Ich wollte schon immer etwas mit Tieren machen», erinnert sich die Tierfotografin Nicole Hollenstein an ihre Kindheit und Jugend. Sie wuchs als Einzelkind im hübschen Ostschweizer Städtchen Wil SG in einer tierliebenden Familie auf. Nach der Realschule suchte sie eine Stelle als Tierarztassistentin. Da es in der Region keine offene Stelle gab, absolvierte sie eine kaufmännische Lehre beim unterdessen eingestellten «Neuen Wiler Tagblatt». Bald drückte man ihr eine Minolta-Kamera in die Hand und nahm sie an Pressekonferenzen und zu anderen Anlässen mit. «Das Fotografieren machte mir grossen Spass. Ich bekam Komplimente für meine Aufnahmen. Es waren damals noch analoge Fotos. Ich entwickelte die Filme eigenhändig und bannte die Bilder in der hauseigenen Dunkelkammer auf Fotopapier», sagt sie. 

In der Freizeit begann sie Tiere zu fotografieren, unter anderem ihr Pferd. Und als sie vor zehn Jahren ihre Beagle-Hündin Joyce bekam, wurde diese zu ihrem bevorzugten Modell. Es gibt unzählige Aufnahmen ihres Vierbeiners. «Das Fotografieren begann mich richtig zu packen. Zuerst als Hobby. Bald begann ich Aufträge anzunehmen.» Sie hatte einen Freund, dessen Bruder gelernter Fotograf war. Er überliess ihr für eine bescheidene Miete einen Teil seines geräumigen Ateliers und gab ihr Tipps. Schon nach einem Jahr lief es für geschäftlich so gut, dass Hollenstein es wagte, ihr eigenes Fotostudio zu mieten. «Ich sagte mir: Entweder es funktioniert oder nicht. Ich will mir später nie Vorwürfe machen, es nicht probiert zu haben.»

Grossen Respekt vor einem Panther Sie ist heute die einzige hauptberuflich tätige Tierfotografin in der Schweiz. Auf Facebook hat sie eine Fanseite mit mittlerweile fast 25 000 Followern. «Dort lassen sich emotionale Tierbilder ideal posten. Und sie verbreiten sich erstaunlich schnell», hat sie erfahren. Hauptsächlich via das soziale Netzwerk und durch Mund-zu-Mund-Werbung findet sie ihre Kunden – und die Kunden sie. «Im Prinzip fotografiere ich alle Tiere. In der Praxis sind es mit Abstand am meisten Hunde, dann kommen Pferde und Katzen.» Zu ihren tierischen Fotomodellen zählten aber auch schon Schlangen, Mäuse, Ratten, Vogelspinnen, ein Waschbär, ein Ozelot oder ein Minipig. 

«Am einfachsten sind Hunde zu fotografieren», sagt Hollenstein. Sie seien stark an den Menschen gebunden und befolgten Kommandos wie sitz, platz, warten. «Mit Katzen ist es schwieriger. Besitzern von sehr ängstlichen Katzen rate ich, erst gar nicht mit ihnen in mein Fotostudio zu kommen, da es für das Tier zu viel Stress bedeuten würde.» Etwas vom Aufwendigsten ist laut Hollenstein das Fotografieren von Mäusen. «Sie sind schnell und huschen blitzartig vor der Kamera vorbei. Es ist ein Kunststück, sie im richtigen Moment zu knipsen.» Einmal war sie in München auf einer Filmtierranch, die Tiere für Aufnahmen an Filmproduzenten oder Werbeagenturen ausleiht. Dort fotografierte sie einen schwarzen Panther. «Man holte ihn aus seinem Käfig. Ich hatte den Auftrag, das grosse frei laufende Raubtier aus nächster Nähe zu fotografieren. Das war das erste Mal, dass ich grossen Respekt vor einem Tier hatte.»

Auf den Blitz konditionieren
Hollenstein und ihren Kunden macht das Fotoshooting meist viel Spass. Besonders lustig war die Arbeit mit einem Minipig. Es rannte durchs ganze Fotoatelier und musste vom Besitzer immer wieder mittels einer gut gefüllten Futterbox vor die Kamera gelockt werden. 

Seit sie sich selbstständig gemacht hat, fotografiert sie nur noch digital. «Meine Ausrüstung besteht aus einer Canon 5D Mark III, das ist eine Vollformat-Kamera, die ich im Studio einsetze. Draussen arbeite ich mit einer Canon 7D Mark II, die 10 Bilder pro Sekunde macht», erklärt sie. Im Atelier fotografiert sie meist vor schwarzem Hintergrund, was zu ihrem Markenzeichen geworden sei. «Der Kontrast macht jedes Härchen der Tiere sichtbar. Es funktioniert sogar bei Tieren mit sehr dunklem oder schwarzem Fell.» Zum Fotografieren kauert sie sich auf Augenhöhe des Tieres nieder und geht so nah wie möglich an das «Fotomodell» heran. 

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Nicole Hollenstein mit Beagle-Hündin Joyce.
  Bild: Nicole Hollenstein

«Die meisten Kunden schreiben mir via Formular auf meiner Website.» Nicole Hollenstein lädt sie dann in ihr Studio ein. Wenn der Besitzer mit dem Tier eintrifft, darf das Tier frei im Atelier umhergehen und alles abschnuppern. «Bei einem Kaffee besprechen wir die Vorstellungen und Wünsche des Kunden. Das dauert meist eine Viertelstunde. Dann fangen wir langsam an. Wir konditionieren das Tier auf den Blitz. Ich blitze etliche Male leer, ohne Kamera.» Nach jedem Blitz bekommt das Tier ein «Gutzi». «95 Prozent der Tiere haben keinerlei Probleme mit dem Blitz», sagt Hollenstein. Nach dem Fotografieren schaut sich der Kunde die Fotos an und trifft seine Auswahl. «Ich bearbeite diese später am Computer, optimiere den Hintergrund oder eliminiere störende Gegenstände. Dann brenne ich sie auf CD und schicke sie dem Kunden.» 

Was kostet die Dienstleistung von Nicole Hollenstein? Der Grundpreis beträgt 180 Franken, pro ausgewähltes, bearbeitetes Bild kommen 30 Franken dazu. Immer mehr Kunden bestellen auch gerahmte Bilder, Leinwandbilder, Kalender mit den Fotos ihrer Lieblinge. 

Sie habe sich ihr Hobby zum Beruf gemacht, erklärt die Fotografin. In Einzelkursen gibt sie ihr Know-how weiter. Sie vermittelt aber auch Tiere an Werbeagenturen oder Firmen. Zu ihren Kunden zählen zum Beispiel die Beratungsstelle für Unfallverhütung, verschiedene Banken oder Möbelhäuser. 

Das Aufnehmen von Tieren mache ihr aber von allen ihren Tätigkeiten am meisten Freude. Und sie ergänzt: «Das Wohl der Tiere steht für mich immer im Vordergrund.» Nebenbei setzt sie sich für Listenhunde ein, die einen Platz suchen. Sie fotografiert gratis für die Vereine «Pitdogs Nothilfe» und «SOS Listenhunde Ostschweiz», macht Kalender für diese und spendet einen Teil ihres Erlöses.