Instagram ist das soziale Netzwerk der Stunde. Fast zwei Milliarden Menschen nutzen es weltweit, in der Schweiz allein sind es zwischen 2,5 und 3 Millionen. Vor allem Prominente erzielen mit ihren Kanälen enorme Reichweiten. Aber nicht nur. Auch die Bilder von herzigen Tierchen werden zum Teil millionenfach angeklickt und geliked.

Der Account @mr.pokee zum Beispiel zählt 1,9 Millionen Follower. Erstellt hat ihn Talitha Girnus aus dem deutschen Wiesbaden. Auf den Bildern zu sehen ist aber zumeist nicht sie, sondern ihr Weissbauchigel – zuerst Mr. Pokee, seit dessen Tod im März 2019 sein Nachfolger Herbee. Auf den Bildern liegen die Igel typischerweise halb eingekugelt in der Hand ihrer Besitzerin – und scheinen vor Freude richtiggehend zu strahlen. Es sind niedliche Stars, die nicht selten den Wunsch nach mehr wecken.

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Das weiss kaum einer besser als Ulli Runge, der mit seiner Partnerin Karin Stiffler den Kamelhof Olmerswil in Neukirch an der Thur im Kanton Thurgau betreibt (mehr zum Kamelhof gibt es hier). Als diplomierter Zootierpfleger kennt er sich auch mit Igelartigen aus und ist momentan der einzige Anbieter des Sachkundenachweiskurses für exotische Igel und Tanreks in der Schweiz, der für eine Bewilligung zur Haltung dieser Tiere nötig ist. «Bei uns melden sich immer wieder Leute, die auf Instagram herzige Igelbilder gesehen haben und nun ebenfalls solche Tiere halten möchten», sagt Runge.

Den Kurs bietet Runge seit 2019 an – und hat ihn seither schon mehrere Male durchgeführt, das letzte Mal erst im November. Begeistert ist er davon allerdings nicht, wie er offen einräumt. Entstanden sei der Kurs auf Anfrage von kantonalen Veterinärämtern, die selbst auch immer wieder Anfragen zur Haltung von Weissbauchigeln gehabt hätten. «Ich selber finde Weissbauchigel nicht geeignet für die Haltung. Es ist ein Haustier-Trend, den die Welt nicht braucht.»

Nachtaktive Dauerläufer
Zum einen, sagt Runge, seien Igel ja alles andere als Streicheltiere. Zum anderen handle es sich um nachtaktive Gesellen. «Dann, wenn sich die meisten Halter mit ihrem Igel abgeben möchten, liegt der also als stachlige Kugel in seinem Unterschlupf und darf nicht gestört werden.» Noch viel entscheidender findet Runge aber den Umstand, dass es so gut wie unmöglich sei, einen Weissbauchigel artgerecht zu halten. Igel sind nämlich regelrechte Dauerläufer: Bei Anbruch der Dämmerung begeben sie sich auf Futtersuche, und können dafür pro Nacht bis zu zehn Kilometern zurücklegen. Kein Gehege kann für diesen Bewegungsdrang gross genug sein – zumal Afrikanische Weissbauch­igel wärmebedürftig sind und in unseren Gefilden hauptsächlich in der Wohnung gehalten werden müssen.

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Laut Runge tauchen denn auch immer wieder Zucht- und Haltungsprobleme auf. Bekannt ist zum Beispiel das sogenannte Renner-Syndrom. Stereotyp rennen die Tiere in ihrem Gehege die immer gleiche Strecke auf und ab – oft bis sie sich die Zehenballen wund und blutig gelaufen haben. Die Gründe dafür sind ungenügend untersucht, haben aber offensichtlich mit dem grossen Bewegungsdrang der Tiere zu tun.

Anfällig auf Krankheiten
Zudem haben Igelzüchter in den USA und England seit den 1980er-Jahren mehrere Farbmutationen herausgezüchtet. Auf ein bestimmtes Merkmal zu selektionieren erhöht allerdings oft die Inzuchtgefahr und damit auch die Anfälligkeit auf Gendefekte. So überrascht es nicht, dass in manchen Zuchtlinien heute genetisch bedingte Krankheiten auftreten wie das sogenannte Wobbly Hedgehog Syndrome. Es handelt sich um eine degenerative neurologische Erkrankung, die mit der Multiplen Sklerose beim Menschen verglichen wird. Die Krankheit zerstört die schützenden Hüllen von Nervenzellen, was zuerst zu Koordinationsstörungen, später zu Lähmungen führt. Eine Heilung gibt es nicht.

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Insgesamt, sagt Ulli Runge, würden Weissbauchigel in Gefangenschaft oft nur drei bis vier Jahre alt. Wegen Bewegungsmangel, Gendefekten – oder falscher Ernährung. Er habe einmal einen nicht mehr erwünschten Weissbauchigel aufgenommen, erzählt Runge. «Aber er war schon so verfettet, dass er bald starb.» Manche Halter fütterten ihre Igel aus Bequemlichkeit vor allem mit Mehlwürmern. «Doch Igel benötigen Insekten wie Schaben oder Heuschrecken; Mehlwürmer enthalten zu viel Fett.»

Gehalten werden vor allem der Afrikanische Weissbauchigel (Atelerix algirus) und der Eigentliche Langohrigel (Hemiechinus auritus). Die Haltung des einheimischen Braunbrustigels ist von Gesetzes wegen untersagt. Weil exotische Igel anspruchsvolle Pfleglinge sind, braucht es für ihre Haltung einiges Fachwissen. Und der eigenen Sicherheit willen ist im Umgang mit ihnen auch etwas Vorsicht geboten – nicht nur wegen der Stacheln: Igel erkranken häufig an Hautpilzen, die auch auf den Menschen übergehen können, wie Ulli Runge erzählt.

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Oft nicht mehr als ein Spleen
Solches Vorwissen hätten Leute meist nicht, die sich bei ihm wegen der Igelhaltung meldeten. «Oft basiert ihr einziges Vorwissen auf herzigen Bildern im Internet», sagt er. Das Interesse sei vielfach eher ein Spleen als die Absicht, sich eingehend mit den Tieren und ihren Bedürfnissen zu beschäftigen. Er stelle hier einen frappanten Unterschied fest zu Menschen, die sich etwa für Frettchen interessierten, sagt Runge, der auch für diese domestizierten Iltisse Sachkundenachweiskurse anbietet. «Frettchen-Interessenten sind meist schon viel besser informiert.»

Schon bei der Anmeldung zu den Igelkursen macht Runge deshalb meist etwas, was seinem Geschäft eigentlich nicht zuträglich ist. «Ich versuche den Interessenten, die Idee auszureden, sich einen Igel anzuschaffen», sagt er. Denn damit tun Neuhalter weder sich noch dem stacheligen Tier einen Gefallen.