Niemand wusste so recht, woher sie kam. Sie begann ihr Leben als Stras­senkatze, stahl Essensreste von Marktständen und von Händlern. Dann aber ging das magere Tiger-Kätzchen seinen eigenen Weg. Irgendwann zwischen Weihnachten und Neujahr 2008 schlüpfte es unbemerkt in Londons Southwark-Kathedrale. Und entschied sich, dort zu bleiben. Schmuddelig und in miserabler Verfassung suchte die Katze nach Futter und freundlicher Behandlung. Beides wurde ihr durch die Küster der Kathedrale zuteil, ein Name ebenso. 

So begann das neue Leben der Katze, die fortan als «Doorkins Magnificat», als die Katze der Kathedrale von Southwark, lokale Berühmtheit erlangen sollte. Zwölf Jahre später fand ihre Reise ein Ende. Einen Monat nach ihrem friedlichen Ableben hat die Kathedrale sie mit einem Gedenk-Gottesdienst unter dem himmelhohen gotischen Gewölbe geehrt. Und ihre Überreste wurden im Kathedralen-Garten beigesetzt. Der Dekan der Kathedrale, Hochwürden Andrew Nunn, sprach von einem ganz ungewöhnlichen Ereignis und erklärte seiner Gemeinde: «Ich glaube nicht, dass es jemals so eine Feier für eine Katze gegeben hat.» Andererseits war Doorkins natürlich auch keine gewöhnliche Katze. 

Auch die BBC berichtete über Doorkins.

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Ab ihrem ersten Tag richtete sie sich gemütlich in der neuen Wohnstätte ein. So rollte sie sich bei einem warmen Rohr im Altarraum ein, schlief gern auf dem Kissen des Dekans im Chorgestühl oder machte an warmen Tagen ein Nickerchen draussen im Kirchhof an einem sonnigen Plätzchen. Bei Gottesdiensten flanierte sie gern vor dem Altar herum und wusch sich ausgiebig während feierlichen Gebeten. Im Winter streckte sie sich wohlig aus an ihrem Lieblings-Heizkörper. Während der Advents- und Weihnachtszeit pflegte sie sich ins Stroh der aufgestellten Krippe zu kuscheln. Eine Maus zu fangen, kam ihr nie in den Sinn.

Dösen beim Besuch der Königin
Status und grosse Anlässe kümmerten sie wenig. Sie behandelte den Bischof mit Geringschätzung, spazierte unterm Sarg des verstorbenen Dekans herum bei dessen Trauerfeier und zollte den noblen Gästen wenig Beachtung. Als die Königin zu einem Besuch kam, soll Doorkins die Augen kurz geöffnet haben, um sich die Sache zu überlegen. Dann schlief sie seelenruhig weiter. Zu dieser Zeit verfügte sie freilich selbst schon über einen Status unbestrittener Prominenz. Doorkins wusste die Herzen der Gemeinde, der Geistlichen und der Besucher locker zu erobern. Die Leute kamen in die Kathedrale in der Hoffnung, sie zu Gesicht zu bekommen. Auch ein Kinderbuch wurde ihr gewidmet. Doorkins fand sich abgebildet auf Bechern, Kühlschrank-Magneten und Grusskarten, die im Kathedralen-Laden verkauft wurden. Und sie hatte ihren eigenen Twitter-Account mit mehr als 6000 Fans.

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Aber Doorkins war auch Teil des Londoner Lebens und entkam nicht dem Trauma der Terrorattacke im Jahr 2017 auf der nahen London Bridge. Sie befand sich ausserhalb der Kathedrale, als diese aus Sicherheitsgründen geschlossen wurde. Einen Weg zurück durch die Reihen der bewaffneten Polizisten und die abgeriegelten Türen gab es nicht. Als die Kathedrale später wieder geöffnet wurde, rannte sie flugs hinein und weigerte sich, sie wieder zu verlassen. Southwark Cathedral war ihr Zufluchtsort, ihr Sanktuarium. Hier wusste und fühlte sie sich sicher vor der Welt. 

Doorkins war ein geliebtes Mitglied der Kirchengemeinde. «Wie viele Menschen vor ihr fand auch sie ihren Weg zu uns, sie wurde willkommen geheissen und machte uns zu ihrer Familie und diese Stätte zu ihrem Zuhause», sagte Hochwürden Nunn an der Gedenkfeier für sie. Den Covid-Vorschriften entsprechend wurden nur 30 Personen eingelassen. Viele Bewunderer von Doorkins verfolgten den Gottesdienst online. Nicht jedem behagte das. Philip North, der Bischof von Burnley, fand das Ganze «zutiefst gefühllos gegenüber trauernden Familien und all denen, die sich ihrer annehmen unter Coronavirus-Bedingungen». 

Wie alle Katzen verbrachte Doorkins ihre Zeit gerne mit Schlafen.

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Ein Segen für die Kirche
Nunn jedoch sah zur Entschuldigung keinen Grund. «Manch einer mag glauben, dass Katzen Feierlichkeiten, Grabreden und Gebete nicht verdienen», sagte er. «Das sehe ich nicht so. Diese kleine Katze tauchte an unserer Tür auf, veränderte unser Leben und half so unserer Mission und unserem Amt.» Sie habe mehr Leute hierhergebracht, als er es jemals tun könnte. 

«Sie hat uns und ihren vielen Fans viel Freude bereitet», bilanziert der Dekan South-warks Katzenjahre. «Sie war auf vielfache Weise ein Segen für uns.» Mittlerweile ist ein Gedenkbuch aufgelegt worden, zu dem man Bilder und Geschichten über Doorkins beisteuern kann – auf einer speziellen Doorkins-Magnificat-Webseite der Kathedrale South-wark in der Themsestadt.

Hier gehts zu Doorkins’ Bildergalerie auf der Website der Kathedrale.