Viele Rassetaubenzüchter schauen nicht selten neidisch zu den Brieftaubenzüchtern. Da brüten alle Paare in ihren Nistzellen, da läuft eine Brut nach der anderen in einer Nistzelle ab und der Schlagboden wirkt vollständig aufgeräumt. Da liegt kein Hälmchen zum Nestbau herum, da die Tauben alles verwenden. Nun werden bestimmt einige Rassetaubenzüchter nachdenken und sich fragen, weshalb das nicht der Fall sein soll. Bei Züchterbesuchen ist aber immer wieder festzustellen, dass das nun einmal nicht die Regel ist. Gerade während der Zuchtzeit bauen viele Tauben ihr Nest auf dem Boden, und zwar unabhängig davon, ob noch freie Nistzellen zur Verfügung stehen oder nicht. 

Spätestens jetzt scheiden sich die Geister. Denn genauso wie bei der Reinigung des Schlagbodens scheinen sich die beiden Ansichten unvereinbar gegenüberzustehen. Entweder man ist total für das absolute Brüten in der Nistzelle oder man ist hier wesentlich lockerer und es ist dem Züchter egal. Wie so oft in der Taubenzucht gibt es aber auch hier kein richtig oder falsch. Auch wenn es manche einem gerne so vermitteln wollen und vor allem in jeder anderen Meinung einen Verrat wittern.

Es ist davon auszugehen, dass Tauben den für sich am besten geeigneten Ort zum Brüten und Aufziehen der Jungtiere auswählen. Weshalb das der Boden sein soll, leuchtet zunächst nicht ein. Denn normalerweise ist der Boden die Zone im Taubenschlag, in der die grössten Auseinandersetzungen stattfinden. Täuber und Täubinnen nehmen einen gewissen Platz als Revier ein und versuchen diesen Raum auch zu verteidigen. Wohl jeder Taubenzüchter kennt entsprechende Rangeleien im Bereich des Futtertroges, wenn eine Taube dessen Umfeld als ihr Revier festgelegt hat.

Das Temperament ist entscheidend
Entscheidend für den Erfolg der Bodenbrut ist deshalb das Temperament und das Aggressionspotenzial der jeweiligen Rasse. Rassen, bei denen es schon Probleme mit aus dem Nest gehenden Jungtauben im Schlagraum gibt, für die ist es kaum eine Option. Dabei ist es auffallend, dass die Züchter dieser Rassen auch kaum von Bodenbrütern berichten. Nun kann es sein, dass sie ständig darauf selektieren oder aber den teilweise grossen Aufwand auf sich nehmen, um die Zuchttauben an die Nistzellen zu binden. Hier wären Erfahrungen der Züchter interessant.

[IMG 2]

Aus der Farbentaubenszene ist bekannt, dass es sich in der Regel um sehr verträgliche Tauben handelt. Hier fallen auch überraschend viele Bodenbrüter auf. Dass sich aber auch diese an Nistzellen gewöhnen lassen, steht ausser Frage und wird von Züchtern auch praktiziert.

Die Bodenbrut wird fast immer in einer Schlag­ecke begonnen. Das ist der Platz, an dem sich zur Verfügung gestelltes Nestbaumaterial durch Windstösse vom Fliegen ansammelt. Für die Tauben ist es also ein Leichtes, hier ein Nest anzulegen. Es braucht gar nicht gross hergestellt zu werden. Die Tauben rücken die Halme etwas zurecht und schon ist das Nest fertig. Da ist der Aufwand in der Nistzelle wesentlich grösser. Spielt also unter Umständen auch die Leichtigkeit beim Nestbau eine Rolle? Das Sammeln von Nistmaterial in der Ecke findet jedenfalls nur in seltenen Fällen statt. Darüber hinaus nutzen Tauben hier auch ganz selten einmal hinzugestellte Nistschalen oder ähnliches.

Einstreu fördert die Bodenbrut
Bei solchen Nestern ist auch der Unterbau sehr üppig. Zerdrückte Eier sieht man hier so gut wie nie. Ob das Nest noch zusätzlich stabilisiert beziehungsweise vor dem Zerstreuen geschützt wird, ist dem Züchter überlassen. Einfache Ziegelsteine oder auch Holzbälkchen sowie einfache Holzlatten-Winkel sind eine wertvolle Hilfe. Die Brut verläuft in solchen Nestern meistens sehr ruhig.

Nur selten beobachtet man einen Nestbau am Boden, wenn der Schlagboden komplett leer ist. Im Umkehrschluss bedeutet das, dass eine Einstreu – sei es mit der Trockenmistmethode oder eine sonstige Tiefstreu – die Bodenbrüterei fördert oder begünstigt. Das kann man auch bei im Schlag in die Ecken gestellten Brettern beobachten. Hier entwickelt sich zusätzlich eine gewisse Abdunklung der Brutstelle. Dass das der Taube als Abkömmling der Felsentaube gefällt, ist bekannt. 

Nun kann man sich diese Tatsache zunutze machen, und zwar in beide Richtungen. Will man Paare in die Ecken treiben, stellt man solche Bretter auf. Sollen sie in die Nistzellen, verdunkelt man diese etwas und verzichtet auf die Bretter. Man wird schnell feststellen, wie man die Tauben etwas führen kann. Zumal, wenn weder die Tauben untereinander noch die Züchter mit Bodenbrütern kein Problem haben.

Ein negativer Aspekt der Bodenbrüterei ist die Kontrolle. Sie ist aufwendiger als in der Nistzelle. Alleine schon, weil man sich jedes Mal hinknien muss, um die Jungtauben in die Hand zu nehmen. Gerade bei flüchtigen Rassen fällt aber auf, dass sie bei der Bodenbrut eher ruhig sind. Vielleicht liegt das daran, dass der Fluchtweg offener ist, als in der Nistzelle. Ein Phänomen, das man bei solchen Rassen auch im Freiflug feststellen kann.

Überhaupt sind es eher die Rassen, die früher im Freiflug waren, die heute zur Bodenbrut neigen. Ein Blick auf die damaligen Schlagverhältnisse verrät: Der Taubenschlag war häufig im obersten Dachgiebel untergebracht und für klassische Nistzellen in unserem heutigen Sinn nicht gegeben. Ist es möglich, dass die Tendenz zum Bodenbrüten sich im Lauf der Zeit in einzelnen Rassen gefestigt hat? Hierzu bräuchte es Untersuchungen.

Nachbarschaftshilfe zwischen Eltern
Als Besonderheit der Bodenbrüterei kann man die «Koloniebrut» ansehen. Ein Begriff, der bei Wildvögeln üblich ist. Gemeint ist damit, dass Nester in unmittelbarer Nachbarschaft liegen und hier auch gebrütet wird. Bei Tauben ist das aufgrund ihres Revierverhaltens eher nicht vorgesehen. Doch sie machen manchmal nicht das, was man in sie hineininterpretiert. Während es in einer Nistzelle nie zu zwei gleichzeitigen Bruten von zwei Paaren kommt, ist das auf gleicher Fläche am Boden durchaus möglich. Das funktioniert aber nur bei verträglichen Rassen. 

Die Trennung der Nester erfolgt dabei oft nur durch einen Ziegelstein. Die Einzelnester liegen auf gleicher Höhe. Die Jungtauben gehen also auch zwischen den Nestern hin und her und werden häufig von beiden Elternpaaren gefüttert. Dennoch kehren die Jungtiere schlussendlich wieder in ihr Nest zurück. Jeder, der solche Tauben hat, kann sich glücklich schätzen.

Es ist zu hoffen, dass die beiden Lager im Hinblick auf die Bodenbrut etwas verständnisvoller miteinander umgehen. Beide Varianten haben ihre Vor- und Nachteile. Welche für die Züchter und noch viel wichtiger für und mit den Tauben möglich und hilfreich sind, ist eine persönliche Entscheidung. Unabhägig vom Weg müssen die Ziele aber immer vitale und artgerecht gehaltene Tauben mit gesunden Jungtieren sein.