Der Wetterbericht verheisst nicht viel Gutes und wegen der Corona-Pandemie bin ich auch zu spät dran. Die Vögel sind nun voll mit dem Brüten und der Jungenaufzucht beschäftigt. Einige sind wohl schon an der zweiten Brut – die ersten Jungvögel sind schon ausgeflogen. Mit Singen und Balzen müssen sich die Vögel jetzt nicht mehr rumschlagen und sind entsprechend schwieriger zu entdecken.

Die überarbeitete Neuauflage des Buches «Vögel beobachten in der Schweiz» fand aber leider den Weg zu mir ins Homeoffice lange Zeit nicht. Trotzdem will ich einen Versuch wagen – in den Thurauen.

Das Besondere an dem Buch ist nämlich, dass es nicht die Vögel vorstellt, sondern die Orte, an denen man sie antreffen kann. Dazu empfehlen die Autoren Manuel Schweizer, Paul Walser Schwyzer, Mathias Ritschard und Marco Sacchi auch gleich eine Route, eine «Beobachtungsstrategie» und einzelne Beobachtungspunkte (mit Koordinaten!), an denen spezielle Arten erblickt werden können. Natürlich gibt es keine Garantie, dass man die entsprechenden Vögel dann auch tatsächlich sieht – Tiere folgen keinem Plan und halten sich auch nicht an irgendwelche Koordinaten.

 

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Die Thurauen im Zürcher Weinland, dort, wo die Thur in den Rhein mündet, sind das grösste Auengebiet des Mittellandes. Seit 1992 gelten sie als «Auengebiet von Nationaler Bedeutung», 2017 waren die elf Jahre dauernden Renaturierungsmassnahmen abgeschlossen («Tierwelt online» berichtete). Das angrenzende Niederholz, in dem laut Buch ebenfalls viele besondere Vogelarten beobachtet werden können, ist einer der grössten Eichen-Hagebuchwälder der Schweiz. Die Thurauen und das Niederholz sind Teil der Important Bird Area (IBA) «Zürcher Unterland und unteres Thurtal».

In den Thurauen brütet unter anderem der Pirol, die immer seltener werdende Turteltaube, der Mittelspecht, der Eisvogel und der in der Schweiz von Aussterben bedrohte Flussregenpfeifer. Start der vom Buch vorgeschlagenen Route ist das von der Stiftung PanEco geführte Naturzentrum, das noch zu hat, als ich ankomme. Von dort geht es dem Rhein entlang Richtung Thurmündung. Der Weg führt zwar am Fluss entlang, doch sieht man diesen durch die dichte Ufervegation fast nicht. Wie im Buch angekündigt, begrüsst mich hier aus dem Gebüsch singend eine Gartengrasmücke.

In den Scheunen zwischen den angrenzenden Gemüsefeldern, so heisst es, brüten ab und an Schleiereulen. Besonderes Augenmerk gilt es daher auf die Ansitze unter den Dächern zu werfen. Dort befinden sich auch tatsächlichen an vielen Gebäuden Nistkästen. Ob diese besetzt sind, ist allerdings unklar. Eine Schleiereule jedenfalls lässt sich – leider – nicht blicken.

Als einer der Beobachtungspunkte empfiehlt das Buch den Aussichtsturm auf den Kiesinseln der Thur. Hier sehe ich eine weitere Zielart der Exkursion: Mittelspechte, gleich mehrere Exemplare. Auch sie sind in der Schweiz gefährdet und eine Prioritätsart zur Förderung. In den letzten Jahren nahmen die Bestände wieder zu. Der Mittelspecht mag am liebsten Eichen, wie sie in den Thurauen reichlich vorhanden sind.

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Aus dem Wald erklingt von weit her der wohlklingende Gesang eines Pirols. Als Antwort erhält er den Ruf eines Kuckucks – auch er ist nicht mehr so häufig, wie er einmal war. In den Thurauen findet er aber noch einen Lebensraum und kleinere Vögel, denen er seine Eier ins Nest legen kann. Von diesen macht sich hier der Teichrohrsänger besonders lautstark aus dem Schilf bemerkbar. In der Nähre ruht sich eine Gänsesäger-Mutter mit gleich 15 Küken aus.

Leider fängt es nun an zu regnen, und das nicht zu knapp. Ich mache mich schleunigst auf den Rückweg. Unter den Scheunendächern halte ich nochmals hoffnungsvoll nach Schleiereulen Ausschau. Tatsächlich sitzt dort etwas. Durch den dichten Regen ist aber nicht zu erkennen, was es ist. Das trockene Zuhause muss wohl doch noch etwas warten.

Endlich habe ich die Scheune erreicht, gucke nach oben und – ein Turmfalke guckt zurück. Weil er mich so lieb anschaut, verzeihe ich ihm auch ganz schnell, dass er keine Schleiereule ist.

Trotz wenig Gesangsaktivität habe ich immerhin einige der in «Vögel beobachten in der Schweiz» für die Thurauen aufgelisteten Arten entdeckt. Wer sich bereits auskennt, ist bei diesem Buch definitiv im Vorteil, denn wie die Arten aussehen oder wie man sie erkennen kann, wird nicht gross beschrieben. Die Autoren sehen das Buch zwar auch als Einstiegshilfe für Anfängerinnen und Anfänger, aber ohne einen zusätzlichen Vogelführer könnte es für diese sehr schwer werden.

Die vielen Tipps, Anhaltspunkte und Hintergrundinformationen über 58 ausgewählte Gebiete und was man dort wo finden kann, sind aber äusserst wertvoll, sowohl für Anfänger, als auch für Profis, die manche Orte noch nicht so gut kennen.

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Manuel Schweizer, Paul Walser Schwyzer, Mathias Ritschard, Marco Sacchi:
«Vögel beobachten in der Schweiz»
4. Auflange 2020
Broschur, 372 Seiten
Verlag: ott
38.- Franken
ISBN 978-3-7225-0185-7