Jahrzehntelang schon geben sie Rätsel auf, die teilweise riesigen Scharrbilder in der peruanischen Wüste zwischen Nazca und Palpa. Seit Jahrtausenden sind sie da – erschaffen wurden sie wohl zwischen 500 v. Chr. und 500 n. Chr. Die Nazca-Linien, so heissen die gewaltigen Darstellungen von Tieren, Pflanzen oder geometrischen Figuren, sind meist nur 10 bis 15 Zentimeter tief und 30 bis 40 Zentimeter breit. Erhalten blieben sie, weil es in dieser Wüste nur sehr wenig regnet und windet. Und weil das unter dem Gestein an der Oberfläche liegende Kalkgestein in der morgendlichen Feuchtigkeit eine harte Schicht formt, die vor Erosion schützt.

In den 1920er-Jahren wurden mit dem Aufkommen der Aviatik die nur aus der Luft wirklich gut sichtbaren Linien entdeckt. Doch auch heute gibt es auf der seit 1994 zum Unesco-Weltkulturerbe gehörenden Fundstätte immer wieder neue Entdeckungen von weniger gut erhaltenen Figuren. Dies nicht zuletzt dank neuer Technologie. 2019 entdeckte eine Forschergruppe aus Japan mit Hilfe von Drohnen und künstlicher Intelligenz gleich 143 neue Scharrbilder, auch Geolyphen genannt.

Beim Restaurieren entdeckt
Wie das Ministerium für Kultur in Peru letzte Woche verkündete, haben Archäologen bei Restaurierungsarbeiten ein neues Bild entdeckt, das sie in der Woche davor nun vorsichtig freigelegt haben. Es handelt sich um ein riesiges Büsi in einer typischen Liegeposition. 37 Meter lang ist das Scharrbild. Dass es so lange unentdeckt blieb, liegt daran, dass es sich an der steilen Flanke eines Hügels befindet, die der Erosion preisgegeben ist. Es datiert aus den ersten zwei Jahrhunderten vor Christus und gehört damit zu den ältesten Nazca-Linien, wie das Ministerium schreibt.

Damit fällt es in die Zeit der heute verschwundenen indigenen Paracas-Kultur, die damals in der Region heimisch war. Um 200 v. Chr. gingen die Paracas unter. Auf sie folgten die Nazca, welche die Linienzeichnungen weiterführten. Was genau der Sinn und Zweck der Linien war – manche sind über einen Kilometer lang, ihre Gesamtlänge misst über 1300 Kilometer –, ist auch heute noch nicht geklärt.

Eine der ersten und bekanntesten Erforscherinnen der Nazca-Linien war die Deutsche Maria Reiche. Sie glaubte, dass die Linien astronomischen oder kalendarischen Zwecken dienten. Weitere Theorien besagten, dass die Nazca und die Paracas die Bilder erschufen, damit sie von den Göttern im Himmel gesehen werden oder dass sie als Weghilfen dienten.

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Viele Theorien, keine Erklärung
Heute vermuten Archäologen, dass die Bildnisse für Fruchtbarkeits- und Regenritualen erstellt wurden und die geraden Linien zu Orten wiesen, an denen solche Rituale stattfanden. Tier-Symbolismus sei in den alten Kulturen der Anden sehr verbreitet gewesen, heisst es etwa in einem Bericht des «National Geographic». So waren Spinnen ein Zeichen für Regen, Kolibris assoziierte man mit Fruchtbarkeit und Affen mit Wasser.

Eine Studie vom letzten Jahr, ebenfalls aus Japan, identifizierte zudem viele der abgebildeten Vögel neu und stellte fest, dass sich darunter Pelikane aus Küstenregionen tummeln und Schattenkolibris aus peruanischen Regenwäldern – alles Arten also, die weiter weg lebten und für die Nazca quasi «exotisch» waren.

Wie der Hauptautor der Studie, Masaki Eda, damals gegenüber dem Magazin «Newsweek» sagte, sei dies eine wichtige Entdeckung. «Wenn nicht-lokale Vögel für die Nazca keine Bedeutung gehabt hätten, hätten sie sie nicht als Geolyph gezeichnet. Die Existenz dieser Bilder sollte also einen Hinweis auf den Zweck der Geolyphen an sich geben.»

Mit neuen Methoden und fortschreitender Technologie scheint man sich diesem Zweck nach und nach anzunähren. Ob er allerdings ganz geklärt oder für immer ein Mysterium bleiben wird, steht in den Sternen. Vielleicht kennen ihn ja doch nur die Götter, die von dort herabschauen.