Spätestens mit der derzeit grassierenden Corona-Pandemie wird uns allen klar, dass die Welt zum Dorf geworden ist. Früher für unüberwindbar gehaltene Ent­fernungen legen wir heute zurück wie einen Katzensprung. Das merken auch die Taubenzüchterinnen und -züchter. Viele neue Rassen bereicherten in den letzten Jahrzehnten unsere Ausstellungen.  

Doch kommen nicht nur bereichernde Elemente, sondern auch negative wie das Rotavirus. 2016 drangen Nachrichten aus Australien zu uns vor, die von schweren Krankheitsausbrüchen infolge des Rotavirus bei Tauben berichteten. Bis zu 50 Prozent der Tauben in den betroffenen Taubenschlägen starben in kurzer Zeit. Der Krankheitsverlauf war sehr schnell und die betroffenen Tauben zeigten fast alle dieselben Symptome: Durchfall, Erbrechen und mit Futter und Wasser gefüllte Kröpfe. Das sind ähnliche Erscheinungen wie bei der Jungtaubenkrankheit.

Nun ergaben Untersuchungen von deutschen und australischen Wissenschaftlern, dass auch in europäischen Taubenbeständen Rotaviren weit verbreitet sind. So fand man etwa in Süddeutschland bei einem Züchter von Thurgauer Elmern Rotaviren. Sie waren zwar nicht identisch mit denen in Australien, aber dennoch eng verwandt. Die Forschungen gingen weiter. Nun stehen neue Erkenntnisse fest, die für die Taubenzüchter von gros­ser Bedeutung sind. Sie stellen einige der bisherigen Vermutungen auf den Kopf.

Internationaler Austausch 
Die Jungtaubenkrankheit tritt in Europa seit fast 30 Jahren auf. Seit 2017 sind schwere Krankheitsverläufe in sehr vielen Taubenbeständen zu beobachten. Die Tauben sind alle fast gleichzeitig erkrankt, wobei der Krankheitsverlauf unterschiedlich verlaufen kann. Die meisten Tauben scheinen spätestens nach einer Woche zumindest äus­serlich wieder gesund zu sein. Da niemand wusste, was die Ursachen für die Jungtaubenkrankheit waren, wurde viel spekuliert. So vermutete man zum Beispiel, dass Infektionen mit Adenoviren, Circoviren oder auch Coli-Bakterien den Ausbruch verursachen könnten. Selbst Stress und weitere verschiedene Erreger wurden als sogenannte verkomplizierende Faktoren für die Jungtaubenkrankheit vermutet.

Dass die Kommunikation zwischen den Ländern weltweit ein Segen sein kann, wurde schnell deutlich. Australische Forscher haben nämlich das Rotavirus der dortigen Taubenbestände intensiv untersucht und dabei herausgefunden, dass die erkrankten Tauben allesamt das fast unbekannte Rotavirus vom Typ Rotavirus A (RVA) Genotyp G18P(17) in sich getragen haben. Da auch die deutschen Taubenbestände Rotaviren A eines eng verwandten Typs hatten, arbeitete man eng zusammen. 

Selbst alte Proben aus dem Jahr 2000 wurden untersucht. Auch hier konnten RVA nachgewiesen werden. Diese wurden nun genauer genetisch unter die Lupe genommen, wobei deutlich wurde, dass die Stämme alle eng miteinander verwandt sind. Sie bilden innerhalb des RVA-Genotyps G18P(17) eine eigene Gruppe, die sich an die Taube gut angepasst hat. Die unterschiedlichen Linien dieses «Taubentyps» des RVA traten plötzlich auf. Sie waren einige Jahre nachweisbar und wurden dann von neuen Stämmen abgelöst.

Und nun wurde es besonders interessant: Die letzte grosse Welle neuer Tauben-RVA-Stämme trat 2017 auf. Also just zu der Zeit, als die Jungtaubenkrankheit in Europa wieder eine Hochphase hatte. Dieser Stamm war auch sehr eng mit dem australischen Stamm verwandt, der dort für das Massensterben verantwortlich war.

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Sichtbare Organschäden
Die Ergebnisse der praktischen Untersuchung ergaben einen deutlichen Zusammenhang zwischen dem Vorhandensein des RVA und dem Auftreten der Symptome der Jungtaubenkrankheit. Je markanter die Symptome der Jungtaubenkrankheit beobachtet wurden, desto häufiger konnte das RVA nachgewiesen werden. 

Dazu wurden Jungtauben mit dem RVA infiziert und eine Kontrollgruppe nicht. In den beiden infizierten Gruppen konnte in der gesamten Versuchsdauer das Erbgut des RVA nachgewiesen werden. In der Hochphase der Erkrankung, also in den Tagen drei bis fünf, war die Virusmenge am grössten. Sie fiel danach schnell ab, war aber die ganzen 21 Tage des Kontrollzeitraums nachweisbar. Bei der anschliessenden Sezierung der Tauben, waren bei den infizierten Gruppen Organschäden sichtbar, unter anderem eine geschwollene Leber und eine vergrösserte Milz.

Die Untersuchungen beweisen, dass durch das RVA zuvor vollständig gesunde Jungtauben innerhalb kürzester Zeit die Symptomatik der Jungtaubenkrankheit zeigen. Das heisst, dass das Rotavirus vom Typ RVA G18P(17) der Auslöser der Jungtaubenkrankheit ist. Da keine anderen Erreger vorhanden waren – auch während der Versuchsphase nicht –, also keine Adeno- oder Circoviren, ist auch geklärt, dass die Jungtaubenkrankheit keine multifaktorelle Erkrankung, sondern eine typische Infektionskrankheit ist.

Das schliesst nicht aus, dass weitere Erreger den Verlauf der Jungtaubenkrankheit verschlimmern können. Inwieweit das detailliert zutrifft, muss noch untersucht werden. Überhaupt ist der Verlauf der Jungtaubenkrankheit selbst durch die verschiedenen RVA-Stämme unterschiedlich: von leicht bis sehr schwer, je nach Aggressivität des RVA-Stammes. Das erklärt auch die unterschiedliche Ausprägung bei verschiedenen Zuchtbeständen. Dass in den letzten drei Jahren die Jungtierkrankheit bei uns sehr gravierend um sich greift, lässt sich durch das Auftreten neuer RVA-Stämme in Europa erklären.

Impfstoff wird gesucht
Da man nun weiss, dass es sich um ein Virus handelt, ist auch klar, dass Antibiotika­gaben nicht helfen, wenn die Jungtaubenkrankheit ausgebrochen ist. Davon abgesehen gesunden die erkrankten Tauben auch ohne Behandlung innerhalb weniger Tage, wenngleich es bei aggressivem Verlauf zu Todesfällen kommen kann. Bis die Tauben vollständig gesund sind, dauert es aber in der Regel mehr als drei Wochen. Als Züchter muss man genau abwägen, wann man seine Tauben zum Beispiel wieder bei einer Ausstellung präsentiert. Es kann also für die weitere Jahresplanung ein Vorteil sein, wenn die Jungtaubenkrankheit recht bald auftritt. Von einigen Brieftaubenzüchtern weiss man, dass sie sich gleich nach Zucht-Ende treffen, um ihre Tauben «durchseuchen» zu lassen.

Vergleicht man nun wieder das RVA mit dem Coronavirus, dann hat man die gleiche Problematik mit der Bekämpfung. Man braucht einen Impfstoff. Aber während man zum Beispiel heute gegen das Paramyxo-Virus einen passenden Impfstoff hat, ist das beim RVA (noch) nicht der Fall. Wobei eine deutsche Tierarztpraxis seit ein paar Jahren einen bestandsspezifischen, wirksamen Impfstoff gegen das RVA entwickelt. Problematisch ist derzeit einzig, dass die Kosten im Vergleich zu anderen Impfstoffen höher sind.

Es ist hoffentlich nur eine Frage der Zeit, bis die Forschung einen Impfstoff entwickelt hat, der in der Breite wirkt. Dann wäre auch der Kostenfaktor überschaubar. In diesem Zusammenhang müssen die Rassetaubenzüchter auf den Forscherdrang der Brieftaubenzüchter hoffen. Dort ist der potenzielle Markt grösser. Würde ein passender Impfstoff gefunden, hätte die Jungtaubenkrankheit ihren Schrecken verloren. Das wäre für sehr viele Taubenzüchter ein wirklicher Segen.