Er könnte der Chef einer Speditionsfirma sein: Giovanni Boccù, dunkle Brille, schmale Lippen, erklärt in kurzen, nüchternen Sätzen, wann die Ware bei ihm ankommt, welche Unterhaltskosten anfallen, wie er sie verarbeitet und an wen sie ausgeliefert wird. Nur ist Boccù kein Lagerist, sondern der Präsident des italienischen Pelzverbandes und seine Firma eine Nerzfarm mit 5000 Tieren. 

Es ist Januar, die «Ernte» ist vorbei und Boccù zufrieden. «Der Markt wächst, und glaubt man den Prognosen, wird die Nachfrage auch in den kommenden Jahren stark ansteigen.» Tatsächlich wird so viel Pelz getragen wie schon lange nicht mehr – auch in der Schweiz. Wurden 1992 noch 150 Tonnen Pelze in unser Land importiert, waren es 2016 bereits 440 Tonnen. Die meisten Produkte stammen von EU-Farmen. Diese verkaufen ihre unverarbeiteten Pelze an grosse Auktionshäuser, etwa nach Kopenhagen, wo sie an Händler versteigert werden. Darunter sind viele Modehäuser, die gezielt Prominente einsetzen, um Pelze auch bei Jugendlichen wieder salonfähig zu machen. Was offenbar wirkt, wie Thomas Aus der Au vom schweizerischen Branchenverband Swissfur sagt: «Vor allem junge Kunden entdecken Pelze neu.»

«Widerspruch mit verheerenden Folgen»
Für Gieri Bolliger von der Stiftung für das Tier im Recht (TIR) ist das nicht erstaunlich: «Die grossen Kampagnen gegen Pelz reichen in die Achtzigerjahre zurück.» Er bezweifelt, dass die Jugendlichen von heute wissen, welches Tierleid hinter den Pelzen steckt. «Viele denken sich: Würde die Bordüre an meiner Jacke oder der Bommel auf meiner Mütze aus tierquälerischer Pelzhaltung stammen, wäre das in der Schweiz doch verboten. Aber so ist es nicht.» Zwar sind die Auflagen für die Haltung von Pelztieren hierzulande derart hoch, dass sich kommerzielle Farmen gar nicht rentieren würden. Dennoch ist es erlaubt, Pelze aus dem Ausland zu importieren. Und das, obschon sie häufig unter Bedingungen produziert werden, die dem Schweizer Tierschutzrecht klar zuwiderlaufen – ein «Widerspruch mit verheerenden Konsequenzen für die Tiere», wie Bolliger findet.

Aus der Au hat damit kein Problem. Die meisten importierten Pelzfelle kämen ohnehin aus EU-Ländern, die «einen ähnlichen kulturellen Hintergrund haben wie wir in der Schweiz». Er spielt damit wohl auch auf Länder wie China an, die infolge ihrer qualvollen Haltung und Tötung von Pelztieren für negative Schlagzeilen sorgen. Zudem sei der Zustand des Haarkleides einer der deutlichsten Hinweise darauf, wie es einem Tier geht, sagt Aus der Au. So argumentiert auch Pelzfarmer Boccù: «Meine Tiere sind bei bester Gesundheit, sie haben zu essen, wachsen gut und haben ein prächtiges Fell.» 

Über die konkrete Haltung sagt das aber noch nichts aus. Nach Schweizer Tierschutzrecht müsste ein einzelner Nerz in einem Gehege von 7,5 Quadratmetern gehalten werden. Bei Boccù, der sich an die EU-Empfehlungen von 1999 hält, stehen einem Nerz  2550 Quadratzentimeter zu, das sind umgerechnet 30 cm auf 85 cm – oder 30 Mal weniger als in einem Schweizer Minimalgehege. 

«Samt und sonders tierquälerisch»
In der Natur leben Nerze in Feuchtgebieten und ihre Territorien dehnen sich über mehrere Kilometer aus. Auf Boccùs Farm dagegen verbringen sie von März an ihre Tage in einem erhöhten, offenen Drahtkäfig mit einem kleinen Nistkasten aus Holz. Ein Futterbrei aus Fleisch und Fisch wird auf das obere Gitter gelegt, die Exkremente fallen durch das untere Gitter auf den Boden. So leben die Tiere acht Monate lang Käfig an Käfig, bis sie im Dezember vergast und gehäutet werden; die Körper landen in Biogas­anlagen oder der Zementfabrik. Für den Schweizer Pelzverband Swissfur gilt die Farm von Giovanni Boccù offenbar als vorbildlich. Ob eine solche Haltung aber tatsächlich als «tiergerecht» bezeichnet werden darf, dazu wollte Swissfur nichts sagen. 

Anders Hansuli Huber vom Schweizer Tierschutz STS: «Auf Pelzfarmen mit Käfigen aus Gitterböden fehlt es an Platz und verhaltensgerechten Strukturen. Sie sind samt und sonders tierquälerisch.» Letztlich geht es ihm um einen grundsätzlichen Punkt: «Die Aufzucht und Tötung eines Tieres allein wegen seines Pelzes ist unnötig, denn es gibt Alternativen.» Damit meint Huber nicht die Pelznutzung aus der einheimischen Rotfuchsjagd, für die der Branchenverband Swissfur wirbt. Davon abgesehen, dass er bezweifelt, ob die Fuchsjagd überhaupt notwendig sei, stört sich Huber daran, dass «sich die Schweizer Jäger bis heute gegen ein Verbot der tierquälerischen Baujagd wehren», bei der die Füchse von Hunden aus ihren unterirdischen Bauten getrieben werden (lesen Sie hier mehr dazu). 

Dagegen etabliert sich der Kunstpelz zunehmend als Alternative zum echten Pelz und wird so auch für Modehäuser attraktiv. Nicht bloss Stardesigner wie Giorgio Armani wollen künftig auf Echtpelze verzichten, sondern auch das Migros-Warenhaus Globus. Doch Tierschutzorganisationen haben auch Bedenken wegen des Kunstpelzes: Weil er inzwischen wie echter Pelz aussieht, könne leicht der Eindruck entstehen, dass der Unterschied keine Rolle spiele und es prinzipiell in Ordnung sei, Pelze zu tragen.

Die Grenzen der Wahlfreiheit 
Gieri Bolliger von TIR möchte ohnehin, dass der Import von tierquälerischen Pelzprodukten verboten wird. Gegen ein solches Importverbot hatte sich allerdings der Ständerat vor einigen Jahren ausgesprochen. Er fürchtete Probleme mit der Welthandelsorganisation WTO. Daraufhin führte die Schweiz im März 2013 als erstes Land eine Deklarationspflicht ein. Doch gibt es Probleme bei der Umsetzung. Was Tierschutzorganisationen wie der STS schon im Vorfeld bemängelten, hat inzwischen auch das Bundesamt für Lebensmittelsicherheit und Veterinärwesen (BLV) bestätigt: Zu viele der importierten Pelzprodukte sind unvollständig, irreführend oder gar falsch deklariert («Tierwelt Online» berichtete). Deshalb wurde das BLV vom Parlament beauftragt, noch dieses Jahr Alternativen zu prüfen. Nebst einer Verschärfung der Deklarationspflicht soll erneut über ein Importverbot diskutiert werden. Bolliger hat zusammen mit Nils Stohner, einem WTO-Spezialisten, diese Option geprüft und ist sich sicher: «Es ist mit den WTO-Bestimmungen durchaus vereinbar, ein ethisch motiviertes Importverbot durchzusetzen, falls dieses der gesellschaftlichen Wertauffassung entspricht.» Aus genau solchen Gründen habe sich die Schweiz immerhin schon für ein Import- und Handelsverbot von Hunde- und Katzenfellen ausgesprochen. 

Solange es kein Verbot von Pelzen aus tierquälerischer Produktion gibt, sagt Thomas Aus der Au von Swissfur: «Ob wir Pelz nutzen wollen, muss jeder für sich beantworten.» Allerdings dürfte diese Haltung auch in Zukunft Anlass zu Diskussionen geben. Gieri Bolliger von der Stiftung Tier im Recht ist jedenfalls überzeugt: «Unsere Wahlfreiheit muss dort ihre Grenzen haben, wo Schwächere geschädigt werden. Und das sind in diesem Fall die Pelztiere, die für unseren Luxus sterben müssen.»