Kater Toni liegt auf dem Sofa von Klaus Händl. Gesund, wohlbemerkt – was nicht selbstverständlich ist für all diejenigen, die Händls Film «Kater» gesehen haben. Denn dort wird Toni in seiner Rolle als Kater Moses in der Schlüsselszene Opfer von Gewalt. Der Katze etwas anzutun, wenn auch nur fiktiv, mithilfe von Computeranimation, war dem 47-Jährigen schwergefallen. «Es war der Horror», erzählt er, «ich war den ganzen Drehtag hysterisch, als es darum ging, diesen Unfall zu filmen, obwohl Toni dabei in Wahrheit nur gestreichelt wurde.» Händl liebt Katzen, in seinem Haus in Nidau bei Biel spielen sie eine fast so wichtige Rolle wie im Film. Wenn der Autor im oberen Stock bis tief in die Nacht hinein arbeitet, derzeit meist am Libretto für eine Oper des Schweizer Komponisten Heinz Holliger, sitzt oft Toni auf seinem Schoss und dessen Bruder Tino auf einem Stuhl daneben, oder umgekehrt. 

Mit Katzen drehen braucht Geduld
Um diese privilegierten Positionen zu erreichen, mussten die Katzen ein internationales Casting durchlaufen. Händl hatte ja nicht einfach zwei Hauskatzen gesucht, sondern solche, die sich sowohl äusserlich als auch vom Wesen her für den Filmdreh eigneten. «Ich habe Katzen in Wien, Niederösterreich, Linz, Salzburg, Innsbruck, München, Zürich, Basel und Luzern angeschaut», zählt er auf. Schliesslich stiess er in einem Tierheim in Orpund, in Velodistanz von seinem Wohnhaus, auf Toni und Tino.  

Klaus Händl ist in Innsbruck aufgewachsen und hat die Region um den Bielersee kennengelernt, als er 1995 für sein Erstlingswerk «(Legenden)», eine Sammlung von 35 Prosastücken, mit dem Robert-Walser-Preis ausgezeichnet wurde. Nun lebt er seit zwanzig Jahren in der Schweiz, unterbrochen immer wieder durch Aufenthalte in Österreich und Deutschland. Um Toni an das Haus in Wien, wo der Film gedreht wurde, anzugewöhnen, war Händl mit beiden Katzen für drei Wochen dort eingezogen. Toni durfte sich frei bewegen, auch ausserhalb des Hauses – mit dem Risiko, dass er verloren ging. 

Der Trailer zu Klaus Händls Film «Kater»:

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Wäre er während des Drehs verschwunden, hätte sein Bruder Tino einspringen sollen. Ob das geklappt hätte, ist eine andere Frage, denn Tino ist eine scheue Katze. Schon mit dem draufgängerischen Toni brauchte das Filmen Geduld. «Mit Tieren verdoppelt sich die Drehzeit», sagt Händl. Zwei Wochen lang drehte das Team nur mit Toni. «Am schwierigsten war es, Toni dazu zu bringen, ruhig im Bett neben einem Menschen zu liegen.» Das gelang erst, nachdem sie den Schauspieler mit Katzenfutter einrieben hatten. 

Abgesehen von dieser Szene ist fast alles Material mit Toni halb-dokumentarisch. Der Katze wurde nicht vorgegeben, was sie tun musste, das Team filmte einfach ihr natürliches Verhalten. Als Tonis wedelnder Schwanz vor laufender Kamera an die Scheibe klöpfelte, schrieb Händl kurzerhand eine Szene um und liess den einen Darsteller von dem Geräusch aufwachen statt, wie vorgesehen, davon, dass Toni ihm auf die Brust sprang. Und dass Toni im Garten das Steinversteck beschnupperte, das ein Schauspieler im Film für eine Schlange in Winterstarre baut, betrachtet Händl als Geschenk des Katers. 

Die Schlangenszene ist eine Hommage an einen Bieler Autor, wie Händl anlässlich einer Vorführung im Filmpodium Biel dem Publikum erzählte. «In der Nacht zuvor hatte unsere Katze eine Viper ins Haus gebracht (...)», heisst es auf der ersten Seite des Buchs «Ein Kirschbaum am Pazifischen Ozean» von Jörg Steiner, und genau das zeigt Händl im Film. Überhaupt bedeuten ihm die Schriftsteller seiner Wohnregion viel. In seinem Haus auf dem Tischchen neben dem Sofa, wo Toni döst, guckt das Buch «Seeland» von Robert Walser, dem bekanntesten Schriftsteller der Stadt Biel, unter einem Stapel hervor. Der 47-jährige Händl pflegt aber auch Kontakt zu Zeit- und Altersgenossen wie Raphael Urweider und Matto Kämpf. 

Eine Nebenrolle bei Kommissar Rex
Er selber hatte sich, bevor er ernsthaft literarisch zu schreiben begann, zum Schauspieler ausbilden lassen. Mit mässigem Erfolg. «Ich war ein schlechter Schauspieler und kriegte dann auch nur Nebenrollen in Serien wie Kommissar Rex, was nicht zufriedenstellend war», sagt er. Dafür streicht er nun als Regisseur grosse Anerkennung ein. An der Berlinale 2016 hat «Kater» einen Teddy-Award gewonnen, den Preis für einen schwul-lesbischen Film des Internationalen Filmfestivals Berlin. Dies, obwohl Händl das Drehbuch ursprünglich für ein heterosexuelles Paar geschrieben hatte. 

Erst nach Schwierigkeiten beim Casting hatte er sich schliesslich entschieden, stattdessen zwei Männer in die Hauptrollen zu nehmen. Nun muss er damit leben, dass «Kater» als Schwulenfilm klassifiziert wird, zeigt er doch viel männliche Nacktheit. Händl selber betrachtet das Werk aber schlicht als Liebesfilm. «Das Thema ist die Vertreibung aus dem Paradies», erklärte er im Filmpodium Biel dem Publikum. Und im Paradies sind die Leute eben nackt.

Aus der toten Katze wächst ein Baum
Aus dieser Interpretation folgt, dass für Klaus Händl offensichtlich auch Katzen zum Paradies gehören. Im ersten Teil des Films, dem paradiesischen eben, kriegt Toni alias Moses sehr viel Platz auf der Leinwand. Umgekehrt hat Händl privat sein Haus einem Paradies für Katzen angenähert. In der Küche lagert ein ganzes Sortiment an Futter. Die beiden Kater können durch die Katzentür in der Stube oder vom oberen Stock aus über die Katzenleiter jederzeit den Garten erreichen. Mit teils unerwünschten Nebeneffekten – «Amsel, du lebst gefährlich», sagt Händl zum Vogel, den er durchs Küchenfenster beobachtet. Als kleine Genugtuung für die Vögel hat er dort, wo seine frühere Katze begraben liegt, einen Vogelbeerbaum gepflanzt: «Jetzt können die Vögel Beeren picken, die aus der Katze gewachsen sind.» 

In Sicherheit sind sie nur, solange Toni und Tino drinnen sind, wo es an jeder Ecke ein Plätzchen für sie hat. Sie dürfen sich in die Lücke neben der Waschmaschine legen, durch die offen stehende Schranktür ins mit Stoffen ausgepolsterte unterste Regal schlüpfen, es sich im Cellokasten bequem machen und im Musikzimmer die Nische in der Regalwand, deren Akustik es Tino besonders angetan hat, in Beschlag nehmen. 

Im Bett sind sie ebenso willkommen wie neben dem Frühstückstisch, wo Händl mit dem Bleistift Tinos Spieltrieb anregt, bevor er wieder ein paar Satzfetzen, die in sein nächstes Theaterstück passen könnten, auf eine Werbung in ein herumliegendes Magazin notiert. Es wird im Stück nicht um Tiere gehen, ebenso wenig wie im nächsten Film, dessen Drehbuch Händl bereits zu schreiben begonnen hat. Ihren Platz haben Toni und Tino in den kommenden Jahren nicht in einer fiktiven Welt, sondern in Klaus Händls realem Leben.

Der Film «Kater» wird am 21. Mai 2017 um 11 Uhr im kult.kino Basel gezeigt.