Hühner haben Fressfeinde. In der Luft wie am Boden. Gegen grosse Raubvögel oder den Fuchs haben sie kaum eine Chance. Bei kleineren Gegnern wie Katzen, Kaninchen oder Artgenossen wissen sie sich aber schon zur Wehr zu setzen. Zu ihren Waffen gehören der Schnabel, die Krallen und beim Hahn auch die Sporne respektive Sporen.

Die Sporne liegen an der hinteren Innenseite der Unterschenkel. Sie sind, wie der Schnabel, die Krallen, der Kamm und die Kehllappen, Hautgebilde. Laut Alfred Mehner, Geflügelexperte und ehemaliger Direktor der deutschen Bundesforschungsanstalt für Kleintierzucht, verfügen Sporne über einen knöchernen Kern, der von einem schwammigen Gewebe umgeben ist. Eingefasst wird das Ganze von einer verhornten Schicht. Diese nutzt sich wie die Kralle ab und wächst stetig nach. Ein Sporn wächst beim Hahn circa einen Zentimeter im Jahr und kann bis zu sechs Zentimeter lang werden. Die Länge ist also mit ein Indiz für das Alter eines Tieres. 

Langspornige Hähne sind fruchtbarer
Sporne sind schon sehr früh in der Entwicklung eines Huhns erkennbar, und zwar beim Küken im Ei. Ungefähr ab dem zehnten Bebrütungstag sind sie als kleine Warzen in der Epidermis angedeutet. Die Sporne sind bei männlichen Tieren stark entwickelt, bei weiblichen hingegen sind sie gewöhnlich nicht mehr als eine warzenartige Schuppe.

Grundsätzlich können Sporne bei heftigen Auseinandersetzungen an der Basis abbrechen. Heute leben jedoch nur noch äusserst selten mehrere Hähne zusammen. Meist hat ein Hahn sein ganz eigenes Harem um sich. Demzufolge kommt es auch nur noch selten zu heftigen Rangordnungskämpfen unter Hähnen, in deren Folge einer der beiden Kontrahenten einen Sporn verliert. 

In einer gross angelegten Untersuchung von Zwerg-Wyandotten-Zuchtstämmen fanden die Forscher heraus, dass die Spornlänge auch mit der Fruchtbarkeit zusammenhängt. Verglichen wurden Gruppen von Hähnen, deren Sporne im ersten Jahr eine Länge von 0 bis 3 Millimetern (kurzsporig), 4 bis 6 Millimeter (mittelsporig) und mehr als 6 Millimeter (langsporig) aufwiesen. Die Studie untersuchte 35 360 eingelegte Eier. Es stellte sich heraus, dass bei Eiern aus Zuchtstämmen mit kurzsporigen Tieren rund 66 Prozent unbefruchtet blieben. Bei den langsporigen waren es 37 Prozent, bei den mittelsporigen 39 Prozent. Bei den langsporigen Stämmen starben zudem 0,54 Prozent der Embryonen ab, bei den kurzsporigen Stämmen über viermal so viel, nämlich 2,36 Prozent. Fazit: Einjährige Hähne mit längeren Spornen sind fruchtbarer als ihre kurzsporigen Verwandten. 

Die Ursachen hierfür sind nicht vollständig geklärt. Eine Vermutung ist, dass der weibliche Hormonspiegel bei den kurzsporigen Hähnen besonders hoch ist. Umgekehrt lässt eine gute Befruchtung auf einen besonders hohen männlichen Hormonspiegel bei langsporigen Hähnen deuten. Dieser bremst das Spornwachstum nicht und ist in seiner ursprünglichen Funktion für die Potenz der Geschlechtsdrüsen verantwortlich, wie Robert Gleichauf in «Züchtungs- und Vererbungslehre für Geflügelzüchter» angibt.

Sumatra-Hühner haben drei und mehr
Sporne sind nicht gleich Sporne. Hier gibt es zwei Typen, die sich je nach Grösse und Form unterscheiden. Leichte Rassen wie die Mittelmeertypen haben eher lange, dünne und relativ spitzige Sporne, während die Rassen des asiatischen Typs kurze, relativ dicke und eher stumpfe Sporne aufweisen. Eine Ausnahme sind hier die südamerikanischen Araucana. Sie weisen sowohl den einen als auch den anderen Sporntyp auf. Laut Geflügelexperte Alfred Mehner unterliegt die Ausprägung der Sporne einer hormonellen Steuerung.

In der Regel verfügen Hühner über einen Sporn pro Fuss, doch ab und an kommt auch eine sogenannte Doppelsporigkeit vor. Dabei wachsen aus derselben Wurzel zwei Sporne. Sie sitzen untereinander und zeigen in dieselbe Richtung. Meistens ist der obere Sporn etwas länger als der untere. Heute geht man davon aus, dass die Doppelsporigkeit erblich bedingt ist. Sie kommt bei einigen Kämpferrassen oder Rassen mit Kämpfereinschlag vor. Bei allen anderen Rassen gilt dies als Fehler. 

Die Sumatra-Kampfhühner, eine sehr alte Rasse der Sundainseln (Indonesien, Malaysia, Brunei, Osttimor), verfügen gar über eine genetisch bedingte Mehrsporigkeit. Drei oder gar fünf Sporne, die alle in dieselbe Richtung zeigen, sind hier normal. Im europäischen Rassegeflügelstandard ist eine Spornebildung bei den Hennen gar als besonders rassentypisches Merkmal anerkannt. Bei diesen Tieren zeigt sich der Ansatz der Sporne bei der embryonalen Entwicklung nicht als kleine Warzen, sondern eher als eine Art Schuppen.

Vererbung bei Hennen unklar
Zwar zählen die Sporne zu den sekundären Geschlechtsmerkmalen. Dennoch können sie auch bei Hennen anderer Rassen auftreten. Männliche und weibliche Sporne sind jedoch genetisch verschieden. Die männlichen haben eine viel grössere Wachstumsfähigkeit, wie man bei Transplantationsversuchen herausfand. Auf die Legetätigkeit haben die Sporne bei den Hennen keinen Einfluss, denn histologische Untersuchungen zeigen keine Veränderung am Gewebe des Eierstocks. 

Die genetischen Grundlagen für die Entwicklung von Spornen bei weiblichen Tieren, die zweifellos vorhanden sind, sind noch nicht klar. Spornebildung bei der Henne ist zwar vererblich, die Art der Vererbung nach heutigem Wissensstand aber nicht bekannt, wie Horst Marks in «Das Huhn» schreibt.

Oft gilt der Sporn als Hauptschuldiger, wenn Hennen Verletzungen beim Tretakt, also bei der Begattung, davonziehen, oder wenn sie viele Federn verlieren. Hierfür sind nicht die Sporne, sondern die Zehenkrallen der Hähne verantwortlich. Die Krallen führen in der Tat zu Verletzungen, normalerweise jedoch zu keinen tiefen Wunden. 

Werden sie nicht gerade als Waffen bei Rangordnungskämpfen eingesetzt, dienen die Krallen als Scharrwerkzeug, um an tierische und pflanzliche Nahrung zu kommen. Unter anderem werden Wurzeln frei- oder auch Laub weggescharrt. Die Hornsubstanz an den Krallen wird hierdurch ständig abgenutzt. Dies ist aber auch unbedingt nötig, ansonsten würden die Krallen durch das ständige Wachsen zu lang werden und könnten so zu Gehbehinderung führen. Mittels Scharren können sich Hühner einen beträchtlichen Teil des Tages beschäftigen. Ist die Grasfläche im Hühnerhof eher knapp berechnet, können Hühner eine schöne, saftig grüne Wiese im Nu in einen braunen Acker verwandeln.

Die Kralle selbst besteht aus Horn, genauso wie der Schnabel, den die Hühner bei einem Angriff gerne zum Zupacken einsetzen. Horn ist eine tote Substanz. Hauptbestandteil ist Keratin, ein Sammelbegriff für verschiedene, wasser­unlösliche Faserproteine, die von Tieren gebildet werden und die eine Hornsubstanz charakterisieren. Wenn man ein Huhn schlachtet, entdeckt man bei der einen oder anderen Rasse eine Kralle an den Flügeln. Das ist ein Merkmal der Dinosaurier, das beim Huhn manchmal erhalten geblieben ist. Seltsamerweise zeigen diese Krallen kein Wachstum wie die Krallen der Füsse. Einmal angelegt, bleiben sie so, wie sie sind.