Blitzschnell schwimmen die kleinen Fischchen durch den Brunnen mitten in Zürich Affoltern. Mit ihrer Länge von kaum zwei Zentimetern und ihrem bräunlichen Schuppenkleid sieht man die jungen Moderlieschen nur, wenn sie sich bewegen. Doch sie sind schlau, verstecken sich unter Laub und im Schlamm. So dauert es eine knappe Stunde, bis Patricia Blum vom Tierrettungsdienst alle acht Tierchen mit dem Netz erwischt und vorsichtig in einem mit Wasser gefüllten Sack verstaut hat. Nun auf zur Fischauffangstation nach Embrach ZH.

«Geduld und Ruhe ist vor Ort sehr wichtig», sagt die Rettungsleiterin. Sie ist froh, die ausgesetzten Fische an einen sicheren Ort bringen zu können, und hofft, dass sie bald ein neues Zuhause finden. Im Brunnen wären sie jämmerlich verhungert. Ein Nachbar hatte sie entdeckt und den Tierrettungsdienst informiert. Blum arbeitet seit 1999 bei der in Winkel ZH ansässigen Stiftung, zu der auch das Tierheim Pfötli gehört – zuerst ehrenamtlich, seit 2003 ist sie angestellt. Ihr Engagement und das der anderen 32 Angestellten und rund 45 freiwilligen Rettungsfahrer wurde pünktlich zum 20-jährigen Bestehen mit dem mit 20 000 Franken dotierten «Tierwelt»-Preis ausgezeichnet. Seit 2006 werden mit diesem Preis jährlich Organisationen unterstützt, die sich für die Tierwelt verdient gemacht haben. 

Das Chiplesegerät verrät, ob das Tier registriert ist und ein Zuhause hat
Auf dem Weg zur Fischauffangstation erreicht Blum ein Anruf aus der Einsatzzentrale. Eine frischgebackene Katzenmama mit zwei Jungen im Schlepptau wurde in einem Block gefunden, drei Wochen lang von der Nachbarschaft gefüttert und soll nun ein Dach über den Kopf bekommen. Mit ihrem roten Einsatzwagen, der an einen Krankenwagen erinnert und mit Käfigen und Erste-Hilfe-Utensilien das Nötigste enthält, macht sich Blum auf den Weg.

Schon von Weitem hört man das Maunzen der zwei Kleinen, die gierig an den Zitzen des Muttertiers saugen. Ein rascher Scan mit dem Lesegerät verrät, dass die Katze keinen Chip hat, mit dem man hätte den Halter ausfindig machen können. Also sackt die Rettungsleiterin das Rudel ein, bringt es ins Tierheim und schreibt es auf der kantonalen Meldestelle für Fundtiere aus. Zwei Monate hat ein möglicher Besitzer nun Zeit sich zu melden, danach stehen die Büsis zur Vermittlung. Und das läuft laut Renata Tinner sehr gut. Selbst Einsatzfahrerin und zuständig für die Medien- und Öffentlichkeitsarbeit der Stiftung sagt sie, dass gesunde Tiere in der Regel binnen weniger Monate vermittelt würden. Neben den üblichen Verdächtigen wie Katze, Hund und Nager bietet das Tierheim auch Sittichen, Nagern und Reptilien ein (vorübergehendes) Zuhause. Gehen den Tierrettern Wildtiere ins Netz, wenden sie sich an den zuständigen Wildhüter oder eine auf die Tierart spezialisierte Auffangstation wie das Igelzentrum oder die Greifvogelstation. 

Bei über 36 000 Einsätzen in den letzten 20 Jahren und knapp 4000 Fahrten allein 2012 gab es auch den einen oder anderen skurrilen Fall. Unvergessen bleiben der ­Fischreiher, der sich als Plastikfigur entpuppte, die drei Meerschweinchen, die in einem Milchkasten gefunden wurden, oder die in einem Kehrichtsack ausgesetzte Strauchratte (Degu). Ungewöhnlich war auch der Fall eines Mäusebussards, der sich eines Abends im Kühlergrill eines Autos verfangen hatte. Die Kantonspolizei hatte den Tierrettungsdienst aufgeboten, nachdem ihr ein Autofahrer das Missgeschick mitgeteilt hatte. Der Vogel lebte noch, doch weder die Polizei noch der Fahrer konnten ihn befreien. Um das Tier in der Dunkelheit nicht zu verlet­zen, wurde kurzerhand der komplette Kühlergrill demontiert. Der befreite Bussard kam daraufhin ins Tierspital. 

Häufig benötigen Jungvögel Hilfe, weil sie aus dem Nest gefallen sind. Enten und Schwäne verletzen sich oft an Angelhaken. Von Hunden verletzte Wildtiere haben die Retter entgegen einer weitverbreiteten Meinung noch nie gefunden. Heimtiere werden teilweise bei Umzügen in der alten Wohnung zurückgelassen, besonders tragisch sind aber Todesfälle. «Einmal haben wir eine Katze gefunden, die mehrere Wochen neben ihrem toten Herrchen wachte, aus der Toilette trank und schliesslich völlig abgemagert eingefangen werden musste», erzählt Patricia Blum. Vor allem bei solch verängstigten Tieren sei es wichtig, die Situation vor Ort richtig einzuschätzen, sagt sie. «Man weiss nie, wie das Tier reagiert, und muss auch an seinen eigenen Schutz denken.» 

Daher führt der Tierrettungsdienst mehrmals jährlich sogenannte Handling- und Erste-Hilfe-Kurse durch, bei denen die Fahrer die richtigen Handgriffe lernen, um das Tier und sich selbst sicher zu transportieren. So dürfen Tiere mit epileptischen Anfällen oder Krämpfen niemals auf den Rücken gelegt werden, weil sie sonst an ihrer eigenen Zunge ersticken könnten. Medizinische Behandlungen führen die Retter vor Ort nicht durch, dafür sind später Tierärzte zuständig, in den meisten Fällen das Tierspital Zürich.

Der Tierrettungsdienst berät auch bei Haltungsfragen – persönlich und online
Sehr am Herzen liegt der Stiftung auch die Aufklärungsarbeit. Wann immer möglich präsentiert sie sich auf Messen, organisiert Vorträge über den Tierschutz sowie Beratungen zur Tierhaltung und bietet vielfältige Informationen rund ums Tier auf ihrer Website. «Ziel ist es, dass weniger Tiere unüberlegt angeschafft und nach kurzer Zeit ‹entsorgt› werden», heisst es im Leitbild der Stiftung, die offiziell «Tierrettungsdienst – Leben hat Vortritt» heisst. Gegründet wurde sie 1993 von Tierschützern, darunter Susy Utzinger, die noch heute als Stiftungsratspräsidentin fungiert. Das eigene Tierheim Pfötli kam fünf Jahre später dazu. Dort befinden sich zurzeit auch die Katzenmutter und ihre zwei Kleinen. Denn bevor sie vermittelt werden können, bleiben sie ein paar Wochen lang in der Quarantäne-Station des Tierheims, werden untersucht und geimpft. Bis ein neues Zuhause für sie gefunden ist, dürfen sie sich danach mit den anderen Büsis im mit Höhlen und Kratzbäumen ausgestatteten Spielzimmer vergnügen. 

24-Stunden-Notfallnummer: 044 211 22 22