In vielen asiatischen Ländern gilt Bärengalle als Wunderheilmittel gegen alle möglichen Gebrechen. Um den Saft zu gewinnen, müssen Tausende von Bären auf sogenannten Gallenfarmen unglaubliche Qualen erleiden – etwa 12'000 sind es insgasamt, die auf solchen Farmen eingesperrt sind, schätzt die Tierschutzorganisation Animal Asia. In winzigen, rostigen Käfigen fristen die Kragenbären, auch Asiatische Schwarzbären genannt, ihr Dasein. Dort wird ihnen regelmässig in einer äusserst schmerzhaften Prozedur Galle abgezapft (lesen Sie hier mehr dazu).      

Im November konnte die Tierschutzorganisation Vier Pfoten die Kragenbärin Hai Chan von einer Gallenfarm in Vietnam befreien. Sie musste nicht nur als Gallenbärin leiden – ihr wurden auch noch die Vorderpfoten amputiert. Dies, um daraus Bärentatzen-Wein zu gewinnen. «Wein, in dem Bärentatzen eingelegt werden, ist leider in Vietnam immer noch eine Spezialität», sagt Julie Stillhart, Länderchefin von Vier Pfoten Schweiz, gegenüber «Tierwelt Online». Auch Suppe werde aus Bärentatzen gemacht. «Wenn den Gallenbären Tatzen fehlen, ist es aber in den allermeisten Fällen, weil sie für Wein verwendet werden.»

Ein (fast) normales Bärenleben  
Nach ihrer Rettung wurde Hai Chan in das von Vier Pfoten betriebene Bärenzentrum Ninh Binh im Nordosten von Vietnam gebracht. Sechs Wochen lang wurde sie dort aufgepäppelt. Letzte Woche durfte sie nun einen ersten Rundgang durch das Freigehege wagen. «Der Moment, als die Türen zum Gehege aufgingen und Hai Chan ihre Nase aus dem Bärenhaus steckte, war für unser gesamtes Team sehr berührend», sagt Vier-Pfoten-Tierärztin Szilvia Kalogeropoulu in einer Medienmitteilung. Zum ersten Mal in ihrem Leben habe die Bärin auf Gras laufen können. Hai Chan bewegt sich auf ihren Unterarmen fort, hat aber schon damit begonnen, ihre Armstümpfe zu benutzen. «Wir waren immer zuversichtlich, dass sie trotz Behinderung fähig sein würde, zu laufen. Aber dass sie so schnell die dafür nötige Kraft aufbaut, das grenzt an ein Wunder», sagt Kalogeropoulu.      

Man sei überrascht und hocherfreut, dass sich Hai Chan schon so gut erholt habe, heisst es bei Vier Pfoten. Bis auf einige Anpassungen im Gehege – ihre Hängematte und ihr Spielzeug hängen tiefer, es gibt für einen weichen Untergrund viel Stroh auf dem Boden – führe sie ein normales Bärenleben und könne mit ihren Stümpfen auch Futter halten und sich ein Nest bauen. Bald soll sie mit zwei anderen geretteten Bären zusammengebracht werden.

Die weltweite Nachfrage nach Bärengalle nehme zwar tendenziell ab, doch sei sie in etlichen Ländern nach wie vor sehr gefragt, sagt Julie Stillhart. Zu diesen Ländern gehörten beispielsweise China, Japan, Korea, Vietnam, Malaysia und Taiwan. Um das endgültige Ende der Gallenbärenfarmen zu erreichen, bleibe noch viel zu tun. «Es braucht eine ganze Reihe von Massnahmen wie Gesetzesänderungen, ein konsequenter Vollzug der Gesetzgebung, die Vorantreibung der Abgabe der verbleibenden Bären und nicht zuletzt eine umfassende Aufklärung der Bevölkerung in den entsprechenden Ländern.»