Hühner gelten als sehr schreckhafte Tiere, die bei Gefahr kopflos das Weite suchen. Dies gilt vor allem für die Urhühner, die Wildform unserer heutigen Rassehühner. Sie sind noch sinnesempfindlicher und reaktionsschneller als Rassehühner. Sie zeigen sich skeptisch und legen einen gewissen Argwohn an den Tag, was ihren Handlungsimpuls dämpft. Dies ist durchaus nachvollziehbar, leben sie doch in einer Umgebung, die weitaus mehr Gefahren birgt als diejenige unserer Haushühner. 

An den dicht bewachsenen Waldrändern droht sowohl Gefahr vom Boden als auch aus der Luft. Daher werden von den Sinnen unserer Urhühner Höchstleistungen abverlangt. Sie müssen stets aufmerksam sein und jederzeit bereit zur Flucht. Unsere Haushühner hingegen haben Argwohn und Scheu mehrheitlich überwunden. Man kann daher sagen, dass einige Rassen sogar ziemlich zutraulich und zahm sind, zu ihnen gehören die schweren Rassen wie die Brahmas oder Orpingtons.

Zu den noch eher schreckhaften Rassen gehören leichte Rassen wie die Italiener. Bei ihnen reicht schon ein lautes Geräusch oder eine fremde Person, die sich dem Hühnerhof nähert, um Angst und Schrecken zu verbreiten. Auch Artgenossen können ein Fluchtverhalten hervorrufen, wie der deutsche Experte Carl Heinrich Engelmann in «Leben und Verhalten unseres Hausgeflügels» schreibt. 

Wohin soll die Flucht gehen?
Nähert sich ein Huhn eher langsam, bedacht und in friedlicher Gesinnung, reagiert sein Gegenüber kaum, während es auf Anzeichen von Aggression früher reagiert. Dabei ist immer entscheidend, aus welcher Richtung sich der Artgenosse nähert. Kommt er von vorne, kann das Huhn schneller reagieren und akzeptiert eine Annäherung weniger, als wenn er sich von hinten nähert.

Hühner verhalten sich verschieden, wenn eine Gefahrensituation eintritt. Daher gibt es auch eine Vielzahl von Fluchtverhalten. Dazu gehört das Zurückziehen, teilweise unter lautem «Geschrei». Es gibt aber auch Hühner, die still sind, ja fast erstarrt und geduckt abwarten. Wieder andere suchen ein Versteck, beispielsweise ein Gebüsch oder eine Nische, und verkriechen sich dort, bis die Gefahr vorüber ist. 

Appenzeller Spitzhauben und andere flugfähige Rassen treten bei Gefahr die Flucht nach vorne an und suchen fliegend das Weite. Besonders Zwergrassen können Strecken von bis zu 30 Metern im Flug zurücklegen. Im Stall versuchen Hühner, die Wände hochzufliegen, während sie draussen auf einem Baum Schutz suchen oder auch mal über den Zaun flüchten. Droht keine Gefahr mehr, bleiben Letztere meist in der Nähe des Zauns und suchen einen Weg zurück zu ihren Artgenossen. Natürlich könnten sie ganz einfach wieder über den Zaun fliegen, stattdessen suchen sie nach einem Schlupfloch und laufen dabei aufgeregt hin und her. Warum das so ist, ist nicht klar.

Furchtlose Küken
Hühner zeigen laut Carl Heinrich Engelmann aber nicht von Beginn ihres Lebens weg Angst und Furcht. Erst mit ungefähr zwei Wochen zeigen Küken vermehrt ein Fluchtverhalten. Je nach Rasse, Grösse, Veranlagung und Beschäftigungsgrad der Tiere unterscheidet sich das Angstverhalten. Eher stille Küken neigen dazu, bei Gefahr still und stumm auszuharren, während aktive Küken bereits in diesem Alter versuchen, davonzuflattern, hochzuspringen oder am Boden zu fliehen. Werden die Küken von einer Glucke aufgezogen, suchen sie bei ihr Zuflucht und Schutz. Manche geben gar noch ein wildes Geschrei von sich. 

Beginnt ein Küken gerade mit einer neuen Beschäftigung, ist es eher nicht abzulenken. Klingt aber das Interesse an der Tätigkeit bereits langsam ab, lässt sich das Küken eher aufschrecken. Was man jedoch mit Sicherheit sagen kann, ist, dass die Schreckhaftigkeit mit dem Alter deutlich zunimmt. Sie ist Ausdruck einer fehlenden Übereinstimmung zwischen der gewohnten, vertrauten Umwelt, deren Modell sich das Küken eingeprägt hat, und dem Reizobjekt, das im Moment nicht in die Situation passt. Je seltener etwas auftritt, desto stärker reagieren die Hühner auf dieses Ereignis. Fliegt also nur ab und an ein Vogel über den Hühnerhof, löst dieses Ereignis eine grössere Panik in der Hühnerschar aus, als wenn praktisch pausenlos Vögel über den Hühnerhof fliegen.

Interessanterweise zeigten Beobachtungen des amerikanischen Verhaltensforschers Gordon Gallup Jr., dass Hennen im Allgemeinen bereits im Kükenalter empfindlicher reagieren als Hähne. Konnten sich Küken beider Geschlechter frei in einem Raum bewegen, waren es die Hennen, die sich aktiver zeigten, sich früher bewegten und Laute von sich gaben. Die männlichen Küken verharrten meist mit geschlossenen Augen auf der Stelle. Ob das unterschiedliche Verhalten auf einen unterschiedlichen Grad der Ängstlichkeit hindeutet oder ob sich die Art, auf gefühlte Furcht zu reagieren, unterscheidet, konnte beim Versuch jedoch nicht herausgefunden werden.