Listenhunde im Fokus
Wie gefährlich sind Pitbull und Co.?
Sie sind meist gross, kräftig und energievoll: Listenhunde sind in manchen Kantonen bewilligungspflichtig oder gar ganz verboten. Die Kategorisierung ist aber alles andere als kritikfrei, können doch Pitbull und Dobermann mit der richtigen Führung auch liebevolle Familienmitglieder werden.
Eine Gruppe Menschen! Als Chio an den Mädchen vorbeiläuft, ist dem kleinen Hund mit den kräftigen Schultern und dem breiten Kiefer die Freude ins Gesicht geschrieben. Die Schülerinnen der Oberstufe erwidern die Begeisterung, die meisten kommen freudig auf Zana Hatirli und ihre drei Hunde zu, umringen sie und fangen an, die Vierbeiner zu streicheln. Nur zwei der Jugendlichen weichen anfangs etwas verängstigt zurück.
Solche Situationen erlebt Hatirli auf ihren Spaziergängen häufig. «Staffordshire Bullterrier lieben Menschen», erklärt sie den neugierigen Mädchen. Wenn sie auf Leute treffen, sind die kontaktfreudigen Fellnasen kaum zu halten – einer von vielen Gründen, weshalb Zana Hatirli die Rasse dermassen gefällt. Das Herz der 38-jährigen Züchterin aus Täuffelen im Kanton Bern schlug schon immer für Hunde und seit acht Jahren hat sie sich den kleinen, bullenartigen Staffordshire Bullterriern verschrieben.
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In England gehören die «Staffis», wie die Rasse umgangssprachlich auch genannt wird, zu den beliebtesten Familienhunden. Sie sind dafür bekannt, besonders zu Kindern eine enge Beziehung aufzubauen, weshalb man sie auch als «Nanny Dogs» bezeichnet. Andere Hunde hingegen finden Staffordshire Bullterrier eher uninteressant, an denen gehen sie während dem Spaziergang unbeeindruckt vorbei.
«Sie würden nie von sich aus den Konflikt suchen», betont die Zana Hatirli. Werden sie hingegen von jemandem zum Kampf aufgefordert oder von anderen angegriffen, wüssten sie sich durchaus zu wehren. Und das vehement, im Notfall bis zum bitteren Ende. Schmerzen stecken die robusten Tiere mit links weg. «Der Kampf liegt ihnen im Blut.»
Von Kanton zu Kanton unterschiedlich
Dass einige der Mädchen vor Chio und seinen Gefährten Respekt haben, kommt nicht von ungefähr. Staffordshire Bullterrier sind Kampfhunde. Als eine von mehreren Rassen stammen sie von den sogenannten Bull-and-Terriern ab, einem Hundeschlag, der im19. Jahrhundert in England – in der Gegend rund um die Grafschaft Staffordshire – gezüchtet wurde, um gegen andere Tiere zu kämpfen.
Die Mischung aus Bulldogge und Terrier wurde in Arenen auf Bullen, Bären, Ratten oder andere Hunde gehetzt. Weitere Nachkommen dieser Kampfhunde sind beispielsweise der American Pitbullterrier oder der durch seine Bananennase klar erkennbare Bullterrier. Zwar konzentrierte man sich bei der Zucht der Staffordshire Bullterrier im Laufe der Jahrhunderte immer mehr auf ihre Familientauglichkeit, je nach Situation können die liebenswürdigen Hunde aber auch heute noch gefährlich werden. Deshalb ist diese Rasse auch in mehreren Kantonen aufgelistet. Als Listenhunde sind sie entweder bewilligungspflichtig oder sogar ganz verboten.
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Beschäftigt man sich mit dem Thema Listenhunde, wird es schnell unübersichtlich. Eine übergreifende Handhabung gibt es in der Schweiz nicht. Stattdessen entscheidet jeder Kanton selbst, ob er gewisse Rassen auflisten möchte oder nicht, ob er sie ganz verbietet oder ob es lediglich eine Bewilligung braucht, und was passiert, falls es doch zu einem Zwischenfall kommt. Die kantonalen Hunde- und Tierschutzgesetze variieren stark.
13 Kantone – wie Bern, Luzern oder St. Gallen – verzichten auf eine Liste, 13 haben verschiedene Rassen aufgeführt. Im Kanton Schaffhausen etwa braucht es für die Haltung von Staffordshire Bullterriern eine Bewilligung. Um diese zu erhalten, muss der Antragsteller beweisen können, dass «kynologische Fachkenntnisse» vorhanden sind, dass er sich also mit der Haltung von Hunden auskennt. Im Kanton Tessin, wo mit ganzen 30 Rassen die meisten Hunde aufgelistet sind, braucht es für eine Bewilligung sogar einen Strafregisterauszug sowie einen Sachkundenachweis. Und im Kanton Zürich wiederum ist der Erwerb, die Zucht sowie der Zuzug von «Hunden mit erhöhtem Gefährdungspotenzial» laut Hundegesetz ganz verboten.
Ein Vorfall mit Folgen
2005 kam Bewegung in diese verzwickte Rechtslage. Damals kam es in Oberglatt im Kanton Zürich zu einem schrecklichen Vorfall: Ein sechsjähriger Junge wurde auf dem Weg in den Kindergarten von drei Kampfhunden angefallen und totgebissen. Die landesweite Empörung war riesig – besonders, weil es schon vorher immer wieder zu ähnlichen Situationen kam.
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Kurz darauf reichte die Mitte-Fraktion eine parlamentarische Initiative ein, um Pitbulls im ganzen Land zu verbieten. Das Anliegen wurde jedoch mit Vermerk auf die föderalistische Regelung abgelehnt. 2007 wurde dann versucht, eine Verfassungsänderung zu erwirken, um die Kompetenz der Gesetzgebung von den Kantonen auf den Bund zu übertragen. Nach einem langen Hin und Her wurde diese jedoch im Jahr 2010 vom National- und Ständerat fallen gelassen. Die Hoheit über die Listenhunde blieb bei den Kantonen.
Melden ist PflichtKommt es zu einem Beissvorfall mit einem Hund, so muss dieser – unabhängig von der Rasse oder davon, ob ein Mensch oder ein Tier betroffen ist – seit 2006 gemeldet werden. Es ist Aufgabe des behandelnden Arztes oder der behandelnden Tierärztin, die Verletzung dem kantonalen Veterinäramt mitzuteilen. Was danach passiert, ist je nach Kanton unterschiedlich: Manchmal kommt es zur Anzeige gegen den Hundehalter, manchmal zum Strafverfahren, manchmal wird das Verhalten des Hundes von Experten abgeklärt. Auch eine Leinenpflicht oder sogar ein Maulkorb kann verordnet werden – und im schlimmsten Fall muss das Tier eingeschläfert werden.
Für Züchterin Zana Hatirli bedeutet dies, dass sie sich immer gut informieren muss, woher die Interessenten für ihre Welpen kommen. «Wohnt jemand im Kanton Zürich, darf ich ihm keine Hunde verkaufen.» Kunden aus bewilligungspflichtigen Kantonen wiederum weist sie darauf hin, welche Anforderungen mit dem Kauf verbunden wären, und hilft je nachdem dabei, sich im Wirrwarr der Regelungen zurechtzufinden.
Dass ausgerechnet ihre aufgestellten, fröhlichen und intelligenten Staffordshire Bullterrier auf den Rasselisten stehen, kann sie jedoch nicht nachvollziehen. «Was genau ist ein Listenhund?», lautet ihre Frage. Immerhin handle es sich doch um lauter verschiedene Rassen, die alle ihren ganz eigenen Charakter und ganz eigene Bedürfnisse haben.
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Die Frage nach dem Sinn
Mit ihrer Frage spricht Zana Hatirli auf die scheinbare Willkür an, mit denen gewisse Rassen in einigen Kantonen aufgelistet werden, in anderen jedoch nicht. Ein gutes Beispiel hierfür sind Schäferhunde: Auch sie sind gross, kräftig und entwickeln bei falscher Haltung schnell gefährliche Verhaltensmuster. Auf der Liste stehen sie aber lediglich im Kanton Tessin. «Eigentlich ist ein Listenhund nur ein Hund, der aus Unwissenheit und Dummheit des Menschen auf eine Liste gesetzt wurde», empört sich die Züchterin.
«Ein Listenhund ist nur ein Hund, der aus Unwissenheit auf eine Liste gesetzt wurde.»
Die Frage, ob das Verbot oder die Anforderung einer Bewilligung von gewissen Hunderassen tatsächlich sinnvoll ist, ist nur schwer zu beantworten. Dass gewisse Rassen von ihrer Geschichte und Zucht her ein grösseres Gewaltpotenzial mit sich bringen, lässt sich kaum bestreiten. Hier spielen bereits körperliche Merkmale, wie etwa die Form des Gebisses, die Grösse oder die reine Muskelkraft eine Rolle. Aber nur weil ein Hund fester zubeissen kann, tut er das nicht häufiger.
Ein Anhaltspunkt hierfür könnten die kantonalen Bissstatistiken liefern. Seit 2006 – ebenfalls als Reaktion auf den Vorfall in Oberglatt ZH – müssen Hundebisse der jeweiligen kantonalen Behörde, also der Polizei oder dem Veterinäramt, gemeldet werden. Egal, ob sie einen Menschen oder ein anderes Tier betreffen. Die Kapos wiederum führen die Zahlen in ihrem Jahresbericht auf und veröffentlichen sie so.
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Mehr Hunde, mehr Probleme?
Werfen wir einen Blick in den Kanton Zürich: Seit dem 1. Januar 2010 sind hier sieben Rassen verboten, darunter zahlreiche Nachkommen der englischen Bull-and-Terrier-Hunde sowie etwa der American Pitbullterrier oder eben die Staffordshire Bullterrier. Im selben Jahr kam es zu insgesamt 543 Bissvorfällen, bei denen Menschen betroffen waren. Im Jahr 2021 waren es 680.
Dennoch lässt sich keine deutliche Zu- oder Abnahme der Bissvorfälle ablesen. Die Zahlen schwanken zu stark von Jahr zu Jahr: 2009 waren es beispielsweise bereits 660 Vorfälle, 2016 ganze 703 und 2020 wieder «nur» 630. Auch die Kantonspolizei schreibt auf Anfrage, dass sich die Schwankungen nicht im Detail erklären liessen, bereits deshalb nicht, weil sie weder nach Rasse noch nach Typ ausgewertet werden.
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Fakt ist hingegen, dass die Anzahl Hunde in der Schweiz in den letzten Jahren kontinuierlich angestiegen ist. Aktuell sind rund 550 000 Vierbeiner registriert, 2016 waren es noch rund 490 000. Und obschon man schlussfolgern könnte, dass mehr Hunde auch mehr Probleme bedeuten, zeigt sich dies nicht in der Bissstatistik. Besonders während der Corona-Pandemie schafften sich viele Menschen einen vierbeinigen Freund an, zahlreiche davon wurden aus dem Ausland importiert.
Hier sieht Zana Hatirli eines der grössten Probleme, wenn es um das Thema Kampf- oder Listenhunde geht: In und um die Schweiz herum sind viele «Vermehrer» am Werk, wie sie es formuliert. Dabei handle es sich um Züchter, die unkontrolliert Würfe verkaufen und «jedem herumlaufenden Deppen einen Hund geben». Meist gehe es diesen rein um das Aussehen und die Menge der Tiere – das Wesen und die Gesundheit seien nebensächlich. «Dabei weiss man genau, dass Aggression und Ängstlichkeit genetisch vererbt werden können», so die erfahrene Züchterin. Um so wichtiger sei es, auf eine geprüfte und vertrauenswürdige Zucht zu setzen.
Überlegen Sie es sich gut!
Zurück nach Täuffelen und der Gruppe Mädchen mit dem zufriedenen Chio. Zana Hatirli kommt schnell ins Gespräch mit den Jugendlichen, erklärt ihnen, dass Staffordshire Bullterrier tatsächlich immer so klein bleiben und dass sie kaum bellen. «Dürfen wir ihn behalten?», fragt eine der Anwesenden scherzhaft. Am liebsten würde sie Chio gleich mit nach Hause nehmen. Nicht nur bei den Mädchen der Oberstufe sind Staffis beliebt: Die Nachfrage nach den Würfen von Hatirlis Zucht mit dem klangvollen Namen «Swiss Secrets Kennel» ist gross. Die Jungtiere seien meist schon weit im Voraus reserviert.
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«Wer den Hund frei herumlaufen lassen will, wird seine Wahl schnell bedauern.»
Doch die Züchterin gibt ihre Lieblinge nicht an jeden ab. Ruft jemand bei Hatirli an, wird dieser eingehend befragt. Im besten Fall bringen die Interessenten bereits Kenntnisse mit der Haltung von Kampfhunden mit sich, zumindest müssen sie sich aber richtig informiert haben. «Wer einfach nur einen Familienhund möchte und erwartet, er könne diesen frei auf der Strasse herumlaufen lassen, der wird seine Wahl schnell bedauern.» Staffordshire Bullterrier brauchen konsequente Führung. Fehlverhalten sollte nicht bestraft, aber stets unterbunden werden.
Dieses strenge Regime wird auch beim Spaziergang mit Hatirli und ihren drei Staffis spürbar. Die Hunde folgen ihrem Frauchen aufs Wort und blieben stets in ihrer Nähe. Ausser, wenn Hatirli ihnen erlaubt, frei über die Wiese zu rennen. Dann sind die Energiebündel kaum mehr zu halten und verschwinden springend und hechelnd in der kniehohen Blumenwiese.
So reagieren Sie richtigSteht ein Hund plötzlich knurrend und mit hochgezogenen Lefzen vor Ihnen, gilt es folgende Punkte zu beachten – oder aber zu unterlassen:
- Keine hektischen Bewegungen!
- Dem Tier nicht in die Augen schauen, da der Hund dies als Herausforderung empfinden könnte.
- Nicht wegrennen. Je nachdem könnte der Hund dann erst recht versuchen, Sie aufzuhalten.
- Nicht erstarren, da dies vom Hund als Dominanzgebaren verstanden werden könnte.
- Wenden Sie sich ruhig und langsam seitlich ab, um ihm zu signalisieren, dass sie keine Gefahr darstellen.
- Bringen Sie Distanz zwischen sich und das Tier, etwa indem sie ihm eine Tasche oder einen Stock hinhalten. Das lenkt den Hund zudem ab.
- Begrüssen Sie den Hund mit einem freundlichen, nicht zu lauten «Hallo». Das kann die Situation bereits entschärfen. Aber auf keinen Fall sollten sie ihn anschreien.
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