Mittels einer Kamera im Käfig wird überwacht, dass es Nenuah gut geht. Immer näher kommt sie einem Leben in Freiheit. Das Tier wurde einst aus einer Haltung in Thailand gerettet und lernte in der Waldschule der BOS Foundation (Borneo Orangutan Survival), wie es in freier Wildbahn überleben kann. Nenuah meisterte das mit Bravour – und gehört nun zu den ersten zehn Tieren, die nach einer Corona-bedingten Zwangspause ausgewildert werden. «Ein ganzes Jahr lang konnten wir aufgrund der weltweiten Pandemie keine Orang-Utans auswildern», sagt BOS-Geschäftsführer Jamartin Sihite. 

Orang-Utan bedeutet so viel wie «Mensch des Waldes». Die Primaten kamen einst in weiten Gebieten Südostasiens vor, heute leben sie nur noch auf den Inseln Borneo und Sumatra. Palmölplantagen, Wilderei und Waldbrände setzen dem Bestand zu. Schätzungen zufolge könnten Orang-Utans in freier Natur in wenigen Jahrzehnten ausgestorben sein. 

Kein bestätigter Fall von Covid-19
Bis heute ist nicht eindeutig klar, ob sich Orang-Utans mit Sars-CoV-2 infizieren können. Bisher gab es keinen bestätigten Fall, auch wegen der sofort eingeleiteten Massnahmen der Organisationen, die sich dem Schutz der Tiere verschrieben haben. Die BOS Foundation etwa hatte im März 2020 ihre Rettungszentren abgeriegelt und erhöhte Sicherheitsstandards für die Mitarbeiter eingeführt (lesen Sie hier mehr dazu). 

Im Januar 2021 wurde bei einigen Gorillas im San Diego Zoo Safari Park in den USA Sars-CoV-2 nachgewiesen, nachdem sie Symptome wie Husten und verstopfte Nasen zeigten («Tierwelt online» berichtete). Eine Studie habe gezeigt, dass alle Menschenaffen-Arten entscheidende Merkmale haben, die für eine Infektion mit dem Virus anfällig machen, heisst es von BOS-Experten. Insofern sei davon auszugehen, dass auch Orang-Utans sich mit dem Erreger anstecken und erkranken können. 

Hier werden die ersten Orang-Utans seit dem Lockdown in die Freiheit entlassen

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Im Regenwald von Kalimantan, dem indonesischen Teil von Borneo, beginnt unterdessen für sieben Männchen und drei Weibchen, darunter das Mutter-Kind-Paar Disha und Deijo, das Abenteuer Freiheit. Die neuen Wilden sind zwischen 4 und 28 Jahre alt, die meisten haben in ihrem Leben schlimme Erfahrungen gemacht. Zum Beispiel Bali, der 2003 im Alter von vier Monaten von einer Plantage gerettet wurde. Unter der Haut des Jungtiers steckten zwei Luftgewehrkugeln, ein Bein war gebrochen. 

Erst Test, dann Freiheit
Zusammen mit Medizinern, Biologen, Behörden und Experten hat BOS die Hygieneprotokolle angepasst, um die Orang-Utans sicher und gesund in den Urwald entlassen zu können. «Auch die nun ausgewilderten Orang-Utans wurden getestet, um sicherzugehen, dass sie frei von Sars-CoV-2 sind, ehe sie ihr Leben in unseren geschützten Wäldern beginnen», erklärt Geschäftsführer Jamartin Sihite. Daniel Merdes, Geschäftsführer von BOS Deutschland, freut sich: «Noch vor uns Menschen dürfen die Orang-Utans aus dem erzwungenen Lockdown in die Freiheit ziehen.»

Um die Auswilderungsgebiete möglichst schnell und ohne weitere Ansteckungsgefahr für die Menschenaffen zu erreichen, entschied sich BOS für den Einsatz eines Helikopters – normalerweise dauert die Reise von den Rettungszentren in die Schutzwälder bis zu drei Tage. «Vor allem wurde so aber vermieden, Dörfer und Siedlungen zu durchqueren, was das Risiko einer gesundheitlichen Gefährdung der Tiere inmitten der noch immer grassierenden Pandemie minimierte», teilt BOS mit. 

Aufregender Helikopterflug
Der Flug ist zwar aufregend für die Oang-Utans, aber er dauert nur eine Stunde. Die Tiere sind wach, werden jedoch zur Beruhigung leicht sediert. «Das ist in etwa so wie bei Menschen, die vor einer kurvenreichen Autofahrt oder einem Bootstrip eine Pille nehmen», erklärt BOS-Tierarzt Agus Fachroni. Manche Menschenaffen seien bei Reisen cool und neugierig, andere eher ängstlich und verunsichert. «Wir entscheiden bei jedem einzelnen Orang-Utan, welches Medikament am geeignetsten ist, so dass die Tiere nur das verabreicht bekommen, was notwendig ist.» Die meisten hätten während des Flugs aus dem Käfig geschaut, «so wie ein Mensch beim Flugzeugstart aus dem Fenster blickt, haben Nester gebaut und sich sogar kurz hingelegt», erzählt Fachroni. 

Im Wald angekommen werden die Boxen zügig geöffnet – und die Orang-Utans laufen ungestüm dem nächsten Baum entgegen. In den nächsten Wochen werden sie von Teams vor Ort genau beobachtet. Kommen sie mit dem Leben in Freiheit klar? Finden sie genug Futter? Bauen sie täglich ihre Schlafnester? «Erst dann wissen wir, dass die Auswilderung wirklich geglückt ist», sagt Merdes.