Im Wohnzimmer der Familie Eisenring im thurgauischen Wallenwil ist ganz schön was los, wenn Arnold, Charlie, Caspar, Chem, Dokrates und Lemon herumfliegen. Doch ein Pfiff von Manuel Eisenring genügt, und die fünf Nymphensittiche und der Zitronensittich flattern auf die ausgebreiteten Arme ihres Züchters. Noch klappt es allerdings nicht immer auf Anhieb, denn die Vögel sind noch jung. Dokrates, der Jüngste im Bunde, wird sogar noch etwas zugefüttert. «Ich gebe ihm noch dreimal täglich mit der Spritze etwas Handaufzuchtfutter», sagt Eisenring.

Der 20-Jährige beschäftigt sich täglich bis zu drei Stunden intensiv mit seinen Vögeln. «Mich interessiert vor allem die Mensch-Tier-Beziehung», sagt der junge Mann, der die Pädagogische Maturitätsschule in Kreuzlingen TG absolviert. Unter der Woche wohne er mit seinem Bruder direkt an der Ausbildungsstätte. «Ich habe dort ein Zimmer, am Wochenende aber komme ich gerne nach Hause zu meinen Eltern nach Wallenwil.»

Seine Eltern sieht er während der Woche nicht, doch seine Vögel sind immer bei ihm. Er nimmt sie in einer Transportkiste mit in die Stadt am Bodensee, wo er die Papageien in einen Flugkäfig in seinem Zimmer setzt. Seine Sittiche kennen die Wohnverhältnisse, flitzen unter seiner Aufsicht durch den Flur auch schon mal in die Gemeinschaftsküche. «Ich habe eine Spezialbewilligung, dass ich die Vögel in der Schule halten darf», sagt Eisenring. Sie zu erhalten, war nicht schwer, schreibt er doch seine Maturaarbeit über die Handaufzucht und das Verhalten der Sittiche. Er bringt ihnen nützliches Verhalten bei, insbesondere eben, dass sie auf seinen Pfiff hin wieder zu ihm zurückkommen.

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Handaufzuchten sind ideal
Arnold fliegt derweil im Zimmer im Kreis, Dokrates bettelt auf dem Tisch nach Futter und Caspar flattert auf einen Ficus, der daraufhin scheppernd zu Boden fällt. Bettina Eisenring lacht. Manuels Mutter ist sich allerhand gewöhnt: Für sie sind die gefiederten Mitbewohner seit langem normal, fuhr Sohn Manuel doch schon als Kleinkind auf dem Dreirad durch die Wohnung mit gefiederten Passagieren. Auf der Lenkstange sassen ein Wellen- und ein Nymphensittich.

Der Haushalt der Familie Eisenring ist ganz auf Tiere ausgerichtet. Vater Rolf ist ein passionierter Vogelzüchter und Zucht-richter von Ziervögel Schweiz. Er und sein Sohn Manuel sind Mitglieder bei Kolibri Wil. Klar, dass die Vögel, die Manuel Eisenring von Hand aufzieht, gleich auch in den Volieren in seinem Elternhaus geschlüpft sind. «Es sind Weisskopf-Perlschecken», erklärt der junge Mann den besonderen Nymphensittich-Farbenschlag.

Er findet es wichtig, dass er Vögel, die er trainieren will, von Hand aufziehen kann. «Die Bindung ist so von Anfang an grösser.» Wären sie elternaufgezogen, würde es auch gehen, doch es wäre viel aufwendiger, eine Bindung aufzubauen, vermutet Eisenring. Er hat die Nymphensittiche alle im Alter von drei Wochen dem Nistkasten entnommen. «Sie haben sich vom ersten Tag an daran gewöhnt und nahmen das Handaufzuchtfutter problemlos auf.» Eisenring füttert ein Fertigfutter, das er mit warmem Wasser anrührt. Er gibt es mit einer Spritze direkt in den Schnabel, sodass die Sittiche die Lösung selber schlucken.

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Nymphensittiche bebrüten ihr Gelege rund 18 Tage lang. Die Jungen fliegen mit etwa fünf Wochen aus und werden noch bis zu drei Wochen von den Eltern gefüttert, während sie langsam damit beginnen, selber Nahrung aufzunehmen. In diesem Stadium befindet sich der kleine Dokrates. Doch wenn Eisenring ihn füttert, flattert auch Lemon herbei und freut sich, wenn er etwas vom Futter abbekommt. Der kleine Zitronensittich ist ebenfalls ein Jungvogel dieses Jahrs. 

«Mit Zitronensittichen habe ich viel Erfahrung», sagt der junge Papageienfreund. Er hat einst fünf junge Zitronensittiche von Hand aufgezogen und sie während eines halben Jahrs so gut trainiert, dass er mit ihnen nach draussen konnte. «Ich ging jedes Mal auf eine Anhöhe und liess sie dort ihre Runden fliegen.» Er zeigt einen kurzen Film auf dem Mobiltelefon. Die kleinen Südamerikaner sind nur noch als kleine Punkte am gräulichen Himmel zu erkennen. Er habe das Experiment auf der Anhöhe ausprobiert, weil er so für die Sittiche von weit her gut sichtbar war und weil ringsherum keine Vegetation stand.

 Auch mit Rotbauchsittichen habe er das schon erfolgreich gemacht. «Als einmal ein Milan am Himmel erschien und kreischte, stieben die Rotbauchsittiche auseinander.» Eisenring dachte, dass er sie verloren habe. Sein Vater Rolf aber wollte wissen, in welche Richtung sie geflogen sind. Sie suchten dort die Bäume ab. Tatsächlich sassen die Ausreisser versteckt im Blattgrün.

Natürliches Verhalten nutzen
Bis Manuel Eisenring bei ihnen stand und der Milan nicht mehr in der Nähe war, gaben sie keinen Mucks von sich. Als er dann pfiff, flogen alle vier Rotbauchsittiche vom Baum herunter auf seine ausgestreckten Arme. «Mit Südamerikanern gelingen solche Experimente», sagt der Vogeltrainer. Sie tendierten dazu, bei Problemen Schutz in der Vegetation zu suchen, und seien viel verspielter.

Nymphensittiche aber stammen aus offenen Gebieten Australiens und sind pfeilschnelle Flieger. Darum übt Eisenring vorerst ausschliesslich in der Wohnung mit ihnen. Auch im Zimmer zeigen sie dieses Verhalten: Sie fliegen auf und stürzen davon. Der kleine Zitronensittich aber bleibt auf dem Büchergestell sitzen und äugt hinunter zu Eisenring. Es braucht einige Zeit, bis sich die Australier-Bande wieder beruhigt hat und zurückfliegt. 

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Zum Training sei eine Gruppe von vier bis fünf Sittichen geeignet, sagt Eisenring. «Man muss aber darauf achten, dass sie sich während dem Training nicht zu fest untereinander beschäftigen, sondern auf den Menschen ausgerichtet sind.» Wenn die Jungen selbständig sind, sind sie auch unabhängiger. Sie brauchen dann besondere Aufmerksamkeit des Trainers. Auch die Geschlechtsreife ist keine einfache Phase. Sie tritt je nach Art zu unterschiedlichen Zeitpunkten ein. «Wenn man sich täglich mit ihnen beschäftigt, ist auch das kein Problem», sagt Eisenring. Man müsse gut beobachten, auf das Verhalten eingehen und ihre natürlichen Verhaltensweisen nutzen. «Es bringt nichts, etwas erzwingen zu wollen.» Wenn er nervös oder durch etwas belastet sei, verzichte er lieber auf das Training. 

Die Nymphensittiche sitzen auf Schultern und Armen des jungen Vogelfreundes. Der kleine Lemon geniesst eine Spezialbehandlung. Er lässt sich in der geschlossenen Hand halten, was ihm offensichtlich Vergnügen bereitet. «Die Nymphensittiche sind grundsätzlich der Hand gegenüber vorsichtiger», sagt Manuel Eisenring. Er geht mit seinen gefiederten Freunden die Treppe hinunter und setzt sie wieder in ihre Voliere, wo sie alle zusammen ausserhalb des Trainings leben.