Passen Sie auf Ihre Füsse auf, sonst werden Ihnen Ihre Socken geklaut. Manchmal klemmen sie auch, aber höchstens ein bisschen, es blutet nicht», sagt Nicole Steffen. Die 31-jährige Maschinenbau-Konstrukteurin aus Greifensee im Kanton Zürich ist gerade nach Hause gekommen und räumt gefrorenes Fleisch ins Tiefkühlfach: «Meine sind ein bisschen verwöhnt. Sie fressen nichts anderes ausser Kaninchenfleisch und Mäuse.» Mit «meine» sind Sirona, Morrigan, Thilly, Midir und Thaibse gemeint – fünf Frettchen, mit denen Steffen ihr Zuhause teilt. Drei der fünf flinken Tiere geniessen gerade in der Stube Freigang. 

Mitte zwanzig nahm Steffen die ersten Frettchen zu sich und war auch gleich mit von der Partie bei der Gründung des ersten Deutschschweizer Frettchenvereins frettchentreff.ch. «Glücklicherweise waren meine ersten Tiere sehr pflegeleicht», erinnert sie sich. Inzwischen hat Steffen nicht zuletzt über ihr Engagement im Verein viel Erfahrung gesammelt und kommt auch mit anspruchsvollen Fällen zurecht – wie etwa Sirona und Morrigan. Die beiden Frettchen sind sogenannte Hybriden, Mischungen aus Haustier (Frettchen) und Wildtier (Iltis). Der «wilde» Anteil führt dazu, dass sie rascher und fester zubeissen und sich nicht gerne berühren oder gar herumtragen lassen. «Ich hatte meine Finger schon dick eingebunden», erzählt Steffen: «Und meine Starrkrampf-Impfung halte ich aus guten Gründen immer aktuell.»

«Teenager» probieren ihre Zähne aus
Zwar steht den fünf Tieren ein eigenes Zimmer mit allerlei Verstecken sowie Liege- und Turnmöglichkeiten zur Verfügung – trotzdem ist Steffens gesamte Wohnung frettchengerecht eingerichtet. Nebst einer minimalen Bodenfläche von vier Quadratmetern für zwei Frettchen sieht das Gesetz nämlich auch einen täglichen Freilauf von mehreren Stunden vor. Für Steffen heisst das: Alles, was zerstör-, verschieb- und verschleppbar ist, muss in geeigneter Höhe gelagert werden, etwa auf dem Tisch oder der Wohnzimmerkommode. Wer diese Regel nicht beachtet, ist selber schuld. Er muss Autoschlüssel und Handy suchen – oder findet seine vermisste Mütze unter dem Sofa mit zwei schlafenden Frettchen drin.

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Für jedes einzelne ihrer Frettchen liess sich Nicole Steffen ein Pfötchen tätowieren.
  Bild: ZVG

Alle ihre fünf Frettchen seien ausgesetzt worden, erzählt Steffen, die im Schweizer Frettchenverein als stellvertretende Leiterin Abgabe- und Notfalltiere amtet. Meist würden die originellen Haustiere ihren Besitzern mit etwa sechs Monaten lästig. Dann nämlich, wenn sie zu «Teenagern» herangewachsen sind und damit beginnen, ihre scharfen Zähnchen auszuprobieren. Nach einer Verschärfung der gesetzlichen Quadratmeter-Vorgaben seien ebenfalls ein paar Tiere abgegeben worden, erzählt Steffen: «Wenn man weiss, dass ein Tier nicht mehr alt wird, baut man nicht gern seine Wohnung um.» Manche Halter hätten sich unter dem Zusammenleben mit Frettchen etwas anderes vorgestellt und wieder andere seien mit den Energiebündeln überfordert gewesen: «Die meisten Frettchen sind keine grossen Schmüseler.»

Mehrmals pro Jahr muss der Frettchenverein Tiere aufnehmen und neu vermitteln. Wobei diese nicht selten eine Verhaltensstörung aufweisen, die vor einer erneuten Platzierung therapiert werden muss. Kein Wunder, kann laut Steffen nicht genug betont werden, wie anspruchsvoll die Haltung von Frettchen ist (für die im Übrigen eine kostenpflichtige Bewilligung sowie ein Sachkundenachweis nötig sind). Die Raubtiere brauchen nicht nur viel Platz und zerbeissen, was ihnen zwischen die Zähne kommt, sondern haben auch einen markanten Eigengeruch und sind nicht 100 Prozent stubenrein. Das spezielle Futter ist zudem nicht an jeder Ecke erhältlich und die Chance, dass ein frettchenkundiger Tierarzt in nächster Nähe eine Praxis unterhält, ist nicht gerade gross. Die Haltung ihrer Frettchen werde regelmässig vom Veterinäramt kontrolliert, erzählt Steffen: «Das kostet zusätzlich.»

Lebhafte Frettchen in Aktion sehen Sie in diesem Video:

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Auch die Haltung von Steffens Thilly wurde ihrem vormaligen Besitzer – aus welchen Gründen auch immer – zu kompliziert. Die herzige Frettchen-Dame mit braunem Fell wurde zusammen mit ihrer Schwester Northy im Alter von sechs Monaten in eine Kartonschachtel gesetzt und bei einer Geflügelstation deponiert. Über den Frettchenverein landeten die beiden ausgesetzten Tiere bei Steffen. Northy habe unter starken Allergien gelitten, erzählt sie: «Unter anderem reagierte sie extrem auf Gluten. Wenn ich ein Sandwich ass und sie auch nur einen Krümel davon erwischte, landeten wir im Tierspital.» 

Nachdem sie von einem der Hybriden beim Spielen gebissen worden sei, habe sie mit Antibiotika behandelt werden müssen und sei in der Folge gestorben. Ihr Tod hänge mit grosser Wahrscheinlichkeit mit einer Unverträglichkeitsreaktion zusammen. Auch mit Thillys Gesundheit stehe es nicht mehr zum Besten, erzählt Steffen. Das inzwischen sieben Jahre alte Frettchen leidet an einem Nebennierentumor. Ein unter die Haut gesetzter Chip reguliert die Hormone: «Ich kann nur hoffen, dass sich ihr Zustand bessert.»

Frettchen schlafen 18 Stunden am Tag
Auch wenn verschiedene kahle Stellen von ihren Gesundheitsproblemen zeugen, scheint Thilly heute sehr vergnügt. Sie will die Socke haben, in den Fuss kneifen, unter den Pullover kriechen – und überhaupt mehr Aufmerksamkeit. Früher sei sie extrem aufgedreht gewesen, erinnert sich Steffen: «Normalerweise schläft ein Frettchen etwa 18 von 24 Stunden und ist die restliche Zeit wach. Thilly machte es umgekehrt.» Wie eine Irre sei sie jeweils über die Sofalehne gerast und habe sie im Vorbeidüsen noch rasch gezwickt: «Thilly und Northy schmissen alles herunter und transportierten ab, was sie erwischen konnten.» Sie stelle sich darauf ein, in nicht allzu ferner Zukunft von Thilly Abschied nehmen zu müssen, sagt Steffen: «Ich weiss, dass ich sehr traurig sein werde.»

Sie habe Frettchen schon immer cool gefunden, erinnert sich Steffen, etwa im Film «… und dann kam Polly» mit Ben Stiller und Jennifer Aniston. Sie habe sich dann im Internet informiert und sei so auf Schweizer Frettchen-Fans und ihre heutigen Vereinskolleginnen gestossen. Seither hält Steffen Frettchen – und hört so bald auch nicht wieder damit auf. Sie putzt täglich Frettchen-Toiletten, saugt den in der ganzen Wohnung verteilten Katzensand ein, schleppt kiloweise Kaninchenfleisch und wöchentlich ein paar tote Mäuse heim, akzeptiert angenagte Plastikleuchtsterne und Kissenzipfel und freut sich täglich aufs Neue über die verrückten Ideen ihrer Frettchen, die sich übrigens kaum erziehen lassen. «Wenn ein Frettchen auf seinen Namen hört, ist das das höchste der Gefühle», sagt Steffen und lacht.