Der Tag ist erst am Erwachen. Ein noch dunkler Himmel spannt sich über den Hügeln des Faltenjuras, von denen das obere Ende des Baselbieter Diegtertals eingerahmt ist. Die Mondsichel leuchtet klar. Es wird ein sonniger, aber kalter Wintertag werden. Im Kuhstall sind der Bauer Markus Müller* und Esther Geisser, die Präsidentin der Tierschutzorganisation NetAP, daran, Katzen in einen Gitterkäfig zu locken. Zaghaft kommt ein schneeweisses Büsi die Treppe vom Heustock hinunter. «Vier fehlen noch», flüstert Geisser, alle anderen seien bereits eingefangen.

Insgesamt 24 Katzen sollen kastriert werden. Direkt hier auf dem Hof, wo sie leben. 2012 waren es bloss zwei Weibchen. Sie vermehrten sich schnell, aus zwei wurden zehn, aus zehn zwanzig und wenn die Katzen jetzt nicht kastriert würden, ginge es immer so weiter. Laufend die Jungen umbringen, was manche Katzenhalter heute noch machen, wollte der junge Bauer nicht. Zu barbarisch ist diese Art der Populationskontrolle für ihn. Die beiden Stammmütter hatte er selber mit dem Schoppen grossgezogen, nachdem deren Mutter von einem fremden Hund totgebissen worden war. Dass sie sich so schnell vermehren würden, hatte er zu wenig bedacht. «Als mir klar wurde, dass ich die Katzen kastrieren müsste, waren es schon mindestens zehn.» 

Die Küche wird zum OP
So viele, dass es ein logistisches Kunststück gewesen wäre, mit ihnen allen in eine Tierarztpraxis zu fahren. Abgesehen von dem vielen Geld, das er für die Operation dieser Katzenschar hätte hinblättern müssen. So verwarf er den Gedanken wieder – bis er einen Zeitungsbericht über die Tierschutzorganisation NetAP las, die mit Kastrationsaktionen gegen das Katzenelend ankämpfe. Er erfuhr, dass NetAP nicht nur verwilderte Katzen einfängt, um sie vor Ort zu operieren, sondern nach Absprache mit den Bauern auch auf Höfen mit grossen Populationen solche Aktionen durchführt. Müller meldete sich bei der Organisation und bat sie um Hilfe.

Die wichtigsten Bedingungen lauteten: Kastriert werden alle Katzen, sie müssen weiterhin auf dem Hof bleiben dürfen und auch gefüttert werden. Für den Einsatz braucht es einen sauberen und warmen Raum mit mindestens zwei grossen Tischen, Ablagefläche, Strom, fliessend Heiss- und Kaltwasser und einer sanitären Einrichtung. Dazu ein zweiter, gut geheizter Raum für die Aufwachphase nach der Operation. Zudem musste der Bauer bereit sein, die Tiere über Nacht in diesem Raum ruhen zu lassen und sie erst am Tag nach der Kastration wieder freizulassen. Er war einverstanden. Es wurde vereinbart, die Aktion noch diesen Winter durchzuführen – bevor die Katzen wieder rollig sind.

Die Küche dient nun für zwei Tage als OP-Raum – ein Tag reicht nicht, um 24 Katzen zu kastrieren. Inzwischen sind alle bis auf eine, die sich offenbar noch am Vorabend aus dem Staub gemacht hat, eingefangen. In Einzelboxen harren sie hier nun der Dinge, die da kommen. Schicksalsergeben still die einen, fauchend und knurrend die anderen. Es ist warm, der Bauer hat tüchtig eingeheizt. Die Ablageflächen des Küchenbuffets sind mit medizinischen Utensilien und chirurgischen Werkzeugen belegt. Das Team, bestehend aus Esther Geisser und zwei weiteren Frauen, ist bereits am Arbeiten.

Die Tierärztin Kathrin Meyer* untersucht eine narkotisierte Katze. Ein zartgliedriges rotes Tigerchen. Es ist ein Weibchen, stellt Meyer fest. Prisca Bernauer, eine ausgebildete Pflegefachfrau, die bei den NetAP-Einsätzen assistiert, zieht eine Spritze auf. Alle Katzen werden vor dem Eingriff mit einem Langzeit-Antibiotikum gegen Infektionen geschützt sowie entwurmt und einer Flohbehandlung unterzogen. Esther Geisser macht derweil am anderen Tisch alles für die Operation parat. Sie mahnt die Zuschauerin, genügend Abstand zu halten, «damit hier alles steril bleibt».

Beim Kater geht es ruckzuck 
Das rote Tigerli ist für den Eingriff bereit, es wird vorsichtig auf ein Brett gelegt. Und da liegt es nun, mit dem rasierten Bäuchlein nach oben, die vier Beine schlaff ausgestreckt und mit Gazestreifen am Brett festgebunden. Doch gleich bedeckt ein steriles Tuch mit einer Öffnung in der Mitte den Körper, dann wird das Brett aufgestellt und Kathrin Meyer setzt das Skalpell zum Schnitt an. Es ist still, die Tierärztin arbeitet konzentriert, nun mit Klemmen, Nadel, Faden. 

Nach etwa zehn Minuten ist die Operation geschafft, der Schnitt ist vernäht und auf einem weissen Papier liegen zwei kleine rote Klümpchen – die Eierstöcke. Das Tigerli schläft immer noch tief und fest. So merkt es auch nichts von dem kleinen Schnitt ins Ohr, mit dem es als kastriert markiert wird. Danach bindet Geisser das Büsi los und legt es wieder in die Box, die nun frisch und weich ausgepolstert ist. Sie deckt es zu und bringt es in den «Aufwachraum». In die Stube, wo der grosse Kachelofen eine wohlige Wärme verströmt. «Wärme ist jetzt ganz wichtig», sagt Geisser. Wegen der Narkose kühle der Körper schnell ab. «Sinkt die Körpertemperatur aber zu stark ab, können bleibende Schäden entstehen oder das Büsi wacht gar nicht mehr auf.» Damit das nicht passiert, kommen die Boxen mit den frisch operierten Katzen direkt auf die Heizquelle – auf die mit Karton abgedeckte Ofenbank. Hier soll das rote Tigerli nun in Ruhe aufwachen und sich von der Operation erholen können.

In der Küche haben die Ärztin und ihre Assistentin derweil weiter gearbeitet. Die nächste Katze ist für die Operation parat, eine schneeweisse diesmal, ebenfalls ein Weibchen. Also schon wieder ein grösserer Eingriff, denn die Kastration eines Männchen ist um ein Vielfaches einfacher. Da muss nicht die Bauchhöhle geöffnet werden, auch nichts vernäht. Beim Kater geht es ruckzuck: Ein kleiner Schnitt in die Hodensäckli, die Hoden raus, am Samenleiter abgebunden und abgeschnitten und fertig ist die Geschichte. Aber die drei Frauen von NetAP sind darauf eingestellt, dass mindestens die Hälfte der Katzengruppe aus Weibchen besteht. So arbeiten sie stetig weiter, ein Büsi nach dem anderen kommt unters Messer und danach in die warme Stube.

21 Katzen auf einen Streich
Kurz vor Mittag sorgt ein junger weisser Kater für einen Moment der Aufregung. Als Kathrin Meyer ihn untersucht, findet sie seine Hoden nicht. «Ist der etwa schon kastriert?» Der Bauer wird gerufen, er verneint. «In dem Fall haben wir hier einen Kryptorchid», sagt die Ärztin. Das sei ein Männchen, bei dem die Hoden nicht wie üblich bei der Geburt in die Hodensäcke abgewandert, sondern im Bauchraum liegen geblieben sind. Sie entscheidet sofort, dieses Katerchen ihrem Kollegen zu überlassen, der am nächsten Tag die restlichen Kastrationen übernimmt. «Diese Operation würde jetzt viel zu viel Zeit kosten.» Sie macht mit den anderen weiter. Als es Abend wird, sind 21 Katzen operiert, sie dösen alle auf der Ofenbank – einem wahrscheinlich stressfreieren Leben entgegen. 

Bleiben noch drei zu kastrieren. Geplant ist, dass der NetAP-Tierarzt, der am nächsten Tag kommt, sich ihrer annimmt. Wie nachträglich zu erfahren war, waren es dann bloss zwei. Denn der Kater, der einen Tag vor der Aktion das Weite gesucht hatte, kehrte erst auf den Hof zurück, nachdem die Leute in den grünen Kitteln wieder abgezogen waren. Ihm wird die besondere Ehre zuteil, dass er alleine mit seinem Herrchen zum Tierarzt darf. Denn der Schnitt bleibt ihm nicht erspart, das steht für Bauer Müller fest.

*Namen geändert

Kastrieren gegen Tierleid

Die in der Schweiz 2008 gegründete Tierschutzorganisation NetAP (Network for Animal Protection) ist international tätig. Einer der Schwerpunkte ihrer Arbeit sind Kastrationseinsätze. Damit will NetAP «künftiges Tierleid proaktiv verhindern». So hat die Organisation 2014 weltweit über 13 000 verwilderte Hunde und Katzen kastriert. In der Schweiz sind es jährlich zwischen 1000 und 1500 Katzen. «Tendenz steigend», sagt Net­AP-Mitbegründerin und -Präsidentin Esther Geisser.www.netap.ch