Was für ein Spektakel: Kaum hat man dem Büsi mit Überraschungseffekt und Schnelligkeit die Pille auf die Zunge gelegt hat, ist das Tier auch schon weg – und man hört es wenig später unter dem Sofa würgen. Obwohl das beschriebene Verhalten für den Menschen mühsam ist, hat die Katze dafür gute Gründe – schliesslich ist ihr System auf den fleischig-herzhaften Umami-Geschmack ausgelegt. Bitter und sauer wird gemieden, süss erst gar nicht erkannt. Damit es flutscht, hilft nur richtig guter Geschmack. Doch leider gibt es schmackhafte, also auf den felinen Gusto abgestimmte Medikamente eher selten.

Eine Berufsgruppe, die Medikamente den Katzen schmackhaft machen muss, sind Veterinärmediziner wie zum Beispiel Sabina Lutz. Sie ist Produktmanagerin bei der Graeub AG. Das Schweizer Unternehmen stellt seit fast einem Jahrhundert Tierarzneimittel her. Dass es für Katzen verhältnismäs­sig wenige schmackhafte Medikamente gibt, hat gemäss Lutz zahlreiche Gründe. «Katzen sind sich trotz unterschiedlicher Rassen in Grösse und Gewicht sehr ähnlich. Für die zahlreichen Hunderassen hingegen sind teils verschiedene Medikamentenstärken und -formen notwendig.» In der Tat sind für Hunde fast doppelt so viele Medikamente registriert wie für Katzen, zudem vertragen Katzen nicht jeden Wirkstoff. Einen wesentlichen Faktor sieht Lutz in der Forschung. Nicht nur sei es schwer, Katzenbesitzer für Studien zu gewinnen. «Forschung über Katzenkrankheiten ist generell schwieriger, da Katzen deutlich weniger kooperativ sind als Hunde.» Letztlich sei der Gang zum Tierarzt für viele Katzenbesitzer mit grossem Stress verbunden. Krankheiten werden oft erst spät erkannt, da Katzen versuchen, Schmerzen möglichst lange zu verbergen. All dies macht Katzen für die Medikamentenentwicklung zu schwierigen Kundinnen.

Das Video zeigt, wie man der Katze eine Pille gibt

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Dennoch gibt es auch für unsere Samtpfoten schmackhafte Medikamente. «Die meisten Produkte sind zum Beispiel mit Leber- oder Hühnchengeschmack aromatisiert, um den Eigengeschmack des Wirkstoffes zu überdecken», sagt Lutz. Die sei allerdings eine gros­se Herausforderung, weil nicht mit jedem Wirkstoff alles möglich sei. 

Lieber mit Futter als gar nicht
Am Anfang eines solchen Entwicklungsprozesses steht gemäss Lutz die Entscheidung, ob das Medikament eine Tablette oder ein flüssiges Produkt werden soll. Letzteres sei für Katzen zwar von Vorteil. Gleichzeitig berge die Herstellung von flüssigen Medikamente Schwierigkeiten. «Der Wirkstoff und sein Gehalt muss über zwei Jahre stabil bleiben, das funktioniert nicht mit jedem Wirkstoff. Zudem muss ein flüssiges Produkt seine Konsistenz behalten und es dürfen keine Bestandteile ausfallen.» Viel Zeit beanspruchen Dosierung und Verabreichung. «Da kämpft man häufig mit ganz banalen Problemen wie mit einem Aufsatz auf die Flasche, der nicht dicht verschliesst, oder mit einer Dosierspritze, die nicht auf den Aufsatz passt.» 

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Ebenfalls oft eine Herausforderung: Genügend Wirkstoff in einer möglichst kleinen Menge wie einem Milliliter unterzubringen. Passt alles, wird das gesamte Produkt endüberprüft. «Hält ein Bestandteil der Prüfung nicht stand, beginnt der ganze Prozess von vorne», so Lutz. Bei Tabletten ist es ähnlich. Hier dreht es sich um Themen wie die möglichst kleine Pillengrösse, gute Teilbarkeit und exakte Dosierung. Bei manchen Tabletten ist dafür sogar jedes einzelne Wirkstoffkörnchen mit einem Geschmackstoff überzogen. «Das erfordert eine ausgeklügelte Technologie, ermöglicht aber dafür die Teilbarkeit der Tablette ohne Geschmackseinbusse.»

Sollte die Katze das Medikament dennoch geschmacklich verschmähen, rät Lutz zum Lieblingsfutter. Zwar sind Beeinträchtigungen in der Wirkung durch das Futter möglich. Manche Wirkstoffe wiederum sollten auf nüchternen Magen gegeben werden. «Aber jede Theorie ist hinfällig, wenn man das Medikament nicht in die Katze bekommt.» Für Lutz gilt daher: «Lieber mit etwas Futter oder Leckerli als gar nicht.» Wichtig ist letztlich, dass man kontrollieren kann, ob und wie viel des Medikamentes die Katze gefressen hat.