Im Grunde ist die Hauskatze noch heute ein halbes Wildtier: Sie hat ihren eigenen Kopf, lässt sich von «ihrem» Menschen gar nichts bieten, geht mit Freuden auf die Jagd nach Mäusen, Spinnen und Blindschleichen und kann sich – zum Leidwesen von Naturschützern – im Wald auch alleine durchschlagen, wenn es sein muss.

Das ist überraschend, denn die Katze wurde schon im dritten Jahrtausend vor Christus im Gebiet der heutigen Südtürkei, Syriens, des Irak und im Nildelta domestiziert. Allerdings war die Beziehung zwischen Mensch und Katze wohl über Jahrtausende nicht sehr eng: Besonders im Mittelalter wurden Katzen zuhauf als Nutztiere eingesetzt, um Haus und Hof von Mäusen, Ratten und anderem Ungeziefer freizuhalten. 

Die Katze musste sich ihr Fressen noch lange selber besorgen. Natürlich bekamen die Tiere wohl schon im Mittelalter ab und zu ein Stück Fleisch vom Mittagstisch ab. Doch die Idee eines kommerziellen Katzenfutters kam erst im 19. Jahrhundert auf. Wie und wo sie entstand, ist heute nicht mehr mit Sicherheit nachzuvollziehen. Doch wahrscheinlich war der erste Katzenfutter-Hersteller die Firma Spratt’s in London. Spratt’s war auch der Erfinder von Hundebiskuits und vertrieb diese ab 1860. 

Der schottische Arzt und Autor Gordon Stables schrieb 1876 im Buch «The Domestic Cat» (Die Hauskatze): «Ich habe das patentierte Katzenfutter von Spratt’s bei vielen Katzen – meinen eigenen und solchen von Freunden – ausprobiert, und sie haben es fast immer akzeptiert; aus Katzensicht wäre es, glaube ich, praktisch und sauber.» Überhaupt vertrat Stables die Ansicht, dass Katzen von ihren Haltern gefüttert werden müssten und nicht ihre ganze Nahrung selbst erjagen sollten. «Versäume es nie, ihr zwei regelmässige Mahlzeiten (am Tag) zu geben», schrieb er. 

Wegen des Wohnungs-Booms konnten die Katzen nicht mehr auf die Jagd gehen
In den meisten Fällen handelte es sich beim damals verkauften Katzenfutter um Fleischstückchen. Ende des 19. und 20. Jahrhunderts zogen zum Beispiel sogenannte «Katzenfleisch-Männer» mit Schubkarren durch London und verkauften Fleisch, meist Pferdefleisch, für Katzen und Hunde. Erst nach dem Zweiten Weltkrieg allerdings blühte das Geschäft mit dem Katzenfutter so richtig auf.

Die laut Eigenwerbung weltweit grösste Katzenfuttermarke zum Beispiel, Whiskas, wurde vor genau 50 Jahren, 1963, im Schweizer Markt eingeführt. Die Einführung traf den Geist der damaligen Zeit perfekt: Zum einen wohnten die Menschen immer häufiger nicht mehr auf Bauernhöfen oder in Häusern, sondern in Wohnungen. Nicht mehr jede Katze hatte also die Möglichkeit, im Freien auf Mäusejagd zu gehen. Zum anderen kamen neue Ernährungsgewohnheiten auf: Zum Erfolg von Whiskas beigetragen «hat sicherlich der allgemeine Konsumtrend, nicht mehr alles frisch zuzubereiten, sondern auf Konserven zurückzugreifen», schreibt der Grosskonzern Mars, dem Whiskas gehört, in einer Mitteilung zum Schweizer Jubiläum. 

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Whiskas-Werbespot von 1998. Quelle: YouTube/AlteTVWerbung

Auch weil die Beziehung zum Haustier immer enger wurde, fand ein Umdenken statt: Man wollte seinem Vierbeiner nicht länger nur Reste oder dann und wann etwas Frischfleisch zumuten. Heute erfüllt Katzenfutter viel mehr, als bloss den Hunger von Stubentigern zu stillen. Es gibt nicht nur zig Marken, sondern von jeder Marke auch diverse Geschmacksrichtungen oder Futter für ganz bestimmte Zwecke: für ein gesundes Fell, für starke Zähne oder für die Immunabwehr. Und viele Katzenhalter möchten nicht nur sich selbst ab und zu ein besonders feines Menu gönnen, sondern auch ihrer Katze. 

Viele der Gräuelgeschichten über Katzenfutter sind längstens widerlegt
Es sei aber kein Zufall, dass es so viele verschiedene Katzenfutterarten und -geschmacksrichtungen gebe, sagt der bekannte Verhaltensforscher und Katzenpsychologe Dennis C. Turner. «Man hat immer gedacht, dass die Vielfalt nicht der Katze dient, sondern die Halter ansprechen soll. Doch das ist nicht so: Immer mehr Studien zeigen, dass Katzen selber Abwechslung beim Futter sehr schätzen.»

Auch andere Vorurteile über industrielles Katzenfutter seien längst widerlegt, sagt Turner. «Man weiss heute zum Beispiel, dass in diesen Produkten nicht, wie ab und zu behauptet, süchtig machende Substanzen stecken.» Und das Fleisch im Katzenfutter sei auch nicht Ware zweiter Qualität. «Es wäre prinzipiell auch für den menschlichen Konsum zugelassen», sagt Turner. Insgesamt könnten die als Vollnahrung deklarierten Katzenfutter der verschiedenen Hersteller guten Gewissens empfohlen werden. Das zeigten diverse Untersuchungen, auch solche von unabhängigen Instituten.

Gemäss einigen Untersuchungen hat das industrielle Katzenfutter sogar zu einer Erhöhung der Lebenserwartung der Tiere in den letzten Jahrzehnten beigetragen, weil dem Fertigfutter auch einige essenzielle Aminosäuren beigemischt werden, die in Speiseresten nur unzureichend vorhanden sind. Das könne ein Grund sein für das längere Leben der Katzen, sagt auch Turner. Allerdings komme es oft auch vor, dass Halter ihren Katzen zu viel Futter vorsetzten und damit zu deren Übergewicht beitrügen. Wichtiger für die erhöhte Lebenserwartung sei wohl, dass mit der engeren Beziehung zum Haustier auch die medizinische Kontrolle verstärkt worden sei: Katzen profitieren stark davon, dass sie geimpft und entwurmt werden.

Auch bei der Ernährung selbst spielt die Medizin eine immer grössere Rolle. Gerade Mars investiere mit seinem Forschungszentrum für Haustierernährung in Waltham (Grossbritannien) viel in diese Richtung, sagt Turner. Als externer Berater habe er für einige Jahre Einblick in diesen Grossbetrieb mit rund 200 Forschern und Tierpflegern gehabt. «Natürlich leben die Katzen und Hunde dort wie in einem Fünfstern-Hotel mit viel Kontakt zu den Menschen», sagt der Tierpsychologe. In Mode seien momentan vor allem genetische Aspekte: Die Wissenschaftler wollen zum Beispiel wissen, welche Gene einen Einfluss auf Übergewicht oder die Zuckerkrankheit Diabetes bei Tieren haben. Gefährdeten Katzen könnte dann eine geeignete Diät vorgesetzt werden.

Die Zukunft der Katzennahrung liegt in massgeschneiderten Produkten
Für die Forscher interessant sind auch die genetischen Grundlagen der Geschmacksrezeptoren bei der Katze, wie Turner sagt. Welche Gene entscheiden etwa, ob die Katze ein Futter liebt oder nicht? Kann das Erbgut vielleicht sogar erklären, weshalb der eine Stubentiger Futter A, der andere aber Futter B bevorzugt? Mit der Beantwortung solcher Fragen möchten die Nahrungskonzerne selbstredend neue, noch besser auf den Geschmack der Katze abgestimmte Produkte entwickeln. «Natürlich wollen die Firmen damit Geld verdienen», sagt Turner. «Aber letzten Endes kommt diese Forschung auch unseren Hauskatzen zugute.» 

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Kitekat-Werbung von 1991. Quelle: YouTube/vongesternblog


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Etwas für die Tränendrüse: Fancy Feast. Quelle: YouTube/Kai Louven