Vergangene Woche ist Jackson am helllichten Tag in den Gartenteich gefallen – obwohl der Golden Retriever den Garten «in- und auswendig» kennt. Jackson ist 17 Jahre alt, wird immer schreckhafter und verwirrter, schläft nun öfters am Tag und verbringt die Nacht jaulend in der Stube. Die Tierärztin Heike Will-Hofmann, die sich in ihrer Kleintierpraxis im deutschen Wetzlar auf alternde Haustiere spezialisiert hat, vermutet, dass Jackson an Demenz leiden könnte. «Demenz, wie man sie bei Menschen kennt, ist beim Tier so nicht als Diagnose bekannt. Jedoch zeigen sich rein symptomatisch die gleichen, klassischen Symptome und damit deutliche Parallelen – zum Beispiel der gestörte und teils sogar umgekehrte Tag-Nacht-Rhythmus», erklärt sie. 

Fest steht: Ein alterndes Haustier – sei es Katze oder Hund – beeinflusst und verändert den Alltag des Besitzers. Ein Hund, der die Kontrolle über Blase und Darm verloren hat, braucht ständige Betreuung. Eine verwirrte Katze, die alleine nicht mehr nach Hause findet, stellt den Tierhalter vor neue Herausforderungen. Leidet ein Vierbeiner an Gelenkproblemen, wird der Sprung in den Kofferraum des Autos zum unüberbrückbaren Hindernis. Bewegungsfähigkeit und Radius nehmen ab. Das Risiko für Übergewicht oder Diabetes steigt. Doch trotz Mehraufwand: Viele Tierhalter möchten ihren «Schützling» so lange wie möglich am Leben erhalten und scheuen dafür keinen Aufwand. Denn Haustiere sind heute Lebenspartner, Familienmitglieder oder gar Seelenverwandte, denen der Mensch auf Augenhöhe begegnet. 

Lebenserwartung von Haustieren steigt
Medizinisch bedeutet dies: Lebensoptimierende und lebensverlängernde Massnahmen – vom Vitaminriegel über Physiotherapie bis hin zur Tumoroperation und Chemotherapie – werden ergriffen. «Nicht die Lebensdauer steht im Vordergrund, sondern die Lebensqualität. Für mich gehört das Tier mit dem Besitzer so eng zusammen, dass jeder Fall einzeln beurteilt werden muss: die individuelle Problematik des Tieres und die Umstände der Besitzer», erklärt Will-Hofmann. Die durchschnittliche Lebensdauer von Katzen hat sich seit den 1970er-Jahren verdreifacht – auf etwa 15 Jahre. Bei Hunden hat sie sich innerhalb weniger Jahre fast verdoppelt. Wie lange ein alterndes Tier am Leben erhalten wird, bleibt allerdings alleine dem Tierhalter überlassen. Er muss allfällige Krankheitsanzeichen erkennen und er entscheidet letztlich über eine Therapie oder eine Operation.  

Als die Expertin rund ums Thema «Tiergeriatrie» gilt Svenja Joswig, Tierärztin in Hannover. Ihre Dissertation trägt den Titel «Die Zukunft liegt im Alter» und gehört zu den seltenen Forschungsarbeiten zum Thema. Ob Tierärztin oder Halterin eines kranken alten Hundes: Joswig kennt beide Seiten. Ihren 15-jährigen Labrador-Schäferhund-Misch­ling Momo liess sie nach langem Ringen mit sich selbst einschläfern. Der Hund litt unter Gelenkproblemen und trotz Operationen an Tumoren. «Ich beschäftigte mich mit der gleichen Fragen wie viele Tierhalter von alten Tieren: Erkenne ich die Schmerzen und die schwindende Lebensqualität meines Tieres rechtzeitig?», erinnert sich Joswig. 

Operieren oder erlösen?
Heute ist die Tierärztin überzeugt: «Die wichtigste Fähigkeit, die Besitzer älterer Tiere erlernen sollten, ist die Fähigkeit Anzeichen für Schmerzen und Krankheit zu erkennen.» Ein rechtzeitiger Therapiebeginn könne dem Tier Leid ersparen und den Krankheitsverlauf hinauszögern. «Unsere Aufgabe als Tierärzte ist es, die Besitzer für erste Anzeichen von Schmerzen und Krankheit, aber auch für die Pflege der Tiere zu sensibilisieren», unterstreicht sie. Medikamente verabreichen, Wunden säubern, eine gefüllte Harnblase ausdrücken – das alles sollten die Halter älterer Haustiere beherrschen.

Katzen, die sich kaum mehr bewegen können und Hunde, die sich einkoten: Gilt «in Würde altern» für Tiere nicht? «Wenn sich die Tiere trotz Medikation nicht mehr selbstständig versäubern können und es nicht mehr alleine zum Futternapf schaffen – dann ist es Zeit, sie von ihrem Grundleiden, nämlich der Altersschwäche und den damit einhergehenden Schmerzen, zu erlösen», appelliert Julika Fitzi-Rathgen vom Schweizer Tierschutz (STS). Die Tierärztin und Leiterin der STS-Fachstelle für Tierversuche, Gentechnologie und Hunde betont: «Eine Operation käme für mich nur in Frage, wenn die Tiere Aussicht auf ein tiergerechtes Leben haben. Dazu gehört Schmerzfreiheit, selber trinken und fressen, sich draussen versäubern und sich altersentsprechend bewegen können.» 

Die Frage, welche Medikamente und Operationen sich bei alten kranken Tieren noch lohnen, stellt sich nicht in allen Bereichen der Tiergeriatrie. «In der Tierhomöopathie erübrigt sich diese Frage, da nur mit den natürlichen Ressourcen des Tieres gearbeitet wird», unterstreicht die klassische Tierhomöopathin und Tierheilpraktikerin Sabine Müller. In ihrer Praxis in Jesteburg bei Hamburg behandelt sie seit 13 Jahren Kleintiere, Katzen, Hunde und Pferde. «Bei der Tierhomöopathie geben wir mit der Arznei den Impuls, die Verbesserungen, die sich danach einstellen, schafft der Organismus selbst», erklärt Müller. Den Alterungsprozess stoppen kann aber auch die Homöopathie nicht. 

Altersheime für Hunde und Katzen?
Trotzdem: Das Interesse an alternativer Medizin in der Tiergeriatrie wächst. Vergangenen September war Müller in der Schweiz zu Gast, um ein Seminar zum Thema  «Wenn Tiere alt werden – Geriatrie in der Tierhomöopathie» zu leiten. In den Vereinigten Staaten setzen vor allem Tierhospize auf alternative Medizin bei kranken Tieren – von chinesischen Kräutern über Akupunktur bis hin zur Homöopathie. Im Tierhospiz geht es nicht mehr ums Gesundwerden, sondern nur noch ums Sterben – so tiergerecht wie möglich. 

Müller steht Tierhospizen kritisch gegenüber: «Hunde und Katzen sind eng gebunden an ihren Halter und den Ort, an dem sie leben. Das Tier in einem todesnahen Zustand an einen fremden Ort zu bringen und fremden Menschen anzuvertrauen, ist aus meiner Sicht eine unzumutbare Belastung.» In der Schweiz und in Deutschland ist die Tierhospiz-Bewegung noch nicht angekommen. Mit immer älter werdenden Tieren wird die Nachfrage nach palliativen Betreuungsmodellen für alte und sterbende Tiere jedoch auch bei uns zunehmen.