Sie liegt quer über dem Gästebuch, die erste Katze. Ohne mit den Ohren zu zucken, lässt sich das riesige rote Fellknäuel von jedem Besucher, der durch die Eingangstüre tritt, gnädig kraulen. Die langhaarige Mieze schaut träge und leicht desinteressiert auf die lange Warteschlange. Sie ist einer der Gründe, warum an diesem Samstag die Menschen die steile Treppe runter und bis auf die Strasse anstehen. Sie alle sind gekommen, um Katzen zu streicheln. Denn hier, in einem alten chinesischen Reihenhäuschen in Singapurs Einkaufsviertel Bugis, befindet sich das nach eigenen Angaben welterste Katzenmuseum – echte Katzen inklusive. 

«Lion City Kitty», benannt nach Singapurs Kosenamen Lion City (Löwenstadt), sei Katzenmuseum und Katzenvilla zugleich, erklärt Besitzerin Jessica Seet. Die vier schmalen Stockwerke sind vollgestopft mit Kratzbäumen und Katzenhäuschen, Wasserschalen und Futternäpfen. Wo man hinsieht, liegen Katzen, zwischen als Star-Wars-Figuren verkleideten Katzenpuppen, Garfieldpostern und sonstigem Schnickschnack.

«Viele Singapurer, die zu uns kommen, hatten vorher noch nie Kontakt zu einer Katze», sagt Seet. Denn in den staatlichen Wohnungen, in denen mehr als 80 Prozent der 5,5 Millionen Einwohner Singapurs leben, sind Katzen nicht erlaubt. Sie seien schwer in der Wohnung zu halten und würden im öffentlichen Raum nur haaren, laut miauen und urinieren. Es ist nicht das einzige strenge Gesetz im durchregulierten Stadtstaat in Südostasien, in dem auch Kaugummi verboten ist. Hunde in den Wohnungen zu halten, ist hingegen erlaubt. 

Gemeinschaftskatzen statt Streuner
Seit seiner Eröffnung im Januar 2015 ist das Museum ein Erfolg. Nicht zuletzt Singapurs restriktive Katzenpolitik führt dazu, dass solche Einrichtungen sehr populär sind. In dem Land, das halb so gross ist wie der Kanton Aargau, gibt es neben dem Katzenmuseum auch vier Katzencafés, in denen Besucher für ein Eintrittsgeld in Gesellschaft von Katzen Kaffee trinken oder Yoga praktizieren können.

Trotz – oder vielleicht auch wegen – des Katzenverbots in den staatlichen Wohnungen gibt es in Singapurs Agglomerationen viele Strassenkatzen. Gemeinnützige Organisationen wie die Cat Welfare Society (CWS) und die Society for Prevention of Cruelty to Animals (SPCA) helfen durch gesponserte Sterilisationsprogramme mit, die Population unter Kontrolle zu halten. Die sterilisierten Weibchen erkennt man daran, dass ihnen ein kleines Stück des linken Ohrs abgetrennt wurde. Seit den 1990er-Jahren haben die Tierschützer die Zahl streunender Katzen im Stadtstaat so von 150 000 auf 60 000 reduziert. Gleichzeitig sank die Anzahl Katzen, die systematisch umgebracht werden müssen, zwischen 1999 und 2015 von 13 000 im Jahr auf 1000. Viele leben auf Baustellen oder rund um gros­se Wohnsiedlungen. Haben sie Glück, finden sie jemanden, der sie regelmässig füttert. Die Tierschutzorganisationen nennen sie Gemeinschaftskatzen. Es ist ein Versuch, ihr Ansehen in der Gesellschaft zu verbessern. 

Ein paar der Vierbeiner landen bei Jessica Seet im Katzenmuseum. Seet nimmt die Streuner auf, bringt sie zum Tierarzt, sozialisiert sie und gibt sie zur Adoption frei. Denn das Museum ist auch ein Katzenheim. Finanziert wird das gemeinnützige Projekt durch Spenden und Eintrittsgelder. Umgerechnet 8.50 Franken kostet der Spass. Auf jedem Stockwerk lebt eine andere Gruppe von Katzen: Es gibt die neun ständigen Bewohner, benannt nach Prominenten wie Shakira, Usher und Harry; die erwachsenen Katzen, die bereit sind zur Adoption; die drei bis sechs Monate alten Katzenkinder und die ganz Kleinen. 

Die freiwilligen Helfer erinnern die Gäste daran, vor dem Betreten jedes Raums die Hände zu desinfizieren. Zudem soll man leise sprechen und die Katzen nicht mit hastigen Bewegungen erschrecken. Um die Katzen nicht zu überfordern, ist das Haus nur an vier Tagen pro Woche geöffnet, und auch dann nur für wenige Stunden. Dennoch ist es an diesem Tag einigen Katzen sichtlich zu viel. Sie haben sich in die Höhe verzogen, auf die an die Wände genagelten Laufwege. Weg von der stürmenden Besucherschar.

Wie im Streichelzoo
An den Wänden hängen auch Poster zur Geschichte der Katzen in Singapur. Zwar sei es nicht erwiesen, doch die verschiedenen Rassen seien wohl im Laufe der Zeit mit den Einwanderern und Besetzern Singapurs eingereist: Darunter die malaiische Katze mit ihrem Stummelschwanz oder die chinesische Rasse Li Hua, die besonders talentiert im Jagen sein soll. Zudem haben vermutlich auch die britischen Kolonialisten zu Beginn des 19. Jahrhunderts sowie die japanischen Besetzer während des Zweiten Weltkriegs Katzen mit auf die Insel gebracht – ein paar davon als Schiffskatzen, welche früher an Bord gehalten wurden, um Mäuse und Ratten in Schach zu halten. 

Heute hat das Katzenmuseum viele Besucher. Aber nur wenige sind da, um eine Katze zu adoptieren. Für die meisten ist es wie ein Ausflug in den Streichelzoo. Dara, eine junge Singapurerin malaiischer Abstammung, sitzt barfuss im «Kindergarten», dem Bereich, in dem die drei bis sechs Monate alten Katzen leben. Stehen ist nicht erlaubt, um die Kleinen nicht einzuschüchtern. Ihr seien Katzen bisher fremd gewesen, erklärt sie verzückt, während eines der Jungen ihr auf den Schoss klettert. «Natürlich sind die Kleinen sehr beliebt», sagt Seet, die gerade ein übermütiges Kind ermahnt hat, es solle sich wieder setzen. «Wir wollen aber auch dazu anregen, erwachsene Katzen zu adoptieren. Da weiss man schon, welchen Charakter man bekommt.» 

Nach einer Weile bewegen sich die Gäste zum Ausgang. Die Besuchszeit ist fast um. Die rote Empfangskatze hat sich mittlerweile verdrückt. Wahrscheinlich hält sie irgendwo ihren Schönheitsschlaf.