Jester ist unser Familienhund, der bei meinen Eltern im bernischen Wileroltigen lebt. Seit seinen Zeiten als Welpe begeistert er uns. Mit seinem Achtel Appenzeller Sennenhund im Blut ist er ein nicht ganz reinrassiger, brauner Flat Coated Retriever – ausgestattet mit einem nicht allzu hohen Intelligenzquotienten, einem leichten Silberblick und einem Herzen aus Gold. Was haben wir nicht alles schon mit und dank ihm erlebt.

Doch seit einigen Monaten zeigt sich, dass der mittlerweile elfjährige Jester in die Jahre gekommen ist – nicht nur körperlich, sondern auch geistig. Insbesondere, seit meine Eltern ihr Haus umbauen und sich seine gewohnte Umgebung komplett verändert, wirke er zunehmend gestresst, erzählen sie. «Das äussert sich insbesondere dadurch, dass sich Jester zunehmend auf mich fokussiert», erklärt meine Mutter Sabine. «Es gibt Situationen, in denen er mich auf Schritt und Tritt verfolgt. Verliert er mich aus den Augen, beginnt er mich planlos zu suchen. Und wenn er mich nicht findet, beginnt er zu winseln.»

Anders sei es, wenn er Sabine mit Velo oder Auto wegfahren sehe, ergänzt mein Vater Lukas. «Auch dann ist er zwar nicht ganz ruhig, aber es ist besser, als wenn er nicht sieht, dass sie weggeht. Wir haben den Eindruck, dass er in eine Art Welpenstadium zurückgekehrt ist», erzählt er. Seine Frau Sabine sei damals Jesters Bezugsperson gewesen, dementsprechend «sehr viel wichtiger für ihn als ich», meint er zwinkernd. Da meine Eltern zunehmend den Eindruck gewannen, Jester habe ein psychisches Problem, und ihm gegen die Angst- und Stresszustände helfen wollten, fuhr Sabine mit ihm zum Tierarzt. Die Diagnose: Demenz. Eine Krankheit, die ich bis anhin nur mit älteren Menschen verband.

Häufig unterdiagnostiziert

Doch Jester ist bei Weitem kein Einzelfall. «Studien haben belegt, dass 14 bis 23 Prozent der Hunde ab einem Alter von acht Jahren betroffen sein können», erklärt Tierneurologin Gaby Wyss. Allerdings spreche man in der Veterinärmedizin nicht von Demenz oder Alzheimer wie in der Humanmedizin, sondern vom Kognitiven Dysfunktionssyndrom (KDS). «Das KDS, umgangssprachlich auch Altersdemenz genannt, ist eine ernstzunehmende Erkrankung und keinesfalls mit einer normalen Altersschwäche zu verwechseln», betont Wyss. Klinisch zeichne sich die Krankheit durch eine progressive Verschlechterung der kognitiven Fähigkeiten im Verlauf des neurodegenerativen Prozesses aus. Einige der möglichen Folgen: Der Hund wirkt desorientiert, hat Angstzustände und ändert seine üblichen Verhaltensweisen.

«Mindestens ein Symptom des KDS findet man bei 23 Prozent der Hunde zwischen elf und zwölf Jahren und bei 68 Prozent der Hunde zwischen 15 und 16 Jahren», so die Spezialistin für Neurologie im Veterinärwesen. Eine Heilung gibt es nicht. Die Erkrankung ist fortschreitend, neurodegenerativ und – nach Wyss’ Überzeugung – unterdiagnostiziert. Eine frühe Diagnose sei jedoch ungemein wichtig, da «sie uns die Möglichkeit bietet, durch gezieltes Training, Nahrungsmittelergänzung und Medikamente das Fortschreiten der Erkrankung wenn auch nicht aufzuhalten, zumindest deutlich zu verlangsamen und die Lebensqualität zu verbessern», erklärt die Tierärztin. Der Verlauf der Krankheit werde von verschiedenen Faktoren beeinflusst. «Dementsprechend gibt es auch verschiedene Therapieansätze, die im Fokus stehen. Das Hauptziel der Behandlung ist die Milderung der klinischen Symptome, die Verbesserung der kognitiven Fähigkeiten und die Verlangsamung der neurodegenerativen Prozesse.»

Auch Jester hat nach seiner Diagnose Medikamente erhalten. «Einerseits wurden uns CBD-Hanftropfen empfohlen, die gegen seine Angstzustände helfen sollten», erzählt Lukas. «Zudem bekommt er Karsivan – ein Mittel gegen Demenz, das die Durchblutung des Hirns verbessern sollte.» Gegen seine körperlichen Gebrechen habe er ein Schmerzmittel erhalten.

«Es muss für Jester und uns tragbar sein»

Zeigen diese Massnahmen gegen Jesters Kognitives Dysfunktionssyndrom eine Wirkung? Es sei schwierig zu sagen, meinen meine Eltern. Jeder Tag sei anders; schaden würden die Medis aber sicher nicht, daher werden sie dem Hund auch weiterhin verabreicht. Aber: «Für uns ist ganz klar, dass es sich um eine palliative Situation handelt», betont meine Mutter. «Wir möchten Jester helfen, seine Lebensqualität so lang wie möglich zu erhalten. Aber weitere Abklärungen werden wir nicht vornehmen. Er ist ein elfjähriger Hund.»

Sie und Lukas seien bereit, ihr Leben ein Stück weit nach Jester zu richten. Doch es gebe klare Grenzen. «Wir haben zum Beispiel gelesen, dass demente Hunde inkontinent werden können», ergänzt Lukas. «Das wäre sowohl für uns als auch für Jester nicht mehr tragbar, denn er würde es ja nicht absichtlich machen. Das wäre ein Szenario, aus dem wir ihn erlösen würden.» Doch noch sei es nicht so weit, denn «noch zeigt er Lebensfreude».