Für den Taubenzüchter ist die Zuchtzeit die schönste Zeit des Jahres. Mit Spannung untersucht er beim täglichen Gang in den Taubenschlag, ob schon wieder neue Küken geschlüpft sind. Auch wenn es für den Taubenzüchter durchaus etwas Alltägliches darstellt, geht vom Schlupfvorgang immer noch etwas Unnahbares aus. Die Faszination ist immer wieder aufs Neue gegeben. 

Es ist faszinierend zu erleben, mit welcher Selbstverständlichkeit das Küken mit seinem Eizahn die Eischale durchbricht. Durch dieses kleine Fenster hat es die Möglichkeit, Luft zu atmen. Nun muss das Küken die Eischale ringsherum aufpicken und die beiden Eihälften schliesslich mit einer kräftigen Streckbewegung voneinander trennen. 

Keine Frage, das ist eine ungeheure Kraftanstrengung für das Küken. Aber die Natur hilft ihm dabei durchaus etwas. Die von den Elterntieren ins Nest gebrachte Feuchtigkeit macht die Schale wesentlich mürber, sodass das Küken keine ganz so harte Schale zu knacken hat. Deshalb ist es so wichtig, dass Tauben während der Zuchtzeit viel baden können.

Interessant ist, dass der Schlupfvorgang unter der brütenden Taube stattfindet. Der aufmerksame Züchter merkt, dass die Taube besonders ruhig auf dem schlüpfenden Küken sitzt. Sie verhält sich anders, als wenn sie auf Eiern sitzt, die noch nicht schlupfbereit sind. Kaum geschlüpft, sorgt die Wärme der Alttaube dafür, dass die Daunen des Kükens schnell abtrocknen. 

Ist das geschehen, wirkt das Küken gleich deutlich grösser und wesentlich kräftiger. Dazu trägt natürlich auch bei, dass die Alttauben die Küken umgehend nach dem Abtrocknen mit Kropfschleim anfüttern. Jetzt gibt es für die Küken kein Halten mehr: Sie wachsen in rasantem Tempo heran und sind im Alter von 25 bis 27 Tagen in aller Regel selbstständig.

Nur genug Kraft für eine Schale
So weit die Theorie. In der Praxis läuft es manchmal nicht so glatt und auch das ist völlig normal, und zwar nicht nur bei Tauben. Im Gegensatz zu vielen anderen Tierarten, läuft die Geburt fast immer selbstständig ab. Geburtshilfe bringt hier nur selten etwas. Und wenn doch, dann stirbt das Küken meist später doch. Die Natur hat vorgesorgt und lässt nur diejenigen Küken überleben, die genügend Vitalität zum Schlüpfen mitbringen. Auch wenn das auf den ersten Blick hart klingt, ergibt es doch Sinn.

Schade ist es, wenn ein Küken nicht schlüpfen kann oder nur deshalb stirbt, weil unglückliche Umstände zusammenkommen. So ist es auch dem Autor dieses Artikels in diesem Jahr wieder einmal passiert: Die beiden Taubenküken schlüpfen in der Regel leicht zeitversetzt. So auch in diesem Fall. Das erste Küken hatte es aus dem Ei geschafft. Aber während die eine Eihälfte gleich aus dem Nest befördert wurde, blieb die andere liegen und stülpte sich über das andere Ei. 

Das Küken darin hatte die Eischale schon fast ringsum geöffnet und war daher kurz vor dem Schlupf. Durch die darübergestülpte Schale des Geschwisterkükens war aber die ganze Arbeit umsonst, das Küken musste nochmals von vorne beginnen – und hatte nun erst noch kein Luftloch mehr. Die natürliche Kraftreserve eines Taubenkükens reicht allerdings nur aus, um eine Schale zu durchbrechen. Da der Autor nicht rechtzeitig dazukam, um die Schale zu entfernen, war das Küken wohl in seinem Ei erstickt. 

An dieser kleinen Begebenheit wird einem deutlich gemacht, dass eine erfolgreiche Geburt alles andere als selbstverständlich ist. Sowohl das Küken als auch der Züchter brauchen etwas Glück. Die Anekdote zeigt aber auch, dass der Züchter leere Eischalen möglichst sofort zerdrücken sollte. Dann kann so etwas nicht mehr passieren. Das gilt übrigens auch im Brutapparat bei Hühnern.