Im Frühling lernen Täuber und Täubin lernen sich kennen, eventuell waren sie schon letztes Jahr ein Paar, werben umeinander, legen Eier, aus denen Küken schlüpfen, die dem Zuchtziel möglichst nahekommen. So weit die Theorie und meistens auch die Praxis. Für Taubenzüchter ist es aber auch interessant, einmal hinter die Kulissen zu schauen. Zu wissen, weshalb manche Dinge so sind, wie sie sind. Gerade der Begriff «Treue» hat hier eine wichtige Bedeutung und Funktion.

Tauben leben in Monogamie. Ein männliches Tier bildet also mit einem weiblichen Tier ein Paar. Dazu ist Treue unverzichtbar beziehungsweise die Konsequenz. Dass dies so gekommen ist, ist der Evolution zu verdanken. Im Fall der Tauben also der Columba livia, der Felsentaube. Sie ist die Urmutter aller Taubenrassen. Völlig egal, ob es sich um Rassetauben, Brieftauben, Flugtauben oder Strassentauben handelt. Die Taube ist als Küken Nesthocker und damit nackt und hilflos. Die Paarbildung oder Monogamie war im Lauf der Evolution die beste Lösung, zuverlässig Jungtiere aufzuziehen, da sich Täuber und Täubin mit der Brutpflege ablösen. 

Kämpfe um das Revier
Die Monogamie funktioniert aber nur, wenn sich die Täubin ohne Vorbehalt dem Täuber anschliesst. Sie nutzt sein Revier, das er erobert hat und vor allem auch verteidigt. Die beiden verlassen sich voll aufeinander, sie sind sich gegenüber treu. In der züchterischen Praxis ist mit dem Revier des Täubers zuerst die Nistzelle gemeint. Sie ist der Raum im Taubenschlag, der nur dem Täuber gehört. Diesen verteidigt er gegenüber anderen Täubern vehement durch Flügelschlagen und Picken mit dem Schnabel. Sehr vitale Täuber werden deshalb auch nur Ruhe geben, wenn sie sich ein Revier haben erkämpfen können.

Gerade der Aspekt des sich Erkämpfens ist wichtig. Er gehört zum Paarungsverhalten dazu, auch wenn man das als Taubenzüchter zunächst nicht direkt wahrnimmt. Daraus lässt sich schliessen, dass nur dann Ruhe im Taubenschlag herrschen kann, wenn nicht mehr Täuber als Nistzellen vorhanden sind beziehungsweise sich jeder Täuber in einem Revier behaupten kann. 

Diese Sicherheit in der Zelle hat für die Täubin positive Effekte. Sie kann ihre Eier in Ruhe ablegen. Ausserdem bringt die Treue zu ihrem Partner den entscheidenden Vorteil, dass ihre Nachkommen beschützt aufwachsen können. Untreue hätte für sie keinen Vorteil, denn die Anzahl ihrer Jungtiere wäre immer noch gleich. Denn Tauben legen immer zwei Eier mit zwei möglichen Jungtieren.

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Täuber sind offen für Seitensprünge
Die feste Bindung an den Partner oder auch Treue braucht also ein festes Revier. Ist dieses nicht gegeben, ist eine Täubin für fremde Täuber empfänglich. Oder anders ausgedrückt: Sie sucht sich einen Täuber, der ein Revier, einen sicheren Brutplatz hat. Ein Revier macht also einen Täuber für eine Täubin erst so richtig attraktiv. 

Bei einem Täuber sieht es anders aus. Er ist einem Seitensprung nicht abgeneigt. Aus entwicklungsgeschichtlicher Sicht hat das für ihn auch einen entscheidenden Vorteil. Seine Nachkommenschaft wird erhöht und die eines Artgenossen verringert. Dieses Verhalten ist aber nicht bei jedem Täuber gleich ausgeprägt. Während der eine jede Möglichkeit zum Seitensprung nutzt, ist der andere hier eher ruhig. Jeder Täuber ist also auf einen Zucht- oder Lebenspartner festgelegt. Das gibt ihm Sicherheit. 

Der Paarungspartner kann aber durchaus variieren. Dass die Täuber dennoch mehrheitlich bei ihrer Täubin bleiben – sogar über Jahre hinweg –, also das Paar aufrechterhalten, hat mehrere Gründe. Ein einem fest verpaarten Stall gibt es keine «ledigen» Täubinnen oder auch die gemeinsame Brutpflege von Jungtieren. Unter diesen Bedingungen ist vonseiten des Täubers eine engere Bindung und auch grössere Treue festzustellen.

Das alles ist ziemlich theoretisch und vielleicht auch verwirrend. Doch lässt sich dieses Wissen für die tägliche Praxis einsetzen. Gerade jetzt, wenn es bald um das Anpaaren der Tauben geht. Mindestens zwei Wochen vor dem angedachten Termin sollten die Täuber in den Zuchtschlag gebracht werden, und zwar nur sie. Jetzt haben sie ausreichend Zeit, um sich ihre Nistzelle zu erobern. Es ist von Vorteil, wenn im Schlag bereits im Vorjahr gleiche Täuber waren. Dann wird es schneller gehen, dass jeder seine Zelle hat.

Sitzt dann jeder Täuber in seiner Zelle und das eine Woche lang, kann man in die Nistzelle eine Täubin dazusetzen. Natürlich kann das auch woanders geschehen. Basis muss aber immer sein, dass der Täuber sich nur um diese Täubin kümmert. Unter Umständen kann es von Vorteil sein, die Täubin immer mal wieder vom Täuber zu trennen, um die Attraktivität aufs Neue zu steigern. 

Verlockende, unverpaarte Täubinnen 
Sitzen Täuber und Täubin dann zusammen. Idealerweise ist es in der Nistzelle schon zu einem Tretakt gekommen, kann man sie mit den anderen Paaren rauslassen. Davor ist es sinnvoll, nur Einzelpaare fliegen zu lassen. Das hat auch seinen Grund. Zu Beginn ist nämlich die Paarbindung und damit die Treue des Täubers noch nicht sonderlich stark. Täubinnen, die noch nicht fest verpaart sind, sind eine grosse Verlockung. Das ist auch der Grund, weshalb es fast ausschliesslich zu Beginn der Zuchtsaison zu Fremdbefruchtungen kommt. Geschieht das in einem Taubenschlag, in dem nur eine Rasse und ein Farbenschlag untergebracht sind, fällt das kaum auf. Ansonsten kann es aber zu einem grossen  Durcheinander kommen. Spätestens dann merkt der Taubenzüchter, dass die Treue doch nicht so stark ausgeprägt ist. 

Ruhe im Taubenschlag durch intensives Anpaaren und wenige Fremdbefruchtungen hängen also direkt miteinander zusammen. Besonders interessant ist dabei, dass sich das entwicklungsgeschichtlich erklären lässt. Rassetauben sind noch immer die wild lebenden Felsentauben, wenn auch in anderem Gewand. Für einen Taubenzüchter ist es sinnvoll, dieses Wissen zu nutzen. Der Zuchtfortschritt ist besser planbar und das Zuchtjahr verläuft ruhiger. Beides Aspekte, die man gerne in seiner Taubenzucht erlebt.