Das Leben schreibt die schönsten Geschichten, heisst es im Volksmund. Und wer die Geschichte von Clairelise Zaugg und ihrer Hündin Lissy hört, kann nur beipflichten. Es ist eine Geschichte von unbändigem Lebenswillen, von barmherziger Tierliebe – und vom unschätzbaren Wert des Hundechips.  

Die Geschichte beginnt an einem heissen Tag Ende Juni 2015 mit einer Schifffahrt auf der Aare. Clairelise Zaugg ist mit ihrem Mann vom Berner Oberland ins Berner Seeland zu ihrer Schwiegermutter gekommen. Mit dabei die damals neunjährige Lissy, ein Mischling aus Appenzeller und Berner Sennenhund. Wegen der Hitze beschliessen die drei, Lissy in der kühlen Küche der Schwiegermutter zurückzulassen.  

«Lissy kannte das Haus und weil man sie gut zwei, drei Stunden allein lassen konnte, sahen wir darin kein Problem», erzählt Clairelise Zaugg. Unterwegs jedoch eröffnete ihr die Schwiegermutter, sie habe ihrem Nachbarn Bescheid gegeben. Er werde Lissy rauslassen, wenn sie belle oder jaule. «Ich hoffte so fest, dass der liebe Mann das nicht tun würde», sagt Zaugg.   

Tagelange Suchaktion
Denn sie kannte Lissys Vorgeschichte. Zauggs hatten die Hündin erst im Februar 2013 übernommen, als sie siebenjährig war. Zur Welt gekommen war sie auf einem Bauernhof, auf dem die Umstände derart schlecht waren, dass ein Tierschutzverein die Welpen samt Mutter abholte. Lissy kam zu einer Frau, zu der sie eine enge Beziehung aufbaute. Als diese die Hündin einmal für ein Wochenende bei Bekannten zum Hüten abgab, riss Lissy aus. Zehn Tage blieb sie verschwunden, dann tauchte sie zu Hause auf – 30 Kilometer entfernt.  

Das wusste der Nachbar der Schwiegermutter nicht – und so liess er Lissy an jenem Nachmittag tatsächlich ins Freie. Unangeleint. «Er hatte es gut gemeint mit ihr», sagt Zaugg. «Aber Lissy rannte auf und davon, um uns zu suchen. Als wir zurückkamen, war sie wie vom Erdboden verschluckt.»  

Zaugg und ihr Mann starteten eine aufwändige Suchaktion: Sie schalteten Inserate in den Lokalzeitungen, hängten Flyer auf, informierten Wildhüter, Jägerschaft, Tierheime und Hundeschulen. Sie suchten tagelang mit Bekannten, übernachteten Im Wald, sprachen Anwohner und Spaziergänger an – und registrierten die Hündin natürlich bei der Schweizerischen Tiermeldezentrale STMZ. Es half nichts. «Manchmal kamen Hinweise», sagt Zaugg, «doch wenn wir dann vor Ort waren, war keine Spur mehr da von Lissy.»

Abgemagert auf der Schafweide
Zaugg sagt, sie habe sehr gelitten in den nächsten zweieinhalb Jahren. «Ich hatte eine enge Beziehung aufgebaut zu Lissy und wollte mich nicht mit dem Gedanken abfinden, dass sie nicht überlebt haben könnte.» Trotzdem: Letzten Sommer, nach zwei Jahren, erklärte sie ihre Hündin bei der STMZ für tot und warf alle ihre Sachen in den Müll. «Bis auf ihren Teddy und ihr Körbchen – so war Lissy doch irgendwie noch da.»  

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Diesen Winter konnte Lissy wieder mit ihrer Familie geniessen.
  Bild: Clairelise Zaugg

Und dann kam der 10. Dezember 2017. Um 16 Uhr klingelte das Telefon. Am Apparat war eine Frau vom Tierheim Wangen bei Olten – und was sie sagte, konnte Zaugg kaum glauben: Lissy sei gefunden worden, im aargauischen Rothrist. Anwohner seien auf eine Hündin in einer Schafweide aufmerksam geworden und ein Mann habe ihr Futter gebracht. Das Tier war ziemlich abgemagert und sehr scheu, sodass er es nicht einfangen konnte. Er meldete die Entdeckung – und eine Frau von einem Tierschutzverein kam mit einem Chiplesegerät. Während die Hündin frass, las sie die Chipnummer: Es war Lissy!

Zaugg und ihr Mann waren aus dem Häuschen und fuhren sofort los. In Rothrist wartete der Finder. «Er zeigte uns ein Foto – eindeutig Lissy», erzählt Zaugg. Es war schon dunkel, aber mit etwas Futter gelang es, Lissy aus dem Gebüsch zu locken. «Es war ein unvorstellbares Gefühl, nach zweieinhalb Jahren unser geliebtes Hundli wieder zu sehen.» Allerdings war Lissy sehr scheu. Zwei Stunden lang redeten Zaugg und ihr Mann auf sie ein, versuchten sie zu greifen. «Vergeblich, sie war zu gestresst. Wir mussten sie noch einmal eine Nacht draussen lassen.» Die Frau vom Tierschutzverein versicherte den verzweifelten Hundebesitzern, sie werde Lissy am nächsten Tag mit der Hilfe einer Tierärztin einfangen.   

Wiedersehen mit Tränen
Die Frau hielt ihr Versprechen. Allerdings wehrte sich die Hündin – Spezialisten mussten sie mit einem Narkosegewehr betäuben. Lissy kam zur Beobachtung und Betreuung in eine Tierklinik nach Oberentfelden. Fazit: Sie war geschwächt, aber gesund.    

Am 13. Dezember dann der grosse Tag: Zauggs durften Lissy nach Hause holen. «Ich werde nie den Moment vergessen, in dem die Tierärztin die Tür zum Behandlungszimmer öffnete und Lissy zögernd dastand», sagt Clairelise Zaugg. «Ich lief zu ihr, mit Tränen in den Augen. Mein Mann und ich setzten uns auf den Boden zu ihr und nach kurzer Zeit setzte sie sich neben uns.»  

Danach ging alles schnell. 20 Minuten später verliess die wiedervereinte Familie die Klinik. Die Heimfahrt verlief problemlos, ebenso wie das erneute aneinander Gewöhnen. «Nach zwei Tagen gingen wir zusammen spazieren, ohne Leine, wie wenn sie nie fort gewesen wäre», sagt Zaugg. Angst, dass Lissy weglaufen könnte, hat sie nicht. «Sie ist ja nicht weggelaufen damals, sondern hat uns gesucht.»  

Sie glaubt auch zu wissen, wie Lissy auf sich allein gestellt so lange Zeit überleben konnte. «Sie war sicher bei niemandem zu Hause, dafür ist sie viel zu scheu.» Wahrscheinlich habe sie sich von Abfällen ernährt. «Wenn wir heute beim Spazieren an Ghüdersäcken vorbeikommen, dann bringe ich sie kaum mehr weg.»