Tiere, Trends und Tücken
Problematische Social-Media-Trends für Haustiere
Eine Katze mit einem Hasenohr-Reifen über dem pelzigen Haupt sieht zweifelsohne ulkig aus. Und sichert auf Social-Media-Plattformen Likes und eine gute Reichweite. Doch wann wird aus lustig gefährlich, wann aus bedenklich gesetzeswidrig?
Süsse und lustige Tiervideos sind bei Tiktok, Instagram und Co. unglaublich beliebt. Egal, ob Hunde, Katzen oder Kleintiere: Reels und Fotos von Haustieren werden millionenfach geklickt, gelikt und x-fach geteilt. Und damit nicht genug: Viele Tiere verfügen über «eigene» Social-Media-Kanäle – teils mit mehreren Millionen Followern – und spülen mit ihrem Auftritt vor virtuellem Publikum Frauchen oder Herrchen dank Merchandise-Produkten und Sponsoring erkleckliche Summen in die Kassen.
Wie erklärt sich dieser seit Jahren ungebrochene Hype um niedliche, talentierte oder schrullige Haustiere, die oft kostümiert und eher irritiert vor der Kamera herumtollen? «Tiere lösen bei uns Menschen sehr starke Emotionen aus», bringt es Dr. Nico Müller, Tier-ethiker an der Universität Basel, auf den Punkt. Ob Zuneigung, Belustigung oder Mitleid: Was auf unserem Gefühlsbarometer für starke Ausschläge sorgt, eignet sich perfekt für die sozialen Medien, so der Forscher.
Doch was bedeutet das für die tierischen Protagonisten? Aldo Hitz, Geschäftsführer von Pro Tier, einer Stiftung, die sich für artgerechte Lebens- und Haltungsbedingungen für Tiere einsetzt, will nicht nur schwarzmalen: «Social-Media-Plattformen und -Trends beeinflussen unser Verhältnis zu Tieren zum Guten wie zum Schlechten.» Sein Augenmerk gilt erst einmal den positiven Impacts. «Es gibt inzwischen viele Kanäle, die beispielsweise auf artgerechte Haltung aufmerksam machen», so seine Erkenntnis. Dazu führt er den auf Kaninchenhaltung spezialisierten Kanal Svenjazoerakel.art als Beispiel für informativen Content auf oder den Hashtag mops_aktivismus, bei dem Qualzuchten thematisiert werden.
Trendiges Accessoire
Klar ist: Social-Media-Plattformen helfen Tierschutzorganisationen und -aktivisten, ein grosses Publikum für ihre Anliegen zu sensibilisieren. Tiere adoptieren statt kaufen, sie mit Respekt und Einfühlungsvermögen behandeln, Missstände aufdecken – Aldo Hitz findet zig Pluspunkte solcher Plattformen, auf denen sich mit vergleichsweise kleinem Aufwand reichweitenstarke Kampagnen zum Wohle der Tiere realisieren lassen.
Dann setzt er gleich zum Aber an, das gar nicht laut genug sein kann: «Viele Tiere werden für fragwürdige Unterhaltungszwecke in unnatürliche Situationen gebracht. Dies kann zu Stress, Fehlverhalten und physischen und psychischen Schäden führen.» Für Aldo Hitz steht fest: «Der Humor hört dort auf, wo das Tierleid beginnt.» Oder besser noch früher. «Es ist die Verantwortung der Gesellschaft und insbesondere der Tierhalter, das Wohl von Tieren zu respektieren und für eine artgerechte Haltung zu sorgen. Tiere sind fühlende Lebewesen mit individuellen Bedürfnissen und nicht Statussymbole oder Lifestyle-Accessoires!», ereifert er sich. Und hier lauert die Gefahr: Auch Qualzuchten, illegaler Tierhandel, falsche Trainingsansätze und Verhaltensweisen, die für Tiere mit grossem Leid einhergehen, werden auf den reichweitenstarken Plattformen im Nu verbreitet. Und – das bleibt zwar zu weiten Teilen Spekulation – im schlimmsten Fall nachgeahmt.
Aldo Hitz ist sich bewusst, dass es viele Grauzonen zwischen purer Freude und krasser Tierquälerei gibt und dass Stress bei Tieren manchmal nicht auf den ersten Blick erkennbar ist. Deshalb sieht er Tierschutzorganisationen wie auch Social-Media-Plattformen und Behörden in der Pflicht: «Nur durch eine Kombination aus Aufklärung, gesetzlichen Massnahmen und öffentlichem Bewusstsein gelingt es, dass Tiere nicht zum Spielball gesellschaftlicher Trends, sondern artgerecht und würdevoll behandelt werden.» Doch auch die User und Userinnen selbst stehen in der Verantwortung: «Überlegen Sie genau, welche Konsequenzen bestimmte Handlungen für das Tier haben könnten. Sensibilisieren Sie Ihr Umfeld und fördern Sie ein respektvolles Miteinander von Tier und Mensch», appelliert der Pro-Tier-Geschäftsführer.
«Bengalkatzen sehen nicht nur wilder als Hauskatzen aus, sie sind es auch.»
Dr. med. vet. Andreas Philipson Co-Geschäftsleiter Berner Tierschutz
Ebenso wichtig: Kritische Inhalte sollten niemals weiterverbreitet oder kommentiert werden, weil dies den Algorithmus pusht und die Reichweite erhöht. Stattdessen sind solche Beiträge direkt bei den Plattformen und allenfalls auch bei Tierschutzorganisationen zu melden. Wobei die Aussicht auf Erfolg eher moderat ist: «Oft sind Tierschutzorganisationen die Hände gebunden, da die Ersteller der Videos nicht nachverfolgbar sind und sich in einem anderen Land befinden. Diese strafrechtlich zu verfolgen, ist komplex und langwierig», gibt Hitz zu bedenken.
Vorsicht vor Impulskäufen
Tiervideos, die viral gehen, können auch Begehrlichkeiten wecken. Besonders putzig wirken Jungtiere. Doch auch Vierbeiner, die aufgrund ihrer einnehmenden Ästhetik für Aufsehen sorgen, ziehen viele User in den Bann. Wie etwa die Bengalkatzen mit ihrem exotischen Outfit. Allein in der Schweiz sind 12 000 dieser Tiere registriert, was laut Schweizer Tierschutz einer Verdoppelung innert vier Jahren entspricht.
Doch effekthascherische Storys auf Instagram führen im echten Leben nicht immer zu einem Happy End. Das bekommen auch die Tierheime zu spüren. «In den letzten Jahren haben wir mehrere Bengalkatzen aufgenommen», sagt Dr. Andreas Philipson, Tierarzt und Co-Geschäftsleiter vom Berner Tierschutz. Vielen Menschen sei vor der Anschaffung nicht bewusst, wie stark bei dieser Rasse das Wildtier durchschlägt: «Sie sehen nicht nur wilder als Hauskatzen aus, sie sind es auch. Die Haltung dieser Katzen ist äusserst anspruchsvoll», gibt Andreas Philipson zu bedenken. Das führt in vielen Fällen zu Überforderung und zu einer Trennung vom einstigen Objekt der Begierde.
Der Tierschutz Schweiz wird nicht müde, seinen Aufruf immer wieder zu platzieren: Hände weg vor Impulskäufen! Das oberste Gebot lautet nach wie vor: Vor der Anschaffung sollte man sich intensiv mit den Bedürfnissen des jeweiligen Tiers auseinandersetzen. Sonst wird das Miteinander rasch zur Zerreissprobe.
Wo der Spass aufhörtHände weg vor Klimbim: Das Kleben von Herzen oder Glitzerpailletten auf die Schnauze von Tieren kann fatal enden, wenn diese Kleinteile in die Atemwege gelangen. Ein weiteres No-Go: Werden Katzen künstlich aufgerichtet und mit Accessoires um den Körper zum «Bauchtanz» vorgeführt, geht das fast immer mit grossem Stress und Panik für das Tier einher. Auch Verkleidungen wie Sonnenbrillen und bewegungseinschränkende Tücher im Kopfbereich oder das ungesicherte Sitzen im Vorderbereich eines fahrenden Autos sind keine geeigneten Inhalte für Social Media, sondern eine potenzielle Gefahr für die Tiere. Kostüme führen besonders im Sommer rasch zu Überhitzung.
Nein zu Stunts und Challenges: Hunde auf Skateboards können sich den Rücken brechen. Bei Katzen, die beim Fressen erschreckt werden, sind Traumafolgen möglich. Auch den Hund anbellen oder die Gurken-Challenge, bei der heimlich eine Salatgurke hinter eine Katze gelegt wird, kann panische Reaktionen verursachen.
Bitte loggen Sie sich ein, um die Kommentarfunktion zu nutzen.
Falls Sie noch kein Agrarmedien-Login besitzen:
Jetzt registrieren