Ein Bericht von Brieftaubensportler Emil Ditzler vom Londonflug 2017 hat unter seinen Hobbykollegen ein Thema in Erinnerung gerufen, das immer mal wieder aufkommt: Nachtflieger. Seine Brieftaube F 168853-15 von der Padiba Flying Loft Schweiz ist nach einem Flug über mehr als 700 Kilometer nachts um zehn vor drei im Heimatschlag angekommen und von der Antenne erfasst worden. 

Der Anflug in Ditzlers Taubenschlag war aus Sicherheitsgründen wie immer nachts geschlossen. Raubtiere sollen keine Chance haben, sich an den Tauben zu vergreifen. Die Taube kam also nicht rein, erfasst wurde sie aber dennoch. Die Antenne ist nämlich unter dem Anflugbrett montiert, sodass die Taube erfasst wird, sobald sie nahe genug am Schlageingang ist. Auch dursten und hungern musste die Taube nicht: Gleich hinter dem Gitter des Einflugs befindet sich ein Topf mit Wasser und – wie Ditzler präzisiert – mit Honig und Elektrolyten, auf der rechten Seite ein Topf mit Futter und Erdnüssen. Die Taube konnte sich also verpflegen und erholen vom Flug, bevor sie am Morgen in den Schlag eingelassen wurde. 

Andere Züchter aus der Region hatten ebenfalls solche nächtliche Anflüge. Es war eine Vollmondnacht, aber es bleibt doch ein Rätsel, wie es diese Tauben schaffen, ihren  Schlag im Halbdunkel zu finden. Allgemein wird nämlich angenommen, dass sie nur bis zur Dämmerung fliegen und dann unterwegs pausieren und den nächsten Tagesanbruch abwarten.

Als die Brieftauben noch als Boten bei den Übermittlungskompanien der Schweizer Armee eingeteilt waren, gab es viele Gelegenheiten, Versuche mit den begabten Vögeln durchzuführen. Verschiedene Nachtflugprojekte wurden durchgeführt, eines davon 1982 im Oberwallis, unter der Leitung von Markus Eyholzer. Anders als bei den ersten Versuchen wurde damals mit dem Umgewöhnen der Tauben nicht mehr am Abend, bei Beginn der Dunkelheit, gestartet, sondern am Morgen, beim Übergang von Dunkelheit bis Tagesanbruch. Man erhoffte sich dadurch weniger Verluste von Tauben, die sich für Nachtflüge nicht eigneten. 

Ein Drittel ist nachtflugtauglich
Die ersten dieser Auflässe fanden in der Morgendämmerung statt. Danach wurden sie von Tag zu Tag weiter in die Dunkelheit zurückversetzt. Sobald die Brieftauben genug Übung hatten und den Heimatschlag auch dann problemlos fanden, wenn sie eine Stunde vor Tagesanbruch aufgelassen wurden, wurde der Auflass noch weiter zurück in die frühen Morgenstunden verschoben. Schliesslich liess Eyholzer die Tauben zu jeder beliebigen Nachtzeit starten. Auch die Flugdistanzen vergrösserte er, nur die beiden Hauptflugrichtungen wurden beibehalten. 

Exakte und ausführliche Aufzeichnungen von Nachtflugprojekten existieren, aber eine kurze Zusammenfassung von Hans-Peter Lipp, dem letzten Chef des Armee-Brieftaubendienstes, zeigt das Ergebnis am deutlichsten auf. In einem Sonderdruck namens «Informationstechnik und Armee» schrieb er: «Eine längere Serie von Nachtflugexperimenten hat gezeigt, dass Brieftauben auf nächtliche Einsätze auf einer vorgegebenen Strecke abgerichtet werden können.» Allerdings sei nur etwa ein Drittel der Tauben in einem Schlag dabei regelmässig erfolgreich, ein weiteres Drittel zeige schwankende und distanzabhängige Leistungen. «Schliesslich gibt es auch noch völlige Nachtflugverweigerer, sowie nicht unbeträchtliche Verluste in der Grössenordnung von 10 bis 20 Prozent.»

Die Brieftauben wie diejenige von Emil Ditzler, die von Wettflügen nachts nach Hause fliegen, wurden dafür anders als die Militärbrieftauben nicht speziell trainiert. Es scheint einfach so zu sein, dass einige der Tiere in der Dunkelheit besser sehen als andere und so ihren Schlag auch nachts anfliegen können. Erfahrungen von Brieftaubensportlern nimmt die Redaktion gerne entgegen.