Die Menschheitsgeschichte ist eng mit  kulturellen Entwicklungen und deren Hinterlassenschaften verknüpft. Ein gutes Beispiel sind die ägyptischen Pyramiden, die von einer Hochkultur am Nil zeugen, und zwar vor mehreren Tausend Jahren. Neben solchen Relikten mit Weltbedeutung sind es gerade auch die Kleinigkeiten, die das Gesamte ausmachen. Dazu gehören auch die Taubenrassen. 

Tauben sind lebende Beweise menschlicher Kultur und zeugen vom Ehrgeiz und dem züchterischen Schaffen. Viele Generationen haben sich an ihnen mit viel Enthusiasmus verwirklicht und sind dennoch fast immer namenlos wieder verschwunden. Selbst die Orte ihrer Entstehung lassen sich in den seltensten Fällen genau finden. Meistens sind es Regionen oder Kantone, in denen die Taubenrassen erzüchtet wurden. Aus diesem Grund finden sich in den Rassennamen fast immer Hinweise auf ihren Ursprung. 

Diesbezüglich macht auch der Eichbühler, die extravaganteste Schweizer Taubenrasse, keine Ausnahme. Trotzdem hat er eine einmalige Sonderstellung, und das unter allen zurzeit anerkannten Taubenrassen. Bei ihm lässt sich nämlich nicht nur die Region festlegen, sondern sogar ein einzelner Hof. Der Hof Eichbühl steht bis heute an der Stelle, an der die Tauben ihren Ursprung haben. Er liegt im oberaargauischen Auswil BE, der Eichbühler gehört somit zu den Berner Rassen.

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Scheu und anspruchslos
Weshalb sich gerade auf einem Bauernhof vor mehr als 200 Jahren eine solche Rasse entwickeln konnte, lässt sich nicht mehr nachvollziehen. Im Gegensatz zu den meisten anderen Schweizer Taubenrassen ist zwar auch der Eichbühler bäuerlichen Ursprungs, aber dennoch grundverschieden zu den anderen Farbentaubenrassen. Nicht umsonst wurde er lange Jahre im Ausland zu den Formentauben gezählt. Doch auch hier war der Eichbühler nicht richtig aufgehoben. Am ehesten könnte man ihn zu den brieftaubenartigen Tauben zählen. Also genauso wie die Deutschen Schautauben und die vielen englischen Rassen, die Brieftauben zu ihren Ahnen zählen. 

Mit grosser Wahrscheinlichkeit ist der Eichbühler eine Kombination beziehungsweise das Ergebnis aus Kreuzungen von Brieftauben und Feldflüchtern. Auf dem Hof Eichbühl hat er dazu offenbar die idealen Voraussetzungen gefunden. Denn wie zur damaligen Zeit üblich, mussten die Tauben sich ihr Futter selbst suchen. Eine Zufütterung war lediglich in Ausnahmefällen angedacht. Unter solchen Haltungsbedingungen konnten sich nur Tauben durchsetzen, die absolut anspruchslos waren. 

Genau das sowie ein ungeheuer flüchtiges, geradezu scheues Wesen hat den Eichbühler von Anfang an ausgezeichnet. Er ging den Menschen aus dem Weg und hat trotzdem den angebotenen Taubenschlag angenommen. Mit diesem Verhalten gehörten und gehören die Eichbühler zu den ursprünglichsten Rassen überhaupt. Denn genau wie ihre Ahnen, die Felsentauben (Columba livia), zeigen sie das Besondere in der Domestikation von Tauben. Man kann sie in völliger Freiheit halten und dennoch schliessen sie sich dem Menschen an. Darin unterscheiden sich Tauben von allen anderen Haustieren. Betrachtet man also die Geschichte der Eichbühler, dann waren die Tiere zunächst eher ein Taubenschlag als eine eigenständige Taubenrasse. Dass sich dennoch aus dieser kleinen Keimzelle eine Rasse entwickelt hat, spricht eindeutig für sie.

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In der Fachliteratur früh erwähnt
Ihr Ruf scheint übrigens relativ schnell sehr gut gewesen zu sein. Im Gegensatz zu den anderen Schweizer Taubenrassen wurden sie nämlich in der gros­sen Fachliteratur fast ausnahmslos erwähnt. Karl Stauber geht sogar noch einen Schritt weiter und hat durch Recherchen nachgewiesen, dass Eichbühler bereits bei der ersten Deutschen Nationalen Rassegeflügelschau 1893 im Krystall-Palast in Leipzig ausgestellt waren. Damit sind sie aller Wahrscheinlichkeit nach die erste anerkannte Schweizer Taubenrasse, welche die eidgenössischen Grenzen überschritten hat.

Die meisten Beschreibungen in den Büchern beziehen sich auf Erzählungen, sodass sich mancher Fehler eingeschlichen haben muss. So sind auch die Abbildungen nicht immer dem gewünschten Rassentyp entsprechend. Ausnahmen machen das «Illustrierte Prachtwerk sämtlicher Tauben-Rassen» von Emil Schachtzabel und das in Aarau herausgegebene Buch «Enten, Gänse und Tauben als Nutzgeflügel» von Julius Bloch aus dem Jahr 1921. In beiden Werken zeigt der Eichbühler schon den deutlichen Eidechsenkopf, die charakteristische Behosung, die in der Zwischenzeit der Bestrümpfung gewichen ist, und die etwas geduckte Haltung. Im Bloch-Buch sogar traditionell als Strichzeichnung vor dem Hof Eichbühl.

Sonderstellung gewahrt
Bis zum heutigen Tag hat sich der Eichbühler vom Aussehen her kaum verändert. Die besseren Fütterungsbedingungen haben ihn im Körper kräftiger werden lassen. Dennoch ist er weiterhin ein sehr guter Flieger, der seinem Züchter gegenüber noch immer sehr scheu ist. Vielleicht ist das der Grund, weshalb in seiner Rassengeschichte die Züchter gekommen und auch wieder gegangen sind. Dauerhaft dabei geblieben sind nur die wenigsten. Diese dann aber umso intensiver. 

Für den Eichbühler bedeutete das, dass er immer wieder um sein Überleben kämpfen musste. Mit Einkreuzungen anderer Rassen wurde versucht, ihm neues Leben einzuhauchen. Allerdings ohne den gewünschten Erfolg. Der Originaltyp des Eichbühlers ging verloren, sodass sich die Züchter wieder auf den Ursprung besonnen haben. Damit wurde die Sonderstellung der Rasse gewahrt. Den Züchtern ist es dabei gelungen, die Farbenschlagpalette zu erweitern. So sieht man ihn heute sogar in der seltenen Mehlfarbe.

Der Eichbühler ist auch gegenwärtig keine Massenware. Dennoch geniesst er wie zu den Anfangszeiten einen exzellenten Ruf. Er gehört zum festen Bestandteil der Schweizerischen Taubenausstellungen und wird auch in diesem Jahr an der Nationalen in Langenthal BE zu sehen sein. Einzig einen kleinen Wermutstropfen gibt es: Auf dem Hof Eichbühl gibt es heute keine Eichbühler mehr.