Die bis dahin kaum praktizierte Anwendung des Tierschutzparagraphen 11b führte am Mittwochabend zu einem Grundsatzurteil, das mittelfristig tausende Haustierliebhaber betreffen könnte. Richter Christian Oestmann ging es um nicht weniger als um die «Grenzen züchterischer Liebhaberei».

Willi gehört zur Rasse der Sphinx-Katzen, an deren Anblick sich die Geister scheiden. Die mageren, haarlosen Tiere geben eine Eindruck davon, wie dünn Katzen ohne ihr Fell tatsächlich sind. Nicht nach jedermanns Geschmack sind auch die riesigen Augen und die schrumpelige Haut. Doch Oestmann machte in der Verhandlung deutlich: «Es geht nicht darum, ob man Nacktkatzen schön findet.»

Tatsächlich ging es darum, ob das Veterinäramt des Bezirks Spandau im Recht war, als es im vergangenen Sommer der Klägerin Jacqueline L. die Zucht der Katzen untersagte und Willis Kastrierung anordnete. Die Behörde berief sich dabei auf eben jenen Paragraph 11b und stufte das Kleinunternehmen der 41-jährigen L. als Qualzucht ein. Weil L. das ganz anders sieht, landete der Streit vor Gericht.

Leiden ohne Tasthaare
500 bis 700 Euro verdient die gelernte Laborassistentin nach eigenen Angaben an jeder Katze, die Willi mit seinen Gespielinnen Enola, Rumba und Sadira zeugt. Doch für L. steht mehr als eine Einnahmequelle auf dem Spiel. Sie pflegt eine erkennbare Leidenschaft für die skurril aussehenden aber als besonders verschmust geltenden Stubentiger. So konnte die Klägerin nicht verstehen, was das Veterinäramt ihr vorwarf: Dass jeder weitere Wurf leidende Tiere hervorbringe.

Paragraph 11b besagt unter anderem: Es ist verboten, «Wirbeltiere zu züchten, wenn ihnen Körperteile für den artgemässen Gebrauch fehlen oder diese untauglich sind und hierdurch Schmerzen, Leiden oder Schäden auftreten». Im Fall der Sphinx ist dieses Körperteil das mit dem Fell weggezüchtete Tasthaar. Der einbestellte tierärztliche Gutachter Thomas Göbel hatte alle vier Katzen der Klägerin untersucht. Ergebnis: Sie wiesen gar keine oder nur verkümmerte Tasthaare auf.

Diese sogenannten Vibrissen seien aber ein wichtiges Sinnesorgan, sagte Göbel. Sie dienen diese Tieren sowohl zur Orientierung als auch zur Kommunikation. «Das Fehlen eines Sinnesorgans betrachte ich als Schaden.»

Tragweite offen
Inwieweit die Tiere tatsächlich leiden, blieb indes unklar. Wissenschaftlich fundierte Studien hierzu gibt es nicht. Doch das Gericht schloss sich der Einschätzung des Tierarztes an und wies die Klage ab. Wer also Nacktkatzen ohne Tasthaare züchtet, betreibt Qualzucht, und das könnte neben den Kanadischen Sphinx auch andere Nacktkatzenarten betreffen, die ebenfalls keine oder nur verkümmerte Vibrissen aufweisen.

Mittelfristig könnten aber auch andere Haustiere, zum Beispiel unter Atemnot leidende Mops-Hunde, als Produkt einer Qualzucht eingestuft werden. Wegen dieser «grundsätzlichen Bedeutung» des Urteils liess Richter Oestmann eine Berufung zum Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg zu. Jacqueline L. hatte bereits im Vorfeld angekündigt, den Weg durch die Instanzen gehen zu wollen.