Mausi war schon immer eine spezielle Katze. Nicht nur, dass ihre Laute eher der einer Taube gleichen; auch ihr Verhalten sorgte für so manche Verwunderung. Seit ein paar Wochen aber zeigte die 15-jährige Seniorin Veränderungen, die nicht länger mit den üblichen Eigenheiten zu erklären waren. Ihr rotweisses Fell wurde stumpfer, sie trank ausgiebiger, erbrach öfters und hatte spürbar an Gewicht verloren.

Beim Besuch in der Tierarztpraxis am Rössliplatz in Dagmersellen LU wurde dann deutlich, wie ernst es um Mausi stand: Brachte sie zwei Jahre zuvor noch 5,5 Kilogramm auf die Waage, waren es nun nur noch knapp 3,5. Tierärztin Ruth Sigerist stellte zudem fest, dass Mausis Herz aussergewöhnlich schnell schlug, und vernahm ein Herzgeräusch.

Jede zweite Katze betroffen

Ein Blutbild bestätigte schliesslich Sigerists Verdacht: Mausis Nieren sind krank. Die Diagnose: Chronische Nierenerkrankung (CNE), also ein fortschreitender und irreversibler Verlust der Nierenfunktion. Laut Lehrbuch sei jede zweite Katze über zwölf Jahre davon betroffen, sagt Sigerist. «Die Dunkelziffer ist gross, und so sehen wir in der Praxis nur einen Teil der erkrankten Tiere.»

Die Entgiftung versagt

Nieren haben wichtige Aufgaben im Körper einer Katze, erklärt die Tierärztin: Sie filtern harnpflichtige Substanzen – Gifte und Abfallprodukte des Stoffwechsels – aus dem Blut, um sie über den Urin auszuscheiden. Sie regulieren aber auch den Blutdruck und produzieren Hormone zur Bildung des roten Blutfarbstoffs. Wenn die Nieren diese Aufgaben nicht mehr wahrnehmen können, kommt es zur Anreicherung von Giften im Körper, zu Bluthochdruck, Kreislaufproblemen und schliesslich auch zu Blutarmut. Dadurch werden wiederum andere lebenswichtige Organe geschädigt. «Häufig kann die Ursache für CNE beim einzelnen Tier nicht festgestellt werden», sagt Sigerist. Infrage kommen chronische Nierenentzündungen, Zystennieren, Tumorerkrankungen, Leukoseinfektionen, Bluthochdruck durch eine Schilddrüsenüberfunktion oder Nierensteine.

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Erkrankung in vier Stadien

Solche Veränderungen können bei der regelmässigen Kontrolle beim Tierarzt festgestellt werden, wie Sigerist ausführt. Alternden Katzen – ab 8 Jahren – sollten regelmässig einem sogenannten «Senioren-Blutcheck» unterzogen werden. Dabei wird unter anderem untersucht, ob im Blut die Nierenparameter erhöht sind und sich somit harnpflichtige Substanzen im Blut anreichern. Als weitere Diagnostikpfeiler können Elektrolyte, Urinbefunde, Blutdruckmessungen und bildgebende Verfahren wie Ultraschall herangezogen werden. Gemäss internationalem Standard lassen sich die erhobenen Befunde in vier CNE-Erkrankungsstadien einstufen: vom frühen Stadium 1 bis hin zu Stadium 4, in dem die Nieren massiv geschädigt und die Nierenfunktion ist stark eingeschränkt ist.

Wenn man's merkt, ist es schon zu spät

Eine solche Untersuchung wurde bei Mausi nie gemacht. Der letzte Besuch beim Tierarzt war Jahre her, genauso wie die letzte Impfung. Schliesslich lebte Mausi als Wohnungskatze und schien zufrieden und munter – bis eben die Symptome vor ein paar Wochen auftraten. Zu denken, die Katze sei gesund, weil sie keine Symptome zeigt, ist jedoch gerade bei CNE verheerend, wie Sigerist erklärt: Die Krankheit als Katzenbesitzer früh zu erkennen, sei nämlich schwierig bis unmöglich. «Symptome, die der Besitzer merkt – dazu gehören wie bei Mausi Abmagerung, Antriebslosigkeit, vermehrtes Trinken und Urinieren, Abneigung gegen Futter oder Erbrechen – treten erst auf, wenn bereits 65 bis 75 Prozent des Nierengewebes zerstört sind», sagt Sigerist. «Vorher kompensiert das noch gesunde Nierengewebe den Funktionsverlust der Nieren mit ‹Mehrarbeit›, was längerfristig einer Überlastung gleichkommt.»

Mehr als die Hälfte von Mausis Nierengewebe ist also bereits unwiderruflich zerstört. Trotz des anfänglichen Schocks über diese Diagnose: Von Einschläfern ist im Fall von Mausi nicht die Rede. Die Erkrankung sei zwar nicht heilbar und das zerstörte Nierengewebe nicht wiederherzustellen. «Mit der geeigneten Therapie kann jedoch der Verlauf der Krankheit verlangsamt und Mausis Lebensqualität deutlich verbessert werden», beruhigt Sigerist.

Futter und Medikamente helfen

Die Behandlung umfasst im Wesentlichen drei Säulen: Mausi erhält ab sofort ein spezielles Nierendiätfutter, das wenig, dafür hochwertiges Eiweiss und wenig Phosphor enthält. «So fallen weniger harnpflichtige Stoffwechselprodukte an», erklärt die Tierärztin. Zweitens sollte Mausi stets frisches Wasser für eine optimierte Flüssigkeitszufuhr zur Verfügung haben. Und drittens wird mit Medikamenten Mausis Blutdruck gesenkt und ihre Übelkeit unterdrückt.

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Früherkennung und konsequente Behandlung

Sechs Wochen nach der Diagnose folgt ein erneuter Blutcheck. Mit guten Nachrichten: «Mausi spricht gut auf die Therapiemassnahmen an», sagt Sigerist. «Die Nierenwerte haben sich verbessert und bleiben hoffentlich noch lange stabil.» Leider lasse sich die Frage nach der Lebenserwartung nicht so einfach beantworten. Wichtig sei, dass die Erkrankung möglichst früh erkannt und danach konsequent behandelt wird. «Mit regelmässigen Blutkontrollen kann der Verlauf beobachtet und die Therapie angepasst werden.» Als Tierärztin sei es ihr auch wichtig, dass die Besitzer die Krankheit ihrer Katze gut verstehen und wissen, welche Ziele die einzelnen Therapiemassnahmen verfolgen. Schliesslich geht es darum, dass das Büsi ein Katzenleben lang eine gute Lebensqualität hat. «Ebenso lange wird es dies den Besitzern in seiner eigenen Art danken.» Und wie zum Beweis springt Mausi gurrend auf den Kratzbaum – fast wie die alte.