Katta trifft auf Waschbär
Johns kleine Farm lebt im Bioparc Genf weiter
Im August 2024 musste Johns kleine Farm im bernischen Kallnach aufgelöst werden. Doch das war nicht das Ende des innovativen Kleinzoos. Die Tiere aus Kallnach und die Zoophilosophie leben weiter im Bioparc Genf.
Lydia schaut, watschelt, schnäbelt sanft, schmiegt sich in den Arm. Der Coscorobaschwan erkennt John-David Bauder sofort, als er durch sein Gehege geht und lässt sich von ihm liebkosen. Der stämmige Mann kämpft kurz mit den Tränen. Er hat eine bewegte Zeit hinter sich. Nach28 Jahren musste er aufgrund eines Beschlusses der Gemeindeversammlung des Seeländer Dorfes Kallnach – und wegen finanziellen Problemen des Trägervereins – seinen Zoo Johns kleine Farm im August 2024auflösen.
Lydia amtete im Hof des Bauernhauses, dem Kernpunkt von Johns kleine Farm, als Empfangsdame – und hat jetzt die gleiche Aufgabe im Bioparc Genf. «Lydia ist eine bekannte Persönlichkeit», betont Dr. Tobias Blaha, der Direktor des Parks im Genfer Vorort Bellevue. Ob früher in Kallnach oder jetzt in Bellevue, mit der schneeweissen südamerikanischen Schönheit mit korallenrotem Schnabel müssen sich alle auseinandersetzen. Sie watschelt forsch hinzu, schaut, bleibt sanft, wenn sie beim Menschen auf Resonanz stösst, kneift, wenn sie gefühllos behandelt wird. Der Rundweg durch den Bioparc führt durch die begehbare Voliere mit Lydia und den Streifengänsen von Johns kleine Farm.
Der Coscorobaschwan und die Streifengänse sind nicht die einzigen Charaktertiere aus Kallnach, die jetzt im Bioparc leben. Am 18. Juni 2025 wurde im Genfer Zoo der Bereich Johns kleine Farm eröffnet. «Unser Maskottchen ist der Katta, dasjenige von Johns kleiner Farm war der Waschbär», sagte Tobias Blaha vor der Inauguration des besonderen Geheges, das mit einem ansprechenden Plakat gekennzeichnet ist. Die Illustration zeigt einen Katta und einen Waschbären, die sich begrüssen.
Die beiden Kamele Osinka und Leetyou zupfen das Grün von Haselzweigen, die ihnen Tobias Blaha und John-David Bauder reichen. «Es sind ideale Tiere für die tiergestützte Therapie», bestätigt Tobias Blaha. Der Bioparc ermöglicht Menschen mit Beeinträchtigung direkten Kontakt mit Tieren, dies unter Anleitung von speziell dafür ausgebildetem Personal.
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Osinka und Leetyou bringt so schnell nichts aus der Ruhe. Sie sind sich an Menschen gewöhnt, die sie berühren und zu den stoischen Gesichtern der Wüstenbewohner aufblicken. In Johns kleine Farm waren sie Teil des Streichelzoos, einem besonderen, schweizweit einzigartigen Konzept mit verschiedenartigen Tieren. «Mich hat an Johns kleine Farm stets angesprochen, dass der direkte Kontakt mit Tieren möglich ist», sagt Ruth Schreiner aus Frauenfeld (TG). Das Mitglied des Kallnacher Zoovereins liess es sich nicht nehmen, extra für die Eröffnung nach Genf zu reisen und die bekannten Tiere aus dem Berner Seeland wieder zu sehen. Sie leben in unterschiedlichen Bereichen des Bioparcs.
Enger Tierkontakt schafft Verbindlichkeit
Es war schwierig, rasch nach der Schliessung von Johns kleine Farm am 18. August 2024 eine Lösung für all die Tiere zu finden. «Ein schmaler Grat zwischen Freude und Leid, wir schwitzten Blut und Tränen», erinnert sich der Veterinär Tobias Blaha. Als den Genfer Park der Hilferuf aus Kallnach erreichte, klärte die Stiftungsratspräsidentin des Bioparcs und Kantonspolitikerin Christina Meissner sofort mit dem Kanton Genf Details ab. Die Kamele brauchten zusätzliche Unterstände. Weil das Terrain des Bioparcs in der Anflugschneise des Genfer Flughafens liegt, darf nicht neu gebaut werden. «Wir erarbeiteten ein System mit fahrbaren Unterkünften und Futterlagerstellen», erklärt der Zoodirektor.55 Tonnen Sand wurden vom Bioparc Team, welches aus zwölf Angestellten besteht, und Freiwilligen, mit Schubkarren ins Gehege gebracht. Am 28. August 2024 wurde der Vertrag zur Übernahme der Tiere unterzeichnet, am 12. September trafen sie im neuen Domizil in Genf ein. John-David Bauder erinnert sich: «Ich organisierte einen Pferdetransporter mit Anhänger. Vom Igeltanrek über die Köhlerschildkröten bis zu den Kamelen fanden alle rund 30 Tiere Platz darin.»
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Ein Park mit direktem Tiererlebnis
Die beiden Barockesel Max und Raffi zupfen im Schatten eines Baums Heu aus einer Tonne. Alle, die den Bioparc betreten, sehen sie sofort, wenn ihr Blick nicht als erstes von den Streifenhörnchen angezogen wird, die durch Volierentunnel von einem Gehege ins nächste wuseln. Die Idee, Gehege miteinander zu verbinden, stammt aus Kallnach. Auch mit den übernommenen Frettchen ist ein solches Haltungssystem geplant. Prinz, das Alpaka, trottet mit den Zwergziegen Emilia und Emile im oberen Parkbereich herum, als wären sie schon immer in Genf gewesen, die Spaltenschildkröte kriecht im Terrarium über Felsen, als wäre sie irgendwo im tropischen Afrika unterwegs. Wie die Tiere aus Johns kleine Farm stammen auch diejenigen aus dem Bioparc zur Hauptsache aus Tierschutzfällen.
Beide Parks haben eine ähnliche Philosophie. Der Kontakt von Mensch und Tier steht im Zentrum. «Die emotionale Bindung macht ein Tiererlebnis einzigartig», sagt Tobias Blaha. Die Faszination für das Tier und die Bindung zu ihm, bewegten zum Handeln, dies sei wissenschaftlich erwiesen, doppelt Blaha nach. «Gerade bei domestizierten Tieren spricht nichts gegen einen engen Kontakt. Wir freuen uns doch alle darüber.»
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Besucherinnen und Besucher geben dieser Haltung recht. Ob früher in Kallnach oder jetzt im Bioparc, Tiere können direkt erlebt werden – und das ist es auch, was Menschen massenweise in den Bioparc zieht, so sehr, dass er in etwa fünf Jahren auf ein viel grösseres Gelände in der Gemeinde Thônex (GE) umziehen wird.
John-David Bauder und Tobias Blaha sind beide durch den ehemaligen Schweizer Zoodirektor Heini Hediger geprägt, der vier Hauptaufgaben des Zoos definierte, worunter auch die Erholung des Menschen zählt, die er im Zoo findet. «Hediger sagte, dass ein Zoo kein Jahrmarkt, sondern eine Kulturinstitution sei», zitiert Bauder den wegweisenden Zoologieprofessor.
Der Serama-Hahn Rooster pickt auf den Tischen nach dargereichten Mehlwürmern, nebenan gieren die beiden Kamele nach weiteren Zweigen. «Wenn man abends nach dem Zoobesuch nicht nach Kamel riecht, war man nicht im Zoo», sagt John-David Bauder und lächelt. Seine Tiere und Ideen leben weiter.
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