Ein emotionaler Moment, bei dem die Augen manchmal feucht werden: Wenn nach rund eineinhalb Jahren ein Junghund an einen Instruktor der Blindenhundeschule Liestal übergeht, ist das ein Meilenstein im Leben des Hundes. Aber auch in dem seiner Entourage. Dann heisst es für einen Junghundetrainer Abschied nehmen von seinem Schützling, dem er als zehnwöchigen Welpen ein Zuhause gegeben und ihm vieles beigebracht hat: Stubenrein werden, an der Leine gehen und die ersten der rund 30 italienischen Hörzeichen, die zum Repertoire eines Blindenhundes gehören. Etwaige Tränen während der Übergabe versiegen aber wieder schnell, denn: «Es ist für alle Beteiligten von Beginn weg klar, dass das Zusammenleben zeitlich begrenzt ist und wir zusammen auf das gleiche Ziel hinarbeiten: Einem Menschen zu mehr Selbstständigkeit zu verhelfen», sagt Nathalie Borer, die bei der Blindenhundeschule Liestal für die Begleitung der Junghunde und die Hundebeschaffung verantwortlich ist. In diesem Moment überwiege der Stolz, dass aus einem tapsigen Welpen ein selbstsicherer, neugieriger Hund geworden sei. Den Junghunden selbst fällt das Abschiednehmen und der Wechsel in ein neues Zuhause leicht: «Sie bauen rasch wieder eine Bindung zu ihrem neuen Gegenüber auf», weiss Blindenhundetrainerin Masha Streiff.

Über zehn Rassen

Welche Rassen kommen als Blinden- und Vertrauenshunde überhaupt in Frage? Antworten liefert die Foto- galerie am Hauptsitz der Schule, die das gängige Bild vom Labrador oder Retriever als klassischen Blindenhund sprengt. Auf den grossformatigen Porträts posieren Bergamasker, Grosspudel, Schäferhunde, Barbets, Airedale Terriers, aber auch Mischlinge wie Labradoodles (Labrador und Pudel). Die Schule, an welcher jährlich rund zwölf Blinden- und Vertrauenshunde für Menschen mit Sehbehinderungen oder Autismus ausgebildet werden, arbeitet derzeit mit über zehn verschiedenen Rassen. Mit gutem Grund: «Dank dieser Breite können wir die Bedürfnisse der Klienten viel besser abdecken – beispielsweise, wenn eine Allergie vorliegt», erklärt Nathalie Borer. Was allen Hunden gemeinsam ist: Für ihre Aufgabe müssen sie eher gross und schwer (20 – 40 kg), aber dennoch agil sein. Wenn Nathalie Borer in den Zuchtstätten nach geeigneten Welpen Ausschau hält, verlässt sie sich nicht nur auf ihr Bauchgefühl. «Wichtig ist, dass ein Welpe neugierig und menschenbezogen ist», erläutert sie. Und sie testet, wie die kleinen Geschöpfe auf akustische und optische Reize sowie Berührungen reagieren. Keine Rolle spielt hingegen das Geschlecht.

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Auch bei der Auswahl der Patenfamilien, den sogenannten Junghundetrainern, überlässt die Schule nichts dem Zufall. «Wir nehmen uns bewusst viel Zeit für das gegenseitige Kennenlernen, um Interessierte gut auf ihre Aufgabe vorzubereiten», so Borer. Nebst Telefonaten und einer Einladung zu einem Junghundetraining in Liestal prüft die Schule direkt vor Ort, ob die Lebensumstände und die Wohnsituation geeignet sind. Erfahrung mit Hunden wird zwar gewünscht, ist aber keine Voraussetzung, begleitet doch die Schule die Trainer von der ersten Stunde an intensiv. Ob Student, junges Pärchen, rüstige Rentner oder Familie mit schulpflichtigen Kindern: Ein Blindenhunde-Welpe erfordert vor allem viel Zeit, Geduld und Ausdauer. «Der Aufwand ist nicht zu unterschätzen – gerade in den ersten vier bis sechs Wochen, wenn der Hund noch nicht stubenrein ist und nicht allein sein kann», räumt Nathalie Borer ein. Ferien oder eine längere Homeoffice-Phase sind deshalb optimal für den Start ins neue Abenteuer. Doch nach dieser intensiven Anfangszeit folgen Monate mit einzigartigen Erfahrungen, so die Rückmeldung vieler Junghundetrainer. Das Ziel nach der Welpenphase: «Die Junghunde sollen möglichst viele positive Erfahrungen in unterschiedlichsten Situationen sammeln: in Fahrzeugen, Einkaufszentren, Restaurants oder bei der Begegnung mit Tieren und Menschen», erklärt Masha Streiff. Auch der Grundgehorsam und eine gute Sozialisierung haben in diesem Alter oberste Priorität. «Die Lernfortschritte nach eineinhalb Jahren sind beeindruckend», sagt die Blindenhundetrainerin und spart nicht mit Lob an den Freiwilligen: «Sie machen wirklich einen super Job.»

«Die Junghunde sollen viele positive Erfahrungen sammeln.»

Masha Streiff, Blindenhundetrainerin

Dank dem Schulprogramm hat der Junghund immer wieder Möglichkeiten, Neues zu lernen: Zuerst in einer lokalen Welpenspielgruppe, ab der 16. Lebenswoche dann mit monatlichen Junghundetrainings und den dreitägigen Seminaren, bei denen die Mensch-Hunde-Teams zwei Mal im Jahr auch das Übernachten in den hotelähnlichen Zimmern der Schule üben. Auch wenn im Alltag Fragen aufpoppen, stehen Nathalie Borer und Masha Streiff mit Rat und Tat zur Seite. «Es gibt natürlich auch schwierigere Zeiten, beispielsweise wenn die Pubertät ansteht», sind sich die beiden einig. Dennoch: Dass jemand als Junghundetrainer aussteigt, kommt kaum je vor. Ganz im Gegenteil: Einige geben nach der Trennung gleich wieder einem nächsten Welpen ein Plätzchen.

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Wie weiter?

So unterschiedlich die Motive für einen Einsatz als Junghundetrainer sind, so individuell sind auch die Lernerfahrungen und die Vorlieben der Hunde, wenn sie ihre Patenfamilie verlassen. «Einige sind versiert im Zug-, andere eher im Autofahren, da sind solche mit grosser Erfahrung mit Kindern und jene, die das Alleinsein besser mögen», resümiert Streiff. Für die angehenden Blindenhunde ist auch der erste Geburtstag ein wichtiger Stichtag. Dann wird der Jungspund zwar vor allem gefeiert, aber auch gesundheitlich gründlich gecheckt. «Die Resultate entscheiden darüber, ob ein Hund weiterhin für Führtätigkeiten in Frage kommt. Auch ein ausgeprägter Jagdinstinkt oder grosse Schreckhaftigkeit können Gründe sein, wieso die Ausbildung zu diesem Zeitpunkt sistiert wird», erklärt Nathalie Borer. Dieser Entscheid kann aber auch erst später fallen, wenn der Instruktor den Hund übernimmt. Tieren, die als Blindenhunde ausscheiden, steht noch eine weitere Tür offen. Masha Streiff: «Ist ein Hund eher auf den Halter fokussiert oder zögerlich unterwegs, ist das für Menschen mit einer Sehbehinderung eine grosse Herausforderung, als Vertrauenshund für Menschen mit Autismus jedoch kann er seinen Auftrag durchaus ausüben.»

Die Nachfrage nach Blinden- und Vertrauenshunden ist hoch: Derzeit betragen die Wartezeiten rund zwei Jahre. «Wir haben deutlich mehr Klienten als Hunde, weshalb wir laufend neue Junghundetrainer suchen», sagt Nathalie Borer und streichelt Ricco, einem neugierigen, 19-monatigen Barbet über den Kopf. Sie hat ihn vor wenigen Wochen von einer Trainerin übernommen und prüft nun, ob er mit seinem charakterstarken Naturell als Blindenhund wirklich in Frage kommt. Einen Schritt weiter ist Taya, die bereits führen kann. Der Grosspudel, den Masha Streiff derzeit auf seinen zukünftigen Job vorbereitet, ist nicht nur sehr lernwillig und mit grosser Freude am Werk, sondern auch ausgesprochen schnell: «Mit ihr trainiere ich derzeit vor allem Geduld und ein etwas gemächlicheres Tempo», sagt die Hundetrainerin lachend. Doch jetzt ist für die vife Hündin und ihren draufgängerischen Compagnon erst einmal eine Runde Freizeit angesagt. Das Führgeschirr liegt am Boden, der Tag ist jung, der Spieldrang kitzelt in den Pfoten.

Ein Zuhause auf ZeitWer sich dafür interessiert, einen Welpen aufzunehmen, meldet sich hier:

Blindenhunde Liestal