bedenken haben, wenn man in seinem Garten Schlupfwespen entdeckt?
Im Gegenteil. Wer Insekten fördert, fördert auch ihre Feinde. Natur ist eben nicht nur umherfliegende Bienen. Manche Tiere fressen Pflanzen, andere Fleisch und es ist ganz natürlich, dass Schlupfwespen kommen, wenn es Wildbienen hat. Das macht es auch spannender, sie zu beobachten.
Wo kann man Schlupfwespen am besten beobachten?
Wer ein Bienenhotel im Garten hat, kann Schlupfwespen mit etwas Glück sehen. Eine zweite Möglichkeit ist Totholz. Ist dieses nicht mit Insektiziden behandelt, ist das ein wahres Eldorado für Schlupfwespen. Auch in Brennnesseln oder an Disteln hat es häufig Schlupfwespen dran. Weitere Tipps und Details zur Beobachtung von Schlupfwespen findet man in unserem Buch.
Schlupfwespen fressen Glück nicht nur Wildbienenlarven und Raupen von hübschen Schmetterlingen, sondern schaden auch von unbeliebten Gartenbewohnern wie Blattläusen. Gibt es Tricks, wie man solche Schlupfwespen gezielt in den Garten lockt?
Wer Schlupfwespen im Garten haben will, macht dasselbe, was nötig ist, um andere Insekten anzulocken. Also reichhaltige Strukturen schaffen mit einheimischen Pflanzen und einem reichen Angebot von Blütenpflanzen wie Astern oder Lippenblütlern. Gehölze, wo sich Insekten verstecken und ihre Eier legen können, sind sehr wertvoll. Möglichst wenig spritzen und düngen, ist das, was für die meisten Insekten gilt und auch für Schlupfwespen. Naturgärten können übrigens wichtige Trittsteine sein, damit die Wespen von einem Naturschutzgebiet ins nächste gelangen. Denn sie können nicht unendlich weit fliegen.
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Sind Schlupfwespen auch so wärmeliebend wie ihre stachelbesetzten, gelb-schwarzen Verwandten, die uns regelmässig am Esstisch besuchen?
Generell ja, denn Schlupfwespen kommen raus, wenn es möglichst warm, trocken und windstill ist. Weil sie oft nur wenige Millimeter gross sind, werden sie sonst vom Wind sofort mitgetragen.
Profitieren Schlupfwespen vom Klimawandel?
Diese Frage kann ich nicht abschliessend beantworten. Es wird ja nicht nur wärmer bei uns. Häufig ist eher das Problem, dass wir festsitzende Wetterlagen haben, wie im Frühsommer 2024, als es über Wochen und Monate sehr nass war. Andere Jahre regnete es über zwei Monate lang fast nicht mehr. Wenn alles austrocknet oder alles geflutet wird, ist das für keine Insekten gut. In dem Sinne habe ich nicht das Gefühl, dass sich der Klimawandel generell positiv auf die Schlupfwespen auswirkt. Wenn, dann hilft er südlicheren, wärmeliebenden Arten, sich bei uns zu verbreiten.
Wie steht es um unsere heimischen Arten?
Ich stelle fest, dass ich seit gut zehn Jahren viel weniger Schlupfwespen finde als früher. In den 90er-Jahren habe in der Trockenwiese hinter meinem Haus Arten gefunden, die ich heute nicht mehr finde. Das ist mir ein Rätsel.
Haben Sie das Buch über Schlupfwespen geschrieben, um diese für viele verborgene Tierart etwas bekannter zu machen?
Absolut. Denn man sollte beim Wort «Wespen» nicht nur an die Arten denken, die stechen können – wobei es ohnehin nur zwei gibt, die uns lästig werden können. Schlupfwespen können uns gar nichts antun und davon gibt es etwa 6000 Arten. Für die breite Leserschaft gab es über sie aber noch kein deutschsprachiges Buch.
Was sollte Ihrer Meinung nach jeder und jede über Schlupfwespen wissen?
Dass Natur etwas sehr Vielfältiges ist und ganz unterschiedliche Kreaturen unterwegs sind, die verschiedene Dinge tun. Schlupfwespen haben darin einen extrem wichtigen Platz. Gäbe es sie nicht, würden die pflanzenfressenden Insekten überhandnehmen und im Frühling wäre schon alles kahlgefressen. Deshalb ist es ganz wichtig, dass es diese Parasitoiden gibt. Sie sind ein sehr wichtiger Teil des Ökosystems.
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