Als sich an einem Nachmittag im Frühjahr die Sonne durch den Nebel kämpft und erste Strahlen das bernische Konolfingen erreichen, setzt sich in einem Haus oberhalb des Dorfes Gunilla Kühni-Stenberg auf ihr breites Ledersofa – und bleibt nicht lange allein. Sofort springen kleine, gefleckte Hunde zu ihr, buhlen um ihre Aufmerksamkeit, wedeln mit dem Schwanz, halten ihre Köpfchen schräg. Biscotti stützt sich mit den Vorderläufen an Kühni ab, führt ihre feuchte, schwarze Nase nahe ans Gesicht, wedelt freudig, während sich Tinker Bell an die linke Seite drückt und sich streicheln lässt. Anna buhlt rechts um Aufmerksamkeit, Icequeen und Delight warten geduldig, bis auch sie sich zu ihrer Besitzerin vorarbeiten, während eine ganze Schar weiterer Hunde am Boden herum wuselt und zu ihrer Pflegerin aufblickt. Allen eigen: der schmelzende Blick, dem man nichts verwehren kann.

«Das ist ein typisches und wichtiges Merkmal des Cavalier King Charles Spaniels», betont Kühni. In der kynologischen Fachsprache werde das «Melting expression» genannt. Sie muss es wissen. Die 75-Jährige ist Richterin für Hunde der FCI, der Fédération Cynologique Internationale.

«Der schmelzende Gesichtsausdruck ist ein Merkmal des Cavalier King Charles Spaniels.»

Sie und ihr Mann Jürg sind den Cavalier King Charles Spaniels seit über 40 Jahren verfallen und leben derzeit mit zehn der kleinen Hunde in Konolfingen am westlichen Eingang zum Emmental. Für Hunde begeistere sie sich, seit sie sich erinnern könne, sagt Gunilla Kühni, während sich die dreieinhalb Monate altetricolor-farbene Isabella über einen Kauknochen hermacht. «Ich ging als Kind mit Hunden spazieren, und mit neun gründete ich meinen ersten Klub.» All ihre Freundinnen hätten dort Mitglieder werden müssen. Bald erhielt Kühni, die in Mittelschweden aufwuchs, einen Glatthaardackel. Sie trainierte die Hündin für Ausstellungen, stellte sie aus und züchtete mit ihr. Das Erlebnis, das fortan ihr Leben bestimmen sollte, kam dann aber einige Jahre später, nach der Heirat mit ihrem Mann in der Schweiz, als sie während eines schönen Sommers gemeinsam in Nordschweden einen Kaffee bei einem Wasserfall genossen. «Plötzlich sprang mitten auf unseren Tisch ein blenheim-farbener Cavalier King Charles Spaniel», erzählt die Frau mit blonden Haaren und lächelndem Gesicht. «Das ist unser Hund!», sagten wir uns sofort. Noch während ihrer Ferien hätten sie sich mit der Rasse befasst, eine Züchterin in Schweden ausfindig gemacht und einen Hund bestellt. Bald lebte der erste Tricolor-Rüde bei Familie Kühni.

«Cavalier King Charles Spaniels sind sehr liebe Hunde, die sich in der Familie wohl fühlen», sagt die erfahrene Züchterin. So hätte sich auch ihr junger Rüde sofort mit ihren beiden Kindern angefreundet. Es sei für sie klar gewesen, dass sie sich ganz der Rasse widmen wollte. Sie sei bereits damals in den kynologischen Vereinen in Schweden und der Schweiz Mitglied gewesen. In der Schweiz habe es früher kaum Cavalier King Charles Spaniels gegeben. «Bis 1966 wurden diese Hunde hauptsächlich importiert, ab 1967 gab es erste Würfe hier.» Kühni erwarb beispielsweise einen Schweizer Welpen aus einem Wurf einer Hündin mit finnischer Abstammung. «Die blenheim-farbeneHündin Anna of Silmarillion wurde 1981 an der Welthundeausstellung in Dortmund Siegerin.» Ihre eigene Stonehill-Cavalier-Zucht betreibt Kühni seit 1977.

Geschichte des Cavaliers
Spanielähnliche Hunde sind auf dem europäischen Kontinent durch Ausgrabungen und Felszeichnungen bereits aus einer Zeit vor 10 000 Jahren bekannt. Durch Kelten sollen Vorläufer des Cavalier King Charles Spaniels im9. Jahrhundert nach England gebracht worden sein. Dass die kleinen Hunde eine lange königliche Vergangenheit haben, ist unbestritten. Sie sind zahlreich auf alten Gemälden seit dem 16. Jahrhundert abgebildet, meist in Gesellschaft von Königen oder Angehörigen königlicher Familien. Die Cavaliere wurden von Jagdhunden zu reinen Gefährten des Menschen.

In der Regierungszeit von König Charles I (1625–1649) und seinem Sohn Charles II (1660–1685) erlangte die Rasse die grösste Beliebtheit. Ihr Name geht auf diese beiden Könige zurück, dies aufgrund einer Bitte Königs Eduard VII (1901–1910) an den Toy-Spaniel-Club, dem kleinen Spaniel im Gedenken an die Stuart-Könige die Rassebezeichnung King Charles Spaniel zu geben. Es wird berichtet, dass diese Könige immer eine Schar der kleinen Spaniels um sich hatten. Die Hunde waren ihnen so wichtig, dass sie ein Gesetz erliessen, dass Cavalier King Charles Spaniels jedes öffentliche Gebäude im Königreich betreten dürfen. Das Gesetz wurde bis heute nie aufgehoben! In späterer Zeit hielt auch Königin Victoria (1837–1901) einen Tricolor-Rüden. In England wurde schon 1886 ein Standard verfasst, der bis heute bindend ist.

Empathische Hunde

Gunilla Kühni engagierte sich dafür, dass die Cavalier King Charles Spaniels in der Schweiz bekannt wurden. Seit Jahrzehnten ist sie die Stimme für die sympathischen kleinen Engländer. Zuerst vertrat sie diese Rasse innerhalb des Zwerghundeklubs. «Als die Hunde bekannter wurden und es mehr Züchterinnen und Züchter gab, gründeten wir 1999 einen eigenen Klub.» Seither ist Kühni Präsidentin.

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Sie und ihre Hunde, das ist eine Einheit. Sie verstehen sich nur mit Blicken. «Cavaliere sind äusserst empathisch, sie fühlen unsere Gemütslage, gehen sehr vorsichtig mit einem Menschen um, wenn es die Situation erfordert. Darum eigenen sie sich auch sehr gut als Therapiehunde.» Die Cavaliere sähen, wenn jemand traurig sei. «Das ist schon auf alten Bildern dokumentiert. Ihr Blick ist immer sehr ‹gspürig›.» Der Cavalier habe einen fröhlichen Charakter und würde seine Besitzerin oder seinen Besitzer auch gerne auf Wanderungen begleiten. Er sei aber auch ein guter Stadthund und eigne sich für viele Hundesportarten, insbesondere für Agility. «Er macht alles mit», betont die Cavalier-Liebhaberin. Nur Regen möge er nicht besonders.

Farbschläge des Cavaliers
Black und Tan: schwarz mit lohfarbenen Abzeichen über den Augen und an weiteren Körperstellen, ohne Weiss
Ruby: einfarbig tiefrot, ohne Weiss
Blenheim: gut unterbrochene, kastanienrote Flecken auf perlweissem Grund
Tricolor: verteiltes und unterbrochenes schwarz-weisses Fell mit lohfarbenen Abzeichen über den Augen und an weiteren Körperstellen

Mit traurigem Blick und tapsigen Schritten kommt jetzt die kleine Isabella über den Kachelboden auf Gunilla Kühni zu. Ihre Beschützerin stellt fest, dass ein erwachsener Cavalier ihren Kauknochen in Beschlag genommen hat. Isabella legt sich ausgestreckt auf den Boden und scheint ihren erwachsenen Kumpanen förmlich zu hypnotisieren. «Ich greife nicht ein», sagt die Hundezüchterin. Man dürfe nicht den Fehler machen, den Knochen dem Grossen wegzunehmen und ihn wieder dem Kleinen zu geben. «Die Hunde machen das unter sich aus.» Das trage zur Sozialisation der Tiere bei. Cavalier King Charles Spaniels würden wenig bellen und seien sozial in der Gruppe, auch im Umgang mit anderen Hunden. Meist hätten sie einen geringen Jagdtrieb. Gunilla Kühni betont aber: «Es ist immer auch Erziehungssache. Eine solide Grundausbildung ist ein Muss!»

Wohlproportionierter Körperbau

Ein Cavalier werde dank der guten Rassegesundheit zehn bis zwölf, manchmal gar 15 Jahre alt. «Der Club hat ein strenges Gesundheitsprogramm», streicht die Züchterin heraus. Einen Nachteil erwähnt sie aber doch. «Da sie keine Unterwolle haben, verlieren sie vermehrt Haare.» Wer das nicht möge, solle sich einen Stoffhund kaufen, sagt die Hunderichterin mit Überzeugung und hebt ihre Hündin Tinker Bell auf einen Tisch, um das Haar durchzukämmen. Das Tier geniesst die Aufmerksamkeit und präsentiert sich im Anschluss meisterhaft. Die Hunderichterin streicht heraus: «Ein Cavalier soll einen wohl proportionierten Körperbau haben.»

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Der Oberkopf sei fast flach, die Augen seien gross und das Fell lang. «Ein Cavalier wiegt zwischen sieben und neun Kilogramm, wobei der Rüde kräftiger gebaut ist», sagt die Expertin. Viel entscheidender als die Färbung sei der Gesichtsausdruck des Hundes, die«melting expression». Sie züchtet meist drei Würfe pro Jahr in den Farben Blenheim und Tricolor. «Normalerweise kommen vier bis fünf Welpen auf die Welt, es gab aber auch schon Würfe mit sieben», erinnert sich Kühni. Derzeit würden in der Schweiz pro Jahr um die 150 Welpen mit Stammbaum der Schweizerischen Kynologischen Gesellschaft geboren. Ein Welpe könne ab dem Alter von zehn Wochen abgegeben werden. Sie koche für ihre Hunde Gemüse und Fleisch und füttere zweimal täglich. Die Fütterung könne aber individuell gestaltet werden, auch kommerzielles Futter sei in Ordnung.

Auf dem Stuhl schläft ein Blenheim-farbener, vier weitere wedeln um Gunilla Kühni, die kleine Isabella ist auf dem Boden eingeschlafen. «Mich begeistert einfach alles an diesen Hunden, es ist eine ideale Rasse mit guter Grösse, sehr freundlich, nicht aufdringlich oder streitsüchtig», schwärmt Gunilla Kühni. Um sie herum: eine Schar Cavaliers mit dunklen Augen und herzerweichendem Blick.

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