Vor ein paar Wochen sah es aus, als würde Mikesch sterben. Der 17-jährige Kater mit einem aufgebrochenen bösartigen Tumor am Bein zog sich zurück in den Garten und liess Futter und Wasser unberührt. Wenn sich Besitzerin Kathrin Bürgi neben ihn setzte und ihn streichelte, begann er leise zu schnurren. Nach ein paar Tagen schien er sich zu erholen, kam zurück ins Haus und begann sogar wieder regelmässig zu fressen. Für die Besitzerin war aber klar, dass ihre Katze nicht mehr lange leben würde und dass sie das Tier – falls möglich – in seinen natürlichen Tod begleiten wollte. Falls möglich bedeutet für Bürgi, dass sie sich auf ihr Gefühl und ihre Tierärztin verlässt und das Leben der Katze beendet, wenn sie zu sehr leidet. 

«Es gibt Grenzen», sagt auch Cayra Arcangioli von der Praxis Vet-Homöopathie im luzernischen Aesch. «Mit dem Tier bis zum Ende zu gehen, ist kein einfacher Weg.» Die Tierärztin und Tierhomöopathin bietet neben der Homöopathie auch Sterbebegleitung an. Hauptsächlich die Besitzer von Hunden und Katzen seien froh über das Angebot, erzählt sie: «Ich begleite viele ältere Tiere und sogenannt austherapierte Tiere.» Wobei eine Begleitung nicht zwingend bis zum Schluss führe: «Die Entscheidung zum Einschläfern überlasse ich immer den Besitzern.» 

Kein Tier soll leiden müssen
Grenzen werden beispielsweise erreicht, wenn die Besitzer psychisch und physisch erschöpft sind. Oft würden die Tiere beispielsweise inkontinent, erzählt Arcangioli. Ein Sterbeprozess könne sich über Wochen hinziehen. Wochen, in denen das Tier gepflegt und nicht mehr alleine gelassen werden sollte. Das Tier höre auf zu fressen und trinken und könne am Ende in eine Art Koma fallen: «Das ist alles nicht einfach zu ertragen.»

Wichtig sei nicht zuletzt, dass das Umfeld den Entscheid des Besitzers mittrage, sein Tier in den Tod zu begleiten, sagt Arcangioli weiter. Das Potenzial für Spannungen sei sonst gross. Wenn etwa eine Wunde stinkt, wie das bei Kater Mikesch der Fall ist. Oder auch einfach, weil die Tiere Tag und Nacht intensiv betreut werden müssen. In solchen Momenten würden nicht nur von Bekannten «gut gemeinte Ratschläge» an die Tierbesitzer herangetragen. Auch von Fachleuten würden die Besitzer oft zur Euthanasie gedrängt: «Das Wort Tierquälerei fällt auch ab und zu.»

«Mein Ziel ist es, dass kein Tier leiden muss», erklärt Arcangioli. Als Tierärztin könne sie abschätzen, wo die Grenzen zur Tierquälerei lägen. Leidet das Tier an Schmerzen oder Unwohlsein greift sie auf ihr Fachwissen als diplomierte Homöopathin zurück: «Die Homöopathie wirkt sehr tiefgreifend. Leider wissen das viele Leute nicht. » Trotzdem stelle sie fest, dass es immer mehr Menschen gebe, die «Eigenverantwortung für sich und auch für ihr Tier übernehmen wollen». Oft sei die Angst vor dem unbekannten Weg gross. «Wie genau stirbt ein Lebewesen, wie läuft das ab?» In dieser Ungewissheit könne sie mit ihrer Erfahrung zur Seite stehen. 

«Ich spürte, dass er leben wollte», begründet Bürgi ihren Entscheid, Mikesch trotz hohen Alters und unheilbaren Tumors nicht «einschläfern» zu lassen: «Er frass, spazierte im Garten herum, er war einfach noch nicht bereit zu sterben.» Eine Amputation des betroffenen Beines kam bei dem betagten Kater nicht infrage. Gestützt von ihrer Tierärztin kam Bürgi zum Schluss, dass sie Mikeschs Wunde zuverlässig pflegen wollte, bis er aufgrund seines Alters oder durch eine vom Bein ausgehende Infektion stirbt. 

Der Entscheid, Sterbebegleitung anzubieten, reifte bei Tierärztin Arcangioli während ihrer Arbeit in der Kleintierpraxis. «Es gab Tage, an denen ich mehrere Tiere nacheinander euthanisieren musste.» Im Praxisalltag fehle schlicht die Zeit, um die Besitzer auf den Tod ihres Tieres genügend vorzubereiten und zu begleiten: «Oft verliessen die Tierbesitzer danach die Praxis in einer Art Schockstarre und die Trauer war immens.» Unter diesem Eindruck habe sie schliesslich damit begonnen, die Leute nach dem Feierabend zu Hause zu besuchen und die Tiere beim Sterben zu begleiten oder gegebenenfalls einzuschläfern.

Manche Tiere sind noch nicht bereit
Mit ihrer Arbeit helfe sie dem Tier, aber auch sehr stark dem liebenden Menschen, sagt Arcangioli. Das Tier selber übernehme häufig die Ängste und Befürchtungen der Besitzer: «Es kann, beziehungsweise darf nicht gehen, weil der Besitzer traurig ist. In diesen Situationen helfe ich den Menschen beim Loslassen.» Für die Menschen sei hilfreich, sich frühzeitig mit dem Tod auseinanderzusetzen. Menschen, die ihr Tier sehr lange begleitet hätten und vielleicht bis zum Ende gegangen seien, hätten oft einen grossen Anteil der Trauerarbeit schon hinter sich, wenn das Tier dann tatsächlich sterbe, sagt Arcangioli: «Sie beschreiben diesen Weg danach sogar als schön und erlösend.» 

Für die Tierärztin ist klar, dass sich das Lebewesen am Lebensende von seinem irdischen Dasein loslösen muss und dass das nicht immer einfach ist. «Ich bin aber der Meinung, auch ein Tier hat das Recht, diesen Weg gehen zu dürfen.» In der Praxis habe sie erlebt, dass Tiere nicht selten zu früh «erlöst» würden: «Die Tiere sind noch gar nicht bereit dazu; wehren sich beim Einschläfern oder die Dosis des Euthanesiemittels muss erhöht werden.»

«Es sind besondere Beziehungen, die man mit den Menschen und Tieren entwickelt. Sie geben mir viel», sagt Arcangioli über diesen Teil ihrer Arbeit. Oft bliebe sie mit den Besitzern auch über den Tod des Tieres hinaus in freundschaftlichem Kontakt. 

Kater Mikesch ist während der Arbeit an diesem Artikel eines natürlichen Todes gestorben. Er kollabierte auf dem Arm von ­Kathrin Bürgi und lebte dann noch eine Stunde lang. Unterstützt von ihrer Tierärztin blieb Bürgi bis zum Schluss an Mikeschs Seite. Nach der intensiven Betreuungszeit der letzten Wochen sei die Leere nun gross, erzählt sie: «Es war schwierig, aber ich bin froh, dass ich es gemacht habe.»