Erinnerungen und eine Handvoll Bilder, mehr ist Andrea A. (Name geändert) von ihrem Golden Retriever nicht geblieben. «Ich vermisse ihn so sehr», sagt sie. Und doch war der Vierbeiner zuhause zuletzt nicht mehr tragbar. Er hatte sie an die Grenzen ihrer nervlichen Belastbarkeit gebracht.

Es begann Ende des letzten Jahres, als die Familie Nachwuchs bekam. Während sich der Sennenhund, der im selben Haushalt wohnt, durch das Baby nicht aus der Ruhe bringen liess, kam der Golden Retriever mit der neuen Situation nicht klar. Kaum war das Töchterchen da, habe er den ganzen Tag gejault, erzählt die Besitzerin. Alles Training, ja sogar der Zuzug einer Verhaltensexpertin für Hunde hätten keine Linderung gebracht. «Zwar wurde das Winseln nach ein paar Lektionen etwas schwächer, doch dieser Effekt stellte sich nur vorübergehend ein. Das Verhalten unseres Golden Retrievers stresste mich derart, dass ich leicht reizbar wurde», erinnert sich Andrea A..

Von Tag zu Tag ging es ihr schlechter. Irgendwann war ihr klar, der Golden Retriver musste fremdplatziert werden. Doch wo? Ins Tierheim wollte sie ihn nicht abschieben. Freunde gaben Andrea A. schliesslich den entscheidenden Tipp: Sie solle ihn in Obhut des Vereins «Berner Sennenhunde in Not Schweiz» (BSiN) geben, dem ältesten europaweit arbeitenden Tierschutzverein für Berner Sennenhunde, rieten sie ihr. Er nimmt auch Hunde wie Golden Retriever auf.

Zuerst erfolgte eine gründliche Abklärung der Situation
Andrea A. nahm Kontakt mit der Institution auf, musste Fragen zu ihrer familiären Situation beantworten. Zusätzlich füllte sie das Formular auf der Webseite des Vereins aus, in dem weitere Angaben gefragt waren. Eine Vertreterin des BSiN erklärte ihr das weitere Vorgehen: Man werde beurteilen, ob der Golden Retriever aufgenommen werden könne oder nicht. Sollte man sich einig werden, werde so schnell wie möglich eine Pflegefamilie für ihn gesucht.

Der Bescheid fiel positiv aus, denn auch beim BSiN schätzte man die Situation als kritisch ein – für die Familie sowie für den Hund. Danach ging es schnell: Nachdem Andrea A. ihr schriftliches Einverständnis zur Adoption gegeben hatte, kam der grosse Abschied. An einem Sonntag im Februar holten zwei Mitarbeiterinnen des Vereins den Golden Retriever ab. Andrea A. war erleichtert. Mit einem Mal war der Stress weg. Die Ruhe, die sie so vermisste hatte, kehrte im Hause und in ihrem Leben ein.

Doch mit der Musse kamen auch die Gedanken. Vieles sei ihr in den den Tagen nach der Adoption durch den Kopf gegangen, erinnert sich Andrea A., auch, dass sie ihren Golden Retriever trotz allem gern hatte. Ja, sie vermisste ihn nun plötzlich.

Irgendwann hielt sie es nicht mehr aus und rief erneut beim BSiN an. «Ich erklärte, dass ich erkannt hatte, dass ich die Ursache für das fehlhafte Verhalten meines Hundes war, weil ich mich zu schnell echauffierte. Hätte ich das früher erkannt, wäre mir nie in den Sinn gekommen, meinen Hund abzugeben. Ich betonte weiter, dass ich ihn zurückhaben wolle, damit ich die Chance erhalte, mein Leben zu ändern.» Einen letzten Versuch wolle sie wagen, wiederholte sie. Doch diese Chance gibt es nicht.

Keine zweite Chance
Claudia Graf, Vizepräsientin des Vereins «Berner Sennenhunde in Not Schweiz» (BSiN), sagt auf Anfrage, sie habe grundsätzlich Verständnis für einen Gesinnungswandel ehemaliger Hundebesitzerinnen und Hundebesitzer. Immer wieder erlebe sie es, dass Leute einen Hund zur Adoption freigeben, weil sie mit ihm überfordert sind oder in einer prekären Situation leben. «Sobald der Hund dann aus der Familie genommen wird, beruhigt sich dort die Lage. Und plötzlich haben Betroffenen das Gefühl, eigentlich sei ja alles nicht so schlimm und sie würden die Situation auch mit ihrem Hund wieder in den Griff bekommen». Doch in der Regel trüge der Schein.

Auch im aktuellen Fall habe man gemeinsam mit Andrea A. die Situation sorgfältig abgeklärt, betont Graf erneut. Die Familie sei über die Arbeitsweise des Vereins informiert worden. Man sei zum Schluss gekommen, dass es am besten für alle ist, wenn für den Golden Retriever so schnell wie möglich ein neuer Platz gefunden wird. Ein Zurück gibt es danach aber nicht mehr.

Denn als Tierschutzverein ist BSiN in erster Linie dem Wohl des Tieres verpflichtet. Wenn dem Verein ein Hund anvertraut wird, vermittelt er ihn in an eine sorgfältig ausgesuchte Pflegefamilie, in welcher das Tier zur Ruhe kommt. «Meist ist dem Umzug eine Stressphase vorausgegangen, auch im vorliegenden Fall. Der Hund hatte stark an Gewicht verloren, er litt an Allergien auf und wimmerte viel», sagt Graf.

Neues Zuhause, neue Bindung
In der liebevollen Pflegefamilie kam der Golden Retriever tatsächlich zur Ruhe und begann sich einzuleben. «Ihn aus dem neuen Umfeld nach ein paar Tagen wieder herauszureissen, weil der frühere Besitzer es sich anders überlegt hat, würde das Leben des Hundes erneut einschneidend verändern. Er würde dieses Hin und Her überhaupt nicht verstehen», erklärt Graf.

Auf den Einwand der ehemaligen Besitzerin, dass sich Hunde ja auch nicht an ein Tierheim gewöhnen, dem sie während einer Ferienabwesenheit anvertraut werden, entgegnet Graf: «Ein Tierheim baut in der Regel einen anderen Bezug zu einem Tier auf als eine Pflegefamilie. Es muss sich um viele verschiedene Tiere kümmern. Eine Pflegefamilie indes kann sich rund um die Uhr auf das eine Tier konzentrieren. Es entsteht eine Bindung.»

Auch rechtlich ist die Lage laut Graf klar: «Die ehemalige Besitzerin beziehungsweise ihr Partner, dem der Hund gehörte, hatte nach Abklärungen und etlichen Gesprächen mit uns einer Adoption schriftlich zugestimmt. Damit ist auch die Regel in Kraft getreten, wonach die Adresse der Pflegefamilie und der neue Aufenthaltsort des vermittelten Tieres geheim gehalten werden, zum Schutz aller Beteiligten – und des Tieres.»

Die Rechtslage ist klar
Zum Glück kämen Fälle wie dieser selten vor, ergänzt Graf. In der Regel würden die ehemaligen Besitzer nach Gesprächen einsehen, dass es für das Tier das Beste ist, es am neuen Ort zu lassen. Auch Andrea A. wird sich mit dieser Situation wohl oder übel anfreunden müssen. Das Recht jedenfalls spricht eine klare Sprache.