Moskau ist nicht nur Kreml und Roter Platz. Die mit zwölf Millionen Einwohnern grösste Stadt Europas hat auch eine ganz besondere «tierische Sehenswürdigkeit» zu bieten: die sogenannten «U-Bahn-Hunde von Moskau». Rund 35 000 streunende Hunde leben in der russischen Metropole – und viele von ihnen haben sich auf verblüffende Weise an das Stadtleben angepasst. Manche Strassenhunde beherrschen beispielsweise die Verkehrs­regeln: Immer wieder beobachtet man in der Moskauer Innenstadt ganze Rudel von Stras­senhunden, die an Ampeln geduldig auf die Grünphase warten, um dann gemeinsam sicher die Strasse zu überqueren. Ein Verhalten, das die Tiere übrigens auch nachts zeigen, wenn keine Fussgänger auf der Stras­se sind. 

Die klugen Tiere orientieren sich also nicht am Verhalten des Menschen, sondern haben in der Tat die Bedeutung der Ampelsignale verstanden. Da Hunde, wie einige Menschen, an einer Rot-Grün-Sehschwäche leiden, also rot nicht von grün unterscheiden können, nimmt man an, dass sie gelernt haben, dass man stehen bleibt, wenn das oberste Licht der Ampel aufleuchtet – und loslaufen darf, wenn das unterste Licht aufleuchtet. 

Eine Moskauer Hundemama wirf in der Metro neun Welpen (Video: RT):

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Mit der Metro zur «Arbeit»
Als ob das nicht schon genug wäre, gibt es in Moskau einige Hunde, die regelmässig die berühmte U-Bahn von Moskau nutzen. Das hat einen guten Grund: Die meisten Strassenhunde leben in den Moskauer Vorstädten. Dort ist es schön ruhig und friedlich. Aber frühmorgens fahren sie – zusammen mit den Pendlern – ins Moskauer Zentrum, weil dort die Ernährungslage besser ist. In der Innenstadt gibt es mehr Essensreste, Abfall und Müll zu futtern. Abends, wenn sie es wieder ruhig haben wollen, fahren die Hunde dann zurück in die Vorstädte.

Zu der Frage, woher die Hunde wissen, wann sie aussteigen müssen, gibt es verschiedene Hypothesen: Eine Theorie besagt, dass die Tiere sich an den menschlichen Pendlern orientieren. Nach einer anderen haben die Hunde mittlerweile gelernt, anhand der Zeit, die sie im U-Bahn-Zug verbringen, genau abzuschätzen, wann sie aussteigen müssen. 

Die schlauen Moskauer U-Bahn-Hunde (Video: ABC):

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Schläft ein Hund einmal während der Fahrt ein und fährt zu weit, nimmt er einfach den Zug in die Gegenrichtung. Zumindest die ganz klugen Tiere sollen das angeblich tun. Auch das ist ein Zeichen für die Cleverness und Anpassungsfähigkeit der Moskauer Stras­senhunde: Die vierbeinigen Metronutzer steigen fast ausschliesslich in den ersten und in den letzten Waggon der Metro ein. Dort ist die Lärmbelästigung am geringsten; Hunde haben ja sehr sensible Ohren.

Die Metrohunde ernähren sich in der City allerdings bei Weitem nicht nur von Abfällen. Sie haben einen ganzen Strauss von Strategien entwickelt, um an höherwertiges Futter heranzukommen. Viele Hunde setzen beispielsweise einen liebevollen Blick auf und betteln bei Passanten – irgendwie schaffen sie es immer wieder, Mitleid zu erregen. Andere gehen deutlich fieser vor: Sie schleichen sich still und leise von hinten an Menschen an, die gerade an einer Imbissbude oder einem Take-away Fastfood verdrücken und bellen dann unvermittelt so laut, dass die Essenden vor Schreck ihren Imbiss fallen lassen. Und der wird dann eine leichte Beute für die Hunde. 

Moskauer Hunde im Grossstadt-Dschungel (Video: National Geographic):

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Ein Denkmal für Strassenhunde
Die Moskowiter selbst haben ein ziemlich entspanntes Verhältnis zu den vielen Streunern. Die meisten Bürger betrachten die Hunde einfach als festes Bild des Stadtlebens. Sie beobachten das Verhalten der Metrohunde oft mit einem Schmunzeln und machen auch gerne mal ein Selfie mit einem U-Bahn-Hund. Manche sind sogar regelrecht stolz auf «ihre» klugen Hunde. 

Einige Tierschutzorganisationen kümmern sich regelmässig um die Stadthunde, da sie zum einen dafür sorgen, dass die Speiseabfälle auf öffentlichen Plätzen und in den Parks zuverlässig entsorgt werden und zum anderen auch dafür Sorge tragen, dass die U-Bahn-Schächte in Moskau mittlerweile zumindest an einigen Stellen wieder weitestgehend rattenfrei sind. 

Impressionen aus der Metro (Video: 101petsitters):

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Dem trägt auch die Moskauer Stadtverwaltung Rechnung, die seit 2002 keine Stras­senhunde mehr töten lässt. Im Gegenteil: Die Verwaltung stellt – zumindest nach eigenen Angaben – jährlich umgerechnet rund 60 Millionen Franken für das Fangen und Sterilisieren der Strassenhunde zur Verfügung. Kritiker bemängeln allerdings, dass dies eine weit grössere Summe sei, als die Stadt Moskau für die Versorgung von obdachlosen Menschen zur Verfügung stellt. 

Mittlerweile gibt es sogar ein Denkmal für Strassenhunde: eine bronzene Skulptur in der Schalterhalle der Metrostation Mendelejeweskaja, die dem Mischlingsrüden Maltschik gewidmet ist, der 2001 von einer offensichtlich geisteskranken Frau mit mehreren Messerstichen getötet wurde. Ein Vorfall, der damals grosse Aufmerksamkeit erregte. Am Sockel des Denkmals befindet sich eine Inschrift, die lautet: «Mitgefühl. Dem humanen Umgang mit heimlosen Tieren gewidmet.»