Für Katzenfreunde klingt es unverständlich, aber es gibt tatsächlich Menschen, die Samtpfoten nicht besonders gut leiden können. Der Hauptgrund, warum schnurrenden Vierbeinern bisweilen regelrechte Verachtung entgegenschlägt, ist ihr Jagdtrieb. Tötet eine Katze lästige Mäuse, verzeihen ihr noch die meisten Menschen. Aber wehe, es handelt sich bei dem Opfer um ein kleines Vögelchen, eine Meise oder gar ein sympathisches Rotkehlchen! Da rauscht die Beliebtheit von Katzen schnell in den Keller.

Doch warum ist der Jagdinstinkt überhaupt derart stark ausgeprägt? Wie läuft so ein Beutezug ab? Und welchen Zweck hat das Spiel mit dem Opfer? Die Jagd der Katze lässt kaum jemanden kalt. Und sie wirft bis heute jede Menge Fragen auf.

Jeder kennt das Bild einer vor dem Mauseloch lauernden Katze. Von dunklen Löchern oder Bodenspalten werden Stubentiger angezogen wie die Motten vom Licht. Aber der Eindruck täuscht. Keine Katze verbringt sinnlos zig Stunden mit Warten. Im Gegenteil: Hat sie Erfahrung im Jagen und ist auf Beutezug für ihre Jungen, kommt sie mindestens alle drei Stunden mit einem Opfer heim. Unter idealen Bedingungen erlegt sie sogar im 30-Minuten-Takt kleine Säugetiere.

Jagdlust hat mit Hunger nichts zu tun
Dazu verwendet die Katze häufig die Strategie der Lauerjagd. Ein leises Knistern, ein Rascheln, Piepsen oder Fiepen reichen aus, schon ist sie in Killerstimmung. Diese akustischen Signale gehören zu den Schlüsselreizen der Jagd. Daneben lösen schnelle Bewegungen kleiner Tiere spontane Tötungsabsichten aus. Schon einmal beobachtet, wie ein junges Kätzchen nach einem Schmetterling springt? Oder wie eine alte Katze nach einer Fliege schnappt? In diesen Momenten ist die Jagdmotivation am grössten.

Wer glaubt, der Hunger einer Katze habe mit ihrer Jagdlust etwas zu tun, der irrt gewaltig. Und diesem Irrtum unterliegen viele Katzenbesitzer. In der Folge füttern sie ihre Tiere mit ordentlichen Mengen. Aber seltener jagen werden Minki und Co. deshalb nicht. Hunger ist kein Motivator. Der Grund dafür liegt auf der Hand: Da sich eine Katze in der Natur von eher kleinen Portionen ernährt, ist sie stets darauf vorbereitet, einen Leckerbissen zu erlegen. Ganz anders als beispielsweise eine Schlange, die im vollgefressenen Zustand gar nicht auf die Idee käme, sich bei einer Jagd zu verausgaben.

Auch Misserfolge bei der Jagd haben keine Auswirkungen. Weder wird eine Katze nach fünf Fehlversuchen besonders jagdwütig, noch zieht sie frustriert von dannen. Nur ihre bevorzugten Jagdzeiten sollen sich im Lauf der Domestikation ein wenig verschoben haben. Mehr als 40 Prozent der jagdlichen Aktivität spielen sich mittlerweile tagsüber ab – erstaunlich für dämmerungs- bis nachtaktive Tiere.

Das Spiel mit der Beute
Bei der Lauerjagd bezieht eine Katze genau dort Stellung, wo sie beispielsweise ein bestimmtes Geräusch wahrgenommen hat. Jetzt sind alle ihre Sinne in Alarmbereitschaft. Der Körper des Stubentigers ist von den Schnurrhaaren bis zur Schwanzspitze angespannt, oft nimmt die Katze eine geduckte Stellung ein. Ohren und Augen fixieren den umwitterten Bereich, die Schwanzspitze zuckt meist vor Aufregung. So sitzt sie da und harrt der Dinge. Sobald eine Maus ihr Näschen aus dem Erdboden streckt, schlägt die Katze zu. Beherzt, erbarmungslos und in Blitzgeschwindigkeit.

Nach dem spektakulären Raubzug beginnt die Stufe zwei: die Entscheidung darüber, was mit der Beute passieren soll. Die Katze hat mehrere Auswahlmöglichkeiten. Sie kann das Opfer töten und sofort verspeisen. Sie kann es töten und mit in ihr Heim nehmen. Sie kann es aber auch am Leben lassen, mit ihm spielen, was für unsere menschliche Auffassung besonders brutal ist, und es dann lebendig mit nach Hause nehmen – um allenfalls dort noch weiter mit ihm zu spielen.

Das Spiel mit der Beute gehört zu den geheimnisvollsten Verhaltensweisen. Es wird vermutet, dass sich die Katze in einem Konflikt befindet. Vielleicht wehrt sich die Beute, vielleicht hat die Katze wenig Hunger oder vielleicht passt ihr etwas am Geruch nicht. Jedenfalls kann sie sich nicht dazu durchringen, den gefangenen Happen sofort zu töten.

Die Geschenke einer Katze haben es ebenfalls in sich. Es ist zwar nett, sanft von der Katze geweckt zu werden – aber doch nicht, wenn sie einem ein blutendes, fiependes Tierchen auf die Bettdecke legt. Der Theorie, solche «Geschenke» hätten mit der Aufzucht der Jungen zu tun, können Experten wie der schweizerisch-amerikanische Biologe Dennis Turner – er betreibt in Horgen am Zürichsee das Institut für angewandte Ethologie und Tierpsychologie – wenig abgewinnen. Seine Begründung: «Auch Kater machen diese Geschenke, haben mit dem Nachwuchs aber rein gar nichts zu tun.» Mag sein, dass Katzen, die ihren Besitzern Mäuse brachten, stets mit Aufmerksamkeit bedacht wurden und sich das Verhalten deshalb durchsetzte oder verstärkte. Genau weiss es niemand.

In der modernen Katzenhaltung kann und sollte man sich den Jagdtrieb beim Spielen zunutze machen. Katzen, die ausschliesslich in Wohnungen gehalten werden, wird sonst schnell langweilig. Sie attackieren zum Beispiel die Füsse ihrer Besitzer. Keine gute Basis für eine harmonische Beziehung. Man muss also für Ausgleich sorgen. Dafür eignen sich Stoffmäuse, Wollknäuel, Angeln oder Bälle, die zwar als Spielsachen bezeichnet, im Prinzip jedoch als Ersatzbeute eingesetzt werden. Übrigens: Immer gewinnen lassen muss man sie nicht. Bei der echten Jagd führt auch nur jeder dritte bis fünfte Angriff zum Erfolg.

Vogelfreunde im Dilemma
Der Unmut über das Jagdverhalten der Katzen treibt teilweise kuriose Blüten. In den USA haben etliche Gemeinden in Erwägung gezogen oder bereits beschlossen, den Samtpfoten ihren Auslauf ins Freie zu verbieten. Die Massnahme sei zum Schutz der Katzen selbst, vor allem aber zum Wohl jener Wildtiere, die ins Beutespektrum der Katzen passten, sagen die Befürworter der Inhouse-Katzenhaltung. Turner kontert: «Über die Tötung von Wildtieren gibt es mehr als 80 Studien weltweit. Katzenhaltung hat absolut keine Relevanz auf die Dezimierung der Bestände.»

Doch die Sache ist komplexer. So verzeichnet Peter Berthold, einer der weltweit führenden Ornithologen und früherer Leiter des Max-Planck-Instituts in Radolfzell, seit Jahrzehnten einen Rückgang der Singvögel: Weil sie auf den heute perfektionistisch bewirtschafteten Feldern weder Lebensräume noch Nahrung finden. Aber ausgerechnet dort, wo den kleinen Piepmätzen geholfen werden kann – in Siedlungen, Parks und Gärten – lauern besonders viele Büsis. Da beisst sich quasi die Katze in den Schwanz, wenn Singvögel erst gefüttert und gepäppelt, dann aber wieder getötet werden.

Manche vogelfreundlichen Katzenbesitzer lassen ihre Stubentiger nicht ins Freie, wenn die Jungvögel flügge werden. Glöckchen am Halsband sind wenig hilfreich, da gesunde Vögel ohnehin rechtzeitig wegfliegen und Jungvögel es nicht schnell oder hoch genug schaffen. Ein Dilemma, denn die Katze ist bis heute ein Raubtier. Ohne Wenn und Aber.